Vier Hochzeiten und ein Todesfall

Vier Hochzeiten und ein Todesfall

Landesmedienanstalt, was ist das denn? Ja, eben! Ein Abgesang auf die Landesmedienanstalten in ihrer bisherigen Struktur. Dafür wird Kates und Williams Hochzeit gleich viermal gefeiert – bei ARD, ZDF, RTL und Sat.1. Außerdem: Vorschau auf die re:publica, Rückschau auf den taz-Freitag-Kongress

Wichtige Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Die Internetkonferenz re:publica zum einen. Zum anderen die Hochzeit von Kate und William.

Beginnen wir mit letzterer. Die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) hat zum gemeinsamen "Wedding Event" geladen; die Funkkorrespondenz hat die Einladung abgedruckt (unser Bild) – um mit Autor Lutz Hachmeister zur Sache zu kommen:

"Allerdings verweist dieser 'Event', wie viele eher skurrile Projekte der Landesmedienanstalten, symbolhaft auf den Zusammenhang zwischen realer Bedeutungslosigkeit und verzweifelter Selbstbeschäftigung, der wiederum für den Zustand der deutschen Medienpolitik insgesamt kennzeichnend ist."

Oha. Ob die Focus-Meldung, dass die Internetausschreibung für den Posten des ZDF-Intendanten einen Rücklauf von null Bewerbungen ergab, auch den Zustand der Medienpolitik kennzeichnet oder doch nur dafür steht, dass Thomas Bellut seine Bewerbung wahrscheinlich nicht online einreicht – wer weiß?

Die Landesmedienanstalten jedenfalls sind – davon handelt Hachmeisters Text – tatsächlich so wurscht wie nie, denn – ultimativer Beleg – "auch die zornigen Medienjournalisten, die immer mal wieder die 'Abschaffung' dieser Länder-Medienbehörden forderten, sind verstummt – weil das Objekt der Berichterstattung wohl zu irrelevant geworden ist".

Was tun also? Hachmeister schlägt einen "Strukturwandel der Medienpolitik" vor – genau genommen meint er aber nicht nur,

"dass er angesichts der technologischen Entwicklung notwendig ist, sondern auch, dass er sich unabdingbar vollziehen wird. (...) Eine neue Generation von Medienpolitikern, die in und mit der kommunikativen Umwelt des Internets, also mit Google und Amazon, Facebook und Twitter sozialisiert worden sind, wird ohnehin mit einer anderen Perspektive auf Öffentlichkeit, Partizipation und den politisch-publizistischen Komplex blicken als diejenigen, die nur mit ARD, ZDF und wenigen dominierenden Presseverlagen aufgewachsen sind."

So wird's wohl sein. Beim "Wedding Event" wären wir trotzdem gerne dabei und bewerben uns hiermit online – womit die LfM schon eine Internetbewerbung mehr hat als das ZDF.

Nicht einzuladen braucht die LfM wohl, wenn wir das richtig verstehen, Joachim Huber vom Tagesspiegel, der sich über den Medienoverkill zur Hochzeit von Kate und William aufregt:

"In den Redaktionen herrscht helle Panik, Panik, dass irgendein Zuschauer, Zuhörer, Leser nicht schnell und nicht genug gefüttert wird mit dem Wedding-Quatsch. (...) Der 29. April – und das muss allen Klardenkenden im Land klar sein – kennt von Punkt neun Uhr an nur noch ein Programm: die 'Märchenhochzeit' (Sat 1), die 'Traumhochzeit' (RTL), 'das neue royale Traumpaar' (ZDF), 'eine Märchenhochzeit' (ARD). (...) Wenn die vier Hauptprogramme des deutschen Fernsehens so unsagbar doof sind, ein Ereignis viermal parallel zu übertragen, dann gewinnt immer das Erste. Das war noch bei jeder Katastrophe, bei jeder Bundestagswahl, bei jeder Hochzeit so."

Zeilen eines verklemmten Miesepeters, null Humor, null Romantik, von einem aus der Null-Toleranz-Zone. Joachim Huber antwortet prompt:

"Diese Zeilen hier und heute kommen von einem verklemmten Miesepeter, null Humor, null Romantik, von einem aus der Null-Toleranz-Zone, sagen Sie?"

Ja, genau!

"Nein, er kommt von einem Republikaner, der an die Errungenschaften der Aufklärung, der bürgerlichen Revolution glaubt. Bitte sprechen Sie mir nach: Nieder mit der Monarchie! Nieder mit dem Royalisten-TV! Ein Hoch auf die Tugendwächter Robespierre, auf Danton, auf Joseph-Ignace Guillotin!"

Gut zu wissen also, um die vorhandene Schärfe aufzugreifen, dass die Tagesspiegel-Medienseite über die Hochzeit kein einziges Wort mehr verlieren wird.

[listbox:title=Artikel des Tages[Wachsam, offen, mutig: Fernsehen (BLZ)##Digitale Gesellschaft vor Gründung (SPON)##Bloggen in Zeiten von Facebook (TSP)##Porträt Andre Müllers vom Januar (FAS)]]

Kommen wir zum anderen Mega-Event, das vor der Tür steht: die re:publica, ab Mittwoch in Berlin. Wiederum der Tagesspiegel fragt nach der Gegenwart und Zukunft des Bloggens in Zeiten der sozialen Netzwerke und Mikroblogs und findet diesbezüglich sorglose Promi-Blogger wie Markus Beckedahl von netzpolitik.org vor – Blogger sind ja keine Zeitungsverleger –, erfährt aber auch:

"Nur scheinbar im Widerspruch zur lakonischen Hinnahme der Veränderungen für die Weblogs steht bei alledem eine durchaus kritische Haltung der Blogger gegenüber den Social-Media-Plattformen. 'Dass monopolisierte Plattformen zentrale Infrastrukturen stellen, ist durchaus bedenklich', sagt Markus Beckedahl".

Jener Beckedahl ist es auch, der, wie Spiegel Online meldet, eine "neue Interessenvertretung" der Internetaktivisten – oder besser -aktivposten? – gründen will, die Digitale Gesellschaft, deren Website ab Mittwoch, wenn die re:publica beginnt, bespielt werden soll. Warum?

"Die entstehende digitale Gesellschaft braucht – sehr schnell – ein parteiübergreifendes, politisches Konzept für die digitale Demokratie, inklusive geeigneter Plattformen und Technologien" – schrieb Sascha Lobo vor kurzem in seiner Spiegel-Online-Kolumne.

Ob der Verein "Digitale Gesellschaft" von Beckedahl und Co. daran mitarbeiten kann, wird man sehen: Er "soll als Träger für diverse Kampagnen funktionieren und je nach Spendenaufkommen Stellen schaffen, um Politiker und Organisationen zu beraten. Auch die Europapolitik sei wichtig, so Beckedahl" – womit wir dann auch wieder, zumindest grob, beim "Strukturwandel der Medienpolitik" wären.


Altpapierkorb

+++ Der Medienkongress von taz und Freitag (siehe auch Altpapier vom Freitag) beschäftigt die Berliner und die Süddeutsche Zeitung je auf der Medienseite. SZ: "Zwei zentrale Fragen dominierten das Programm: Ist das Internet nun ein Medium der Befreiung, wie ein spannendes und beinahe verwirrend breit besetztes Panel mit Bloggern und Internetaktivisten aus Ägypten, China und Russland zeigte, oder ein Mittel der Selbstversklavung durch Informations-Overkill und überlaufende E-Mail-Postfächer?" +++ Und mit der Offenlegung, dass ich selbst beteiligt war, hier noch der Verweis auf Zusammenfassungen der Veranstaltungen bei kress, Pro, Telepolis, freitag.de und bei taz.de +++

+++ Was in der Welt passiert: RTL-Korrespondentin Antonia Rados schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung einen Gastbeitrag über das Leben der Journalisten in Tripolis +++ Die FAZ (S. 29) berichtet, in der seit Jahren um die Boulevardzeitung 'News of the World' schwelenden Abhöraffäre habe "das britische, zu Rupert Murdochs Medienimperium gehörende Verlagshaus News International überraschend seine Schuld eingestanden" und in 'News of the World' "eine 'uneingeschränkte' Entschuldigung für Abhöraktionen im Zeitraum von 2004 bis 2006" veröffentlicht +++

+++ Nachruf: André Müller ist tot, die SZ widmet ihm einen Nachruf (S. 15) +++ Hier ein online frei zugängliches Porträt der FAS vom Januar +++

+++ Medien und Geld: "Mehrere deutsche Privatsender gehen ein Bündnis mit der Pay-TV-Plattform Sky ein. Spätestens von September an sollen die HD-Versionen von acht privaten Fernsehprogrammen über Satellit auch mit Sky-Receivern zu empfangen sein", meldet die SZ (S. 15) +++ Die Constantin nach Bernd Eichingers Tod ist Thema der Spiegel-Medienseiten (128f.) +++ Bravo-Verlag Bauer wehrt sich gegen die Gratisauslegung von Spiesser (Spiegel) +++ Politiker diverser Parteien kritisieren die ARD für die Weigerung, Spendenaufrufe für die Katastrophenopfer in Japan zu senden (Spiegel), die ARD-Intendanten haben nun "alle Hilfsbündnisse, die um Spendengelder für Japan konkurrieren, aufgefordert, sich der Chancengleichheit wegen auf eine gemeinsame Spendenkontonummer zu verständigen" (Süddeutsche Zeitung) +++ Und das ZDF beschuldigt in der Kika-Affäre "die Leitungsebene um den heutigen NDR-Fernsehdirektor Frank Beckmann" (Spiegel): die Glücksspielleidenschaft des Beschuldigten, der den Kika betrogen haben soll, habe "nachweislich die Leitungsebene des Kika erreicht" +++

+++ Im Fernsehen – das ist diese Sache, wo man revolutionär auf der Couch liegt und ins Plasma glotzt – kommt auch wieder mal was: Unvergiftetes Lob gibt es von der Süddeutschen für den Fernsehfilm "Liebeslied" (ZDF, 0.25 Uhr): "Liebeslied ist großartig. Und schwer zu ertragen" +++ "Liebeskuss am Bosporus" ist ebenfalls Anlass zur Freude, auch wenn die Berliner kritisiert: "Ein bisschen weniger gute Absicht und etwas mehr Frechheit hätte dem 'Liebeskuss am Bosporus' gut getan." +++ Ebenfalls besprochen wird der Film (ZDF. 20.15 Uhr) von der FAZ (S. 31): "Erfreulich ist vor allem, dass der Film auf das Klischee einer türkischen Familie verzichtet, die immer noch nicht richtig in Deutschland angekommenen ist. Statt dessen zeigt er eine türkische Lebenswelt, die bei uns viel zu selten Beachtung findet" +++ Und vom Tagesspiegel, der schreibt: "Schwung und Tempo bestimmen den Film, dafür sorgen nicht zuletzt glorreiche Dialogzeilen wie 'Wenn der Döner spricht, haben die Zwiebeln Pause'" +++ Selbiger bespricht auch "Marx Reloaded" (Arte, 23.20 Uhr) und kritisiert: "Wir sehen viele intelligente Köpfe, die über Marx referieren. Doch was sie sagen, bleibt abstrakt, ein endloser Strom von Aussagen und Gegenpositionen" +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

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