Um Leichenfotos, einen sterbenden Sender und kämpfende Journalisten kreist heute der medienjournalistische Diskurs. Außerdem: Neue Machos und ein „bad boy“.
„Tor in Fukushima!“ lautete kürzlich die Headline eines Textes in der FAZ, der zum Thema hatte, dass die Berichterstattung über Politik immer stärker der über Fußball ähnelt. Einen Beleg für diese These lieferte gestern auch ein Artikel über die Rezeption des „Endspiels“ in Pakistan im Weißen Haus (siehe Altpapier vom Mittwoch). Bei der gestrigen Sat-1-Übertragung des Champions-League-Halbfinales zwischen Manchester United und Schalke 04 musste man nun feststellen, dass auch die Fußballsprache gegen Besorgnis erregende Infiltrationen nicht gefeit ist. Alex Ferguson sei „die ‚Super Nanny‘ von Manchester United“, äußerte Kommentator Wolf-Christoph Fuss zum Beispiel, um sogleich anzufügen, dass der Trainer seit dem 6. November 1986 bei seinem Klub amtiere. Was wollte uns der Entertainer Fuss damit sagen? Dass der „Super Nanny“ eine mindestens 25 Jahre währende Karriere bei RTL vergönnt sein wird?
Langfristige Gedanken dieser Art machen sich die Kollegen von 9Live (das obige Gruppenfoto stammt von der Website des Senders) derzeit nicht. Seit gestern steht fest: Am 31. Mai ist Feierabend für den „durch seine zweifelhaften Gewinnspiele legendär gewordenen Call-In-Sender“ (dwdl.de). „Die Mitarbeiter des Senders wurden am Mittwochnachmittag von ProSiebenSat.1 Media-Vorstandschef Thomas Ebeling über die Entscheidung informiert. (...) Damit wird zehn Jahre nach dem Start das Kapitel Call-In-TV in Deutschland beendet.“ Der Sendebetrieb geht ab Juni zwar weiter, allerdings ohne Live-Programm, dann wird vorerst Fiktionales gesendet, aber was man sich darunter im Detail vorzustellen hat, ist unklar. dwdl.de hat einerseits geahnt, dass es so kommen wird, spricht aber dennoch von einer „spektakulären Meldung“. W&V war ebenfalls nicht überrascht:
„Seit Ende vergangenen Jahres ist immer wieder zu hören gewesen, dass der früher boomende Bereich Mitmach-TV aufgrund der rigiden Gewinnspielsatzung unter Druck steht und 9Live-Chef Ralf Bartoleit bis zum Frühjahr neue wirtschaftliche Modelle vorlegen soll. Die Umsätze sind im gesamten Markt in den vergangenen zwei Jahren drastisch zurückgegangen.“
Während einige Medienarbeiter in München am Mittwochnachmittag erfuhren, dass es um ihre Zukunft schlecht bestellt ist, kämpften andere dortselbst für eine bessere Zukunft. Weniger pathetisch formuliert: Sie beteiligten sich an Warnstreiks, zu denen die Journalistengewerkschaften anlässlich der Tarifgespräche für Zeitungsredakteure aufgerufen hatten. Von der Süddeutschen waren mehr als 150 Leute dabei. Detlef Esslingers Text dazu - „In eigener Sache“ - ist der Aufmacher der Medienseite:
„Außergewöhnlich sind die Gespräche wegen der Position der Verleger. Ihr Ziel ist diesmal nicht, eine Lohnerhöhung so gering wie möglich zu halten. Ihr Ziel ist, eine Lohnsenkung durchzusetzen. Statt 13,75 Monatsgehältern wollen sie nur noch 13 bezahlen. (...) Mit solch einer Position ist schon lange kein Arbeitgeberverband mehr angetreten, nicht einmal Gesamtmetall während der Finanz- und Wirtschaftskrise. (...) Besonders umstritten ist, was sie darüber hinaus fordern: den Nachwuchs grundsätzlich schlechter zu bezahlen als die bisherigen Redakteure. (...) Welchen Sinn macht denn noch das Ringen um 28-jährige Leser, falls es bald keine 28-jährigen Redakteure mehr gibt? Haben Rückgänge der Auflagen vielleicht auch damit zu tun, dass Sparrunden der vergangenen Jahre gerade bei Lokalzeitungen zu vielem geführt haben mögen, aber sicher nicht zu mehr Qualität? Das sind die Fragen, die viele Journalisten ihren Arbeitgebern stellen. Mit anderen Worten: Es ist eine Auseinandersetzung, die noch mehrere Monate lang dauern könnte.“
Solche Fragen müssen Tom Kummer, früher Autor bzw. Interviewerfinder für das Magazin der Süddeutschen Zeitung, nicht mehr kümmern, schließlich arbeitet er heute in der Tennisbranche. Heute kommt „Bad Boy Kummer“ ins Kino, eine Dokumentation über den berüchtigten Hallodri. Der Film von Miklos Gimes „wirft noch einmal die Frage auf: Sind toll gefälschte Star-Interviews nicht besser als öde richtige Interviews?“ (Michael Angele im Freitag). Kirsten Riesselmann (taz) schreibt über den Protagonisten:
„Überzeugend erscheint sein schreiberischer Ansatz als Fortsetzung seiner Kreuzberger Punkjahre, überzeugend verkauft er seine Fakes als Konzeptkunst, die er vom überschäumenden medialen Klima der Neunziger und vom Jungsclub der jungen Wilden im ‚New German Journalism‘ mehr als gedeckt gesehen habe. Dass ‚Freunde‘ wie Poschardt ihn dann doch fallen ließen, als sie merkten, dass der Wahrheitsbegriff nicht ganz so poppig, ironisch dehnbar war wie gedacht, empfindet er bis heute als Verrat.“
Der erwähnte Poschardt (für die Glücklichen, denen der Name nichts sagt: Er heißt mit Vornamen Ulf) bekommt am Ende des Textes noch etwas auf die Mütze, desgleichen Christian Kämmerling, der zusammen mit Poschardt die Kummer-Texte beim SZ-Magazin verantwortete. Daniel Kothenschulte (Frankfurter Rundschau) geißelt die Kollegen ebenfalls:
„Auch wenn sich Poschardt und Kämmerling leider gedrückt haben, ist es ein spannendes Bild einer Epoche im deutschsprachigen Journalismus. Und Kummer selbst kommt man wohl so nahe, wie man ihm kommen kann. Hinter seiner Fassade steckt weder ein verhinderter Künstler noch ein gescheiterter Literat, lediglich ein charmanter Lebenslügner.“
[listbox:title=Artikel des Tages[Leute, der Kampf geht weiter! (Süddeutsche)##Sind gut gefälschte Interviews besser als schlechte echte? (Freitag)##"No Moor!" - Brandenburger gegen Schweizer (BLZ)]]
Im Zentrum medienjournalistischer Betrachtungen steht natürlich weiterhin Osama Bin Laden. Die Debatte um die Fotos seiner Leiche dürfte weiter gehen - obwohl das Weiße Haus entschieden hat, sie nicht zu veröffentlichen (faz.net, New York Times). Dass der Welt die Bilder vorenthalten werden, findet Sarah Palin, eine der ganz großen Krawallschachteln der US-Politikbetriebs, naturgemäß nicht gut. Von „pussy-footing“ hält sie nämlich nichts (Slate). Maßgeblich Bewegung in die Debatte hat die Nachrichtenagentur Reuters gebracht. weil sie sich entschlossen hat, sehr blutige Fotos von drei Bin-Laden-Gesinnungsgenossen zu publizieren, die beim Einsatz in Pakistan ums Leben kamen. In der Huffington Post verteidigt ein Sprecher der Agentur die Veröffentlichung der Bilder, die offenbar von einem pakistanischen Sicherheitsbeamten stammen.
Wer die Fotos des toten Terroristenführers vermisst, findet vielleicht Trost bei anderen medialen Bin-Laden-Todesdevotionalien. Die sind allerdings nicht billig. The Cutline hat bei ebay recherchiert, was Tageszeitungen mit Schlagzeilen zum Tod Bin Ladens wert sind.
Altpapierkorb
+++ Von Denny „Boston Legal“ Crane bis Mick „Der letzte Bulle“ Brisgau - Barbara Sichtermann über „das Comeback des Machos in Fernseh-Sitcom und Krimi“ (Tagesspiegel)
+++ Neue Machos und andere „bad boys“ schalten künftig samstags um 18 Uhr vielleicht nicht mehr die „Sportschau“, sondern „ML Mona Lisa“ ein. Das ZDF-Magazin möchte jedenfalls zukünftig auch für Männer da sein. Die Sendung erlebe eine „Geschlechtsneubestimmung mit 23“, so die taz.
+++ „Haut ab, ihr Arschlöcher, ihr hässlichen, grobschlächtigen, vorlauten Schweizer!“ Einen Brief diesen Inhalts bekamen unlängst der Schweizer „ttt“-Moderator Dieter Moor und seine Frau Sonja. Sie sind nicht beliebt in ihrer Brandenburgischen Wahlheimat, wo sie sich als Biobauern verdingen. Dass dort der Mob auf die Pauke haut, könnte mit einem Zeitschriftenartikel zusammen hängen, wie die Berliner Zeitung berichtet; „Drei Tage, bevor Sonja Moor den Drohbrief erhielt, war im Spiegel ein recht hämischer Artikel über ihren Mann und sie erschienen. Bis dahin hatte es fast nur wohlwollende Reportagen über die Biobauern gegeben (...) Das Paar hatte seine Medienkompetenz durchaus genutzt, um sich in Szene zu setzen. Der Spiegel aber sah die Sache anders. Gezeichnet wurde das Bild vom Kampf der Ureinwohner (...), die hilflos zusehen müssen, wie ihr Dorf von dem Fernsehmann okkupiert wird. Die Widersacher der Moors feierten das als ersten Sieg im Kampf gegen das Prominenten-Paar. Sie luden zu einer „Spiegel-Party“ ins Gemeindehaus ein. Wie eine Trophäe hingen Kopien des Artikels entlang der Dorfstraße.“
+++ Wird der langjährige Google-Chef Eric Schmidt US-Handelsminister? Die Süddeutsche weiß mehr.
+++ Wenn es darum geht, die Vorzüge des Datenjournalismus zu preisen, ist Lorenz Matzat stets ganz vorn dabei. Die „Onlinemedien“ könnten zu einem „Paradigma der Datenknotenpunkte werden“, schreibt er nun bei Zeit Online.
+++ Wenig Verständnis bringt die FAZ für Michael Konken auf, den Chef des Deutschen Journalistenverbandes. Der Funktionär ist der Meinung, dass sich Bayern-Kicker Bastian Schweinsteiger für eine verbale Attacke gegen einen Mann Sport-Bild-Redakteur „entschuldigen“ müsse. Jörg Hahn entgegnet auf Seite 35: „Die Frage, ob Bastian Schweinsteiger nicht eigentlich recht hat, wagt niemand zu stellen. Der Sportjournalismus muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass wenig gehaltvolle Artikel gerne durch besonders schrille Überschriften verkauft werden, dass nicht selten mehr insinuiert als berichtet wird, gerade im Fußball. Schweinsteiger, einst als ‚Schweini‘ hofiert und zur Kultfigur stilisiert, wird, das ist wohl klar, jetzt ein Springer-Feindbild sein. Eine Entschuldigung von ihm ist nicht zu erwarten. Und noch etwas wird es sicherlich nicht geben: Selbstkritik der Sportmedien.“
Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.