Nicolas Sarkozy und Silvio Berlusconi sind zumindest keine erklärten Feinde der Pressefreiheit. Der ESC ist "entschwult". Und was von Obama bin Laden bleibt.
Liegt vielleicht nur an unserem pdf-Reader oder geht es anderen auch so: "Die Liste der 'Feinde der Pressefreiheit' (Englisch)", die man sich auf der Seite von Reporter ohne Grenzen herunterladen kann, sieht aus wie Konzeptkunst (siehe Bild): Alle Namen sind geschwärzt.
Seit 1993, erinnert die Berliner, datiert der 3. Mai als Internationaler Tag der Pressefreiheit, weil am 3. Mai 1991 im namibischen Windhuk eine Erklärung zur Pressefreiheit verabschiedet wurde.
Dieser Tag ist durchaus eine Herausforderung. Kein Mensch wird bestreiten, dass das Anliegen von Reporter ohne Grenzen ein wichtiges ist. Und dennoch wirken die Möglichkeiten, diesem Anliegen medial zu eindrucksvoller Form zu verhelfen begrenzt. Ein Dilemma des Gedenktag-Journalismus.
Die nächstliegende Variante dem Anliegen des Tages zu Öffentlichkeit zu verhelfen, führt die SZ vor. Dort orientiert sich Christiane Schlötzer auf einer besseren Meldungslänge in der Liste, die einem eigens publizierten Bildband vorangestellt ist, einfach nach unten:
"Pakistan nimmt in der neuesten Rangliste Platz 151 ein; den schlechtesten Rang, die Nummer 178, erhielt Eritrea; die ersten Plätze teilen sich die Europäer."
Dass es so leicht nicht ist mit den "Europäern", zeigt die Lesart von Tomasz Kurianowicz in der FAZ (Seite 35).
"Dabei ist die Rangliste der Pressefreiheit, die den Bildband eröffnet, auch für Westeuropa kein Grund für übertriebenem Stolz: Frankreich etwa nimmt den 44. Rang ein nach Ländern wie Jamaika (25), Ghana (26), Polen (32) und Uruguay (37)."
Der Text beschränkt sich nicht auf die erwartbare – wenngleich völlig berechtigte und zudem nicht neue (letztes Jahr: Rang 43) – Frankreich-Kritik, zumal es laufend neues Material über die fragwürdigen Vorstellungen über die Pressefreiheit von Nicolas Sarkozy gibt.
Kurianowicz informiert auch über den deutschen Platz in der Liste, der auf dem Medaillenspiegel eines sportlichen Großereignisses umgehend zu einer Diskussion über die Neustrukturierung der Sportförderung Anlass bieten würde:
"Aber auch Deutschland füllt mit dem siebzehnten Platz keine Vorbildfunktion aus, da die Bundesregierung – so der Einwand von Reporter ohne Grenzen – am Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung festhalte, obwohl das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe den Gesetzesvorschlag für verfassungswidrig erklärte."
Aktuell ließe sich auf den gestern hier berichteten Fall des Weser-Kuriers verweisen, über den heute die TAZ informiert.
Das Unbehagen über die ROG-Berichterstattung formuliert im FAZ-Text der Satz, mit dem dann in zu den Despoten worldwide übergeleitet wird:
"Die westeuropäische Politik wird dennoch aufatmen können: Auf der heute veröffentlichten Liste der 'Feinde der Pressefreiheit' sind weder Sarkozy noch Berlusconi verzeichnet."
Da hätte man doch gern gewusst, warum Sarkozy und Berlusconi nicht auftauchen (weil sie Medienhäuser besitzen oder mit ihren Besitzern befreundet sind, also Journalisten Arbeit geben?). Und vor allem, warum man nur deshalb gut ist, weil andere noch schlechter sind (Russland, China, Weißrussland). Das ist vermutlich eine Frage Perspektive – natürlich hat ist Relativität ein zulässiges Verfahren, zugleich kann man aber auch daran erinnern, dass man Maßstäbe, die für andere gelten sollen, vielleicht auch selbst einhalten sollte.
Die Berliner versucht der Routine durch den lebendigen Ton einer Reportage zu entkommen.
"Wenn Hassan Salad morgens zur Arbeit geht, kommt er an kriegszerstörten Häusern vorbei und an Brachflächen voller Schutt."
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Realität der Journalistengefährdung (Berliner)##Die Pressefreiheitsliste (Reporter ohne Grenzen)##Die "Entschwulung" des ESC (TAZ)##Siegerrhetorik: 10 Minuten Obama (SZ)##]]
Hat was für sich, aber auch seine Grenzen, weil die Strukturen hinter den Einzelfall zurücktreten. Eine interessante Öffnung in dem Text von Bettina Kühl ist insofern der Blick auf einen größeren Zusammenhang der Journalistengefährdung, den der Afrika-Korrespondent der Times aufmacht:
"Weil die Budgets fast aller Verlage massiv gekürzt wurden, müsse er Informationen inzwischen so billig wie möglich beschaffen. 'Das erhöht natürlich das Risiko. Und es hat Folgen für die Objektivität.' Denn um Reisekosten zu sparen, schließt er sich vielleicht einer Militärmission an. Oder einer humanitären Organisation. 'Aber dann hast du natürlich das Gefühl, dass die Organisation in deinem Bericht auch gut aussehen muss', sagt McConnell. 'Ganz nach dem Motto: Eine Hand wäscht die andere.'"
Platz 1 der Liste, der nirgendwo erwähnt wird, teilen sich übrigens gleich sechs Länder (Finnland, Norwegen, Schweden, Schweiz, Niederlande und Island), die sich nach Ansicht von Reporter ohne Grenzen in Bezug auf die Pressefreiheit nichts zu schulden kommen haben lassen (O Punkte). Insofern liegt die Schwierigkeit, die Liste journalistisch zu bearbeiten in ihrem Zählverfahren. Das ist auf Fehlverhalten ausgerichtet – und gestattet so auch einfaches Mit-dem-Finger-auf-andere-Zeigen.
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+++ Womit wir allerdings nicht ratzfatz-konstruktiv dazu anregen wollen, künftig positiv zu zählen. Douze Points gibt es schon beim Eurovision Song Contest (ESC), und "Douze Points" ist auch der Titel einer Ausstellung über die Geschichte des Grand Prix, die seine nächste Ausrichtung in Düsseldorf begleitet. Thorsten Keller hat sie für den KSTA gesehen. +++ Noch instruktiver über den Wandel des Wettbewerbs schreibt allerdings Jan Feddersen in der TAZ. Der Text belegt die Eventisierung der Show anschaulich an ihrer "Entschwulung": "Der Kulturwissenschaftler Johannes Arens sprach voriges Jahr nach Lenas erstem Platz in Oslo von einer 'Entschwulung' des ESC durch den Meister des ESC hierzulande, Stefan Raab, Mentor der Siegerin. In Lena, so Arens, sei nichts mehr, in das sich Männer, die nicht heterosexuell sind, hineinversetzen können. Es seien fahle Mädchenträume, die sie serviert, keine Geschichten von Triumph und Scheitern." Diesen Umstand könnte man freilich auch als gestiegene gesellschaftliche Toleranz verbuchen – dass der Homosexuelle seine heimlichen Nischen nicht mehr brauchte. Dennoch leuchtet dem melancholisch gestimmten Zeitgenossen der Charme einer Projektionsfläche wie Vicky Leandros ein. +++
+++ Das Ende von Osama bin Laden hat nicht nur völkerrechtliche, sondern auch mediale Implikationen. In der FAZ konstatiert Joseph Croitoru das bleibende Bild ("steht seiner Verherrlichung als Kriegermärtyrer, als einer, der im Kampf gegen angreifende Nichtmuslime den Tod fand, nichts im Weg") und begrüßt der Schriftsteller Thomas Lehr bin Ladens Liquidierung, die er irgendwie auch "scheußlich" findet ("es ist gut, wenn starke Symbole fallen"; Seite 29). +++ Während vom Getöteten das Bild bleibt, bleibt den Siegern das Wort – der SZ-Rhetorik-Experte Johan Schloemann analysiert Obamas 10-Minuten-Meldung. +++ Obama? Osama? Die TAZ listet "Fox'sche Versprecher" und deutsche "S-Schwächen" auf. +++ Die FTD bedenkt selbstkritisch den (eigenen) Umgang mit dem Photoshop-"Todesfoto". +++
+++ In Erfurt wird in Sachen Kika und Marco K. Anklage erhoben, wie die SZ vermeldet. In der FAZ hat Olaf Sundermeyer noch ein paar Fragen (Seite 35): "Etwa die Geschäfte eines umtriebigen Erfurter Veranstaltungsunternehmers, der erscheint, sobald der Kika den direkten Kontakt zu seinen Zuschauern sucht, auf Veranstaltungen und Besuchertouren. Oder die Beziehung von Marco K. zu zwei Berliner Serviceunternehmen, die sich auch abseits des Kika bei ARD und ZDF um die Ausstattung großer Fernsehproduktionen, Shows und Veranstaltungen kümmern." +++ Von einer neuen ARD/ZDF-Mediathek mit dem dämlichen Titel "Germany's Gold", gegen die der VPRT naturgemäß etwas hat, berichtet der Tagesspiegel. +++ Was der Bauer-Verlag gegen die kostenlose Schulhofzeitschrift Spiesser hat, erklärt Altpapier-Autor René Martens in der TAZ. +++ Die Verheerungen, die die Bild-Groupon-Kooperation über kleinere Unternehmen bringen könnte, weiß die Berliner: "Groupon und Bild werden nun vor allem klären müssen, wie sie kleine Unternehmen davor schützen wollen, mit Anfragen überrannt zu werden, wenn die ganze Bild.de-Leserschaft auf sie losgelassen wird." +++ Einen ausführlichen Bericht über die Schummelei der Schulterzucker in der letzten "Wetten, dass...?"-Sendung von Thomas Gottschalk (vor dem alljährlichen Malle-Sommer-Special und den drei Special-Specials zur Verabschiedung im Herbst) liefert stern.de. +++
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