Jungs, hier kommt der Masterplan

Jungs, hier kommt der Masterplan

Frische Journalismuszukunftsvisionen mit den Gebrüdern Renner sowie Wolfram "Hurra" Weimer. Außerdem: die Aura von Sat.1.

Um mal mit einer völlig verblüffenden Frage zu überraschen: Wie sehen eigentlich die Zukunftsaussichten des Journalismus aus? Zu dieser komplexen Frage - die, Spaß beiseite, Medienbeobachter natürlich circa viertelstündlich abwägen - liegen frische Ansichten vor.

Zum Beispiel: "Mein Bruder ist als nächster dran." Das sagte Tim Renner, der bekannte Überlebende des Untergangs der Musikindustrie (Foto links, Erfolgsbuch "Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm"), gestern zu seinem Bruder Kai-Hinrich (Foto rechts). Regelmäßige Altpapier-Leser wissen: Kai-Hinrich ist Journalist, Medienjournalist; früher hefteten ihm dankbare Aggregatoren das (lobend gemeinte) Etikett "Medienwühlmaus" an. Was Tim, der mit der Freude des Wissenden immer und überall Ähnlichkeiten zum Untergang der Musikindustrie erkennt, also meinte: Bald geht auch der Journalismus unter.

Freilich wurde diese Info dann auf gängige Weise (Qualitätsjournalismus geht schon nicht unter, zumindest wenn man den Begriff richtig versteht...) differenziert, freilich wurde Kai-Hinrich Renner davon auch nicht überrascht. Vielmehr haben die Brüder zum Thema ein gemeinsames Buch geschrieben, "Digital ist besser" (Auszug bei Carta), das sie derzeit vorstellen. Das also geschah in Berlin in netter Form ("Ich glaube, was mein Bruder sagen wollte...") und in Anwesenheit des für einen CDU-Politiker erstaunlich sachkundigen Parlamentariers Günter Krings. Am erstaunlichsten: Kai-Hinrich Renner entwickelt sich zu einem der am fundiertesten argumentierenden Gegner des Gesetzesvorhabens namens Leistungsschutzrecht (für Verlage). "Die Gekniffenen sind in erster Linie die freien Journalisten", sagte er zum Beispiel.

Wer noch mal zu den Befürwortern dieses Gesetzesvorhabens gehört? Zum Beispiel die CDU, zum Beispiel ganz besonders der Springer-Verlag, dessen Angestellter Kai-Hinrich Renner wiederum ist (hier sein, sofern man ihn nicht googelt, entgeltlicher ZDF-Champions League-Rechte-Kommentar von gestern). Eine Leistungsschutzrecht-Podiumsdiskussion zwischen ihm und Mathias Döpfner - das wäre mal eine Mediendiskussion, deren Besuch sich wirklich lohnte.

Was noch mal garantiert nicht untergehen wird? Der Qualitätsjournalismus! Das sagt auch in einem gewöhnlich sehr gut informierten Medium, der Wochenzeitung Die Zeit (S. 26; online verfügbar: knappe Vorabmeldung, meedia.de-Aggregat), einer der es wissen muss: Focus-Chefredakteur Wolfram Weimer. Geradezu bestens drauf zeigt er sich gegenüber den Interviewern Götz Hamann und Anna Marohn:

"... ... Ja, weil wir bewusst auf aktuellen Qualitätsjournalismus gesetzt haben. Das ist ein Signal, auch an all diejenigen, die düster behaupten, es ginge nur noch um Boulevard, Billigjournalismus und Gefühlsthemen."

Zeit: "Wie schlägt sich das wirtschaftlich nieder?"

Weimer: "Wir verdienen wieder gutes Geld."

Soweit ein recht repräsentativer Auszug aus dem recht seltsamen Gespräch, in dem Interviewer und Interviewter sich derart intensiv über die neueren und etwas älteren Verkaufszahlen des Focus streiten, dass es Lesern geholfen hätte, wenn die Zeitung ihre Eigenanzeige auf der Seite etwas kleiner gefahren und so noch Platz für eine Grafik gefunden hätte, um diese offenbar so wichtigen Zahlen auch abzubilden. Weil's aber so schön ist (und sonst so wenig los heute) noch ein Auszug, der auch feuilletonistisch gesinnteren Lesern eine kleine Perle bietet.

Weimer: "... .... Der Markt ruft uns zu: Hurra, der Focus ist wieder da."

Zeit: "Unser Eindruck ist weiterhin, dass der Focus nicht richtig wahrgenommen wird."

Weimer: "Ich bitte Sie: Uns lesen jede Woche fünf Millionen Menschen, und es sind interessante Menschen, die urbane Führungselite des Landes. Sie sind süddeutscher und beruflich erfolgreicher als die Leser des 'Spiegels'. Es sind ambitionierte Menschen, die wie Thomas Mann einmal sagte, verliebt sind ins Gelingen. Sie haben eine konstruktive Weltsicht."

Um jetzt rasch noch eine dritte frische Journalismuszukunftsvision anzubieten: "Eine immer wichtiger werdende Aufgabe der Journalisten wird in Zukunft sein, die Perlen herauszufischen und ansprechend aufzubereiten", argumentiert Bernd Oswald in einem Beitrag auf onlinejournalismus.de, dessen Alleinstellungsmerkmal zumindest im Aufbereiten des schönen Begriffs Kuratieren besteht: "Wenn sich Journalisten in die Rolle des Mehrwert schaffenden Kurators begeben, entsteht eine neue Form des Storytellings."

Uns ist noch nicht ganz klar, ob dieses Kuratieren etwas grundsätzlich Anderes, Ambitioniertes, Urbaneres, vielleicht sogar Süddeutscheres ist als das bekannte, schnöde Aggregieren. Aber wer ins Gelingen verliebt ist, sollte sich diesen Journalismuszukunftsbegriff jedenfalls merken.

[listbox:title=Artikel des Tages[Marc Fischer ist tot (SZ)##ZDF-Fußball-Coup in den ZDF-Nachrichten (SZ)##Journalisten, kuratiert! (onlinejournalismus.de)##Neue süddeutsche Wochenzeitung: "Kontext"##Kai-Hinrich Renners GEZ-Reform-Vorschlag]]

Jetzt noch rasch zu den im eigentlichen Medienjournalismus laufenden Diskursen. Zum gestern vorherrschenden Topthema des Champions League-Rechtekaufs durchs ZDF wundern sich heute FAZ (S. 37) und Süddeutsche unisono über die Art und Weise, in der dieses ZDF seinen Coup in seiner Hauptnachrichtensendung seinem Publikum mitteilte: völlig ohne auf die dreistellige Millionensumme aus seinen GEZ-Einnahmen hinzuweisen, mit denen das ZDF seinen privatwirtschaftlichen Konkurrenten überbot.

Daneben schürt die FAZ auf einer anderen, emotionaleren Ebene Stimmung für den bisherigen und noch eine Saison lang weiteren Champions League-Sender Sat.1, nämlich mit dem gewaltigen Medienseiten-Feuilleton "Mailänder Pokalnächte enden nie", das um die "Aura" des Fußballfernsehabends vorgestern kreist, "die auch Sat.1 zu verdanken war".

"Am Dienstag hat der private Fernsehsender Sat.1 zunächst eine bittere Niederlage erlitten, die ziemlich unverdient und vor allem der höchst unfairen Spielweise des Gegners geschuldet war. Ganz am Ende des Tages, also kurz vor Mitternacht, ging die Sat.1-Mannschaft dann doch als Sieger vom Sendeplatz. Mehr als drei Stunden lang hatte das Team um den Gastkommentator Franz Beckenbauer, den Moderator Johannes B. Kerner und den Reporter Wolff-Christoph Fuss zuvor bewiesen, dass es dem unerwartet glanzvollen Geschehen im Mailänder Giuseppe-Meazza-Stadion nicht nur professionell gewachsen war, sondern ihm durch spontane Flexibilität auch noch einen atmosphärischen Mehrwert zu bescheren vermochte",

schreibt Jochen Hieber. Und hat sicher Recht. Mit Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn wäre so etwas schwer vorstellbar.


Altpapierkorb

+++ Der Tod ist natürlich doch schlimm. Ganz besonders, wenn er im Alter von 40 Jahren kommt. Marc Fischer ist tot. Seine Texte "besaßen Soul und Groove, seine Worte tanzten mit ungeheurer Lässigkeit auf dem Papier", heißt es im Nachruf der Süddeutschen. +++

+++ Es gibt wieder ein neues Medium, seit gestern online (unter kontextwochenzeitung.de), ab Samstag print (als TAZ-Beilage zumindest im süddeutscheren Raum): Josef-Otto Freudenreichs Wochenzeitung Kontext, Die Webseite "sieht fast wie eine gedruckte 'taz'-Seite aus, total Internet-untypisch: keine penetranten Singlebörsen- und sonstige Banner und Pop-Ups. Ruhe statt Hetze. Langtext pur, bis auf ein paar Fotos, die meist Freudenreichs Mitstreiter und Mitschreiber Meinrad Heck geschossen hat", beschreibt Senta Krasser sie im Tagesspiegel. Die Süddeutsche führt dazu ein Interview mit dem Unterstützer und früheren Daimler-Chef Edzard Reuter, dessen Telefonnummer Marc Felix Serrao am Ende bekannt gibt. +++

+++ Nicht mehr ganz neu: die Zeitschrift Enorm, die "in der ersten Liga der Wirtschaftsmagazine durchaus mitspielen will - und kann" (Berliner Zeitung). +++

+++ Stellt sich Günther Jauch da in irgendeine welterschütternde Tradition, oder ist's reiner Terminzufall? Jedenfalls besteht die Topnachricht von der jüngsten ARD-Intendantensitzung, die gestern in Stuttgart endete, darin, dass Jauchs erste ARD-Talkshow am Sonntag, dem 11.9. dieses Jahres gesendet werden soll (FR/ BLZ, SZ). +++ Zumindest sofern man nicht doch die Doch-wieder-Einschaltung des ARD-Programms via Satellit nach Afghanistan für die Top-Nachricht hält, wie es natürlich Michael Hanfeld in der FAZ unter den Überschriften "Kehrt Marsch!" (online) bzw. "Auf dem Absatz kehrt" (print) tut. Auch die Süddeutsche macht's zu ihrem Medienseiten-Aufmacher (Überschrift: "Der Verteidigungsfall"; "Was von der ARD offensichtlich völlig verkannt wurde, ist die Emotionalität des Themas"). Siehe auch Tsp.. +++

+++ Die TAZ beschäftigt sich heute mit der Studie, in der sich Otto-Brenner-Stiftung ("gewerkschaftsnah") in Gestalt der Autoren Wolfgang Storz und Hans-Jürgen Arlt mit der Bild-Zeitung beschäftigt und zum verblüffenden Ergebnis gelangt, diese sei "im Kern kein journalistisches Medium" (siehe Süddeutsche, Altpapier vom Dienstag). Steffen Grimberg findet allerdings, dass die Autoren teils "zu kurz springen". Hübsch, dass die TAZ online auch ein PDF präsentiert, in dem die Studien-Autoren ihre Studie so präsentieren, wie sie glauben, dass die Bild-Zeitung selbst sie präsentieren würde. +++

+++ Und erstaunlich: Es gibt doch immer noch Fernsehkritiker, die sich über Degetofilme erregen können. "Nur das 'Traumschiff' fehlt: Der neue ARD-Kommissar Tony Costa ist lächerlich", schreibt Daniel Grinsted in der FAZ. Abgeklärtere Kritiker hingegen können sich doch "über schöne Ibiza-Bilder, interessante Drehorte, eine schmucke Hauptfigur und nicht minder attraktive Nebendarstellerinnen freuen." +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.
 

 

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