Grünfunk und Nasenhaare

Grünfunk und Nasenhaare

Was den Grünen die Atomenergie, sind der CDU die Öffentlich-Rechtlichen: ARD und ZDF sollen gefälligst nicht wie RTL werden, fordert ein CDU-Politiker. Das ZDF will derweil wie RTL werden. Zudem steht die Frage im Raum, ob wir nun auch einen Grünfunk bekommen

Die wichtigsten Themen des Tages sind, neben jenen aus Japan und Libyen, zweifellos die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.

Zugunsten der Medienseiten sollte man Wahlen auf Samstag verlegen: Die gedruckten Medienseiten beschäftigen sich mit dem sog. Beermann-Papier, Julian Assange und den schon wegen der Möglichkeit, den Montagsaufmacher so schon am Donnerstag vorzuproduzieren, wie immer montags rezensierten Fernsehprogrammen. Nicht mal Der Spiegel hat nach Sonntag, 18 Uhr, noch, wie kürzlich, eine Aktualisierung seines Titels hingekriegt, um das Tagesgespräch vom Sonntag und Montag noch ins aktuelle Heft zu schaffen: "Die Heilkraft des Fastens" ist der Spiegel-Titel. Werden irgendwo Wetten angenommen, wie das Heft läuft? Ich würde gegebenenfalls auf "gut" setzen.

Der Focus geht dagegen davon aus, dass die Landtagswahlen schon irgendwie ausgehen und irgendwelche Konsequenzen für den Bund haben werden und titelt mit einer Doppel-Merkel: "Misserfolg" und "Miss Erfolg". Die Orientierungsfunktion des Journalismus ist ja vielleicht auch nicht mehr so wichtig heutzutage.

Immerhin die Berliner Zeitung hat im Wochenend-Magazin schon das eine oder andere Medienkritische zum Wahlabend gesagt, an dem erwartungsgemäß Heiner Geißler in einer beliebten Fernseh-Talkshow abhing:

"Der deutsche Talk-Gast sollte möglichst viele Haare in der Nase und in den Ohren haben."

Als zurückgelehnte Einschätzung des Gesamttbils kann man das gelten lassen. Die medienjournalistisch und aktuell relevanten Wahl-Reflexionen finden allerdings naturgemäß eher online statt. Faz.net etwa widmet die Fernseh-Frühkritik der Wahlberichterstattung und macht sich ein wenig über das Prinzip Touchscreen (siehe auch obiges Foto von touchy Theo Koll) lustig, bevor sie den Wahlabend medial als "konventionell" geißlert.

Die medienjournalistisch immerhin zum Teil interessanten Leitartikelminiaturen von Twitter-Großmeister @peterglaser und das #wahlzoten-Mem sollen nicht unerwähnt bleiben. Und vor allem nicht diese Frage des Medienjournalisten Daniel Bouhs, der via Social Network fragt: "Bekommen wir jetzt auch einen Grünfunk?"

Dass das neu wäre, beweist ein Blick in die Wikipedia: "Ähnlicher Begriff: grünfink" heißt es dort als Antwort auf die Suche nach "Grünfunk".

Womit wir bei Politikern wären, die es nicht ganz so eng nehmen mit der eigentlich ja nicht ganz so blöden Idee, dass nicht jeder nach Belieben in die Öffentlich-Rechtlichen reinquatschen sollte. Zum Beispiel der Kopf hinter dem oben erwähnten sog. Beermann-Papier:

"Der Unionspolitiker Johannes Beermann, Staatskanzleichef in Sachsen, hat seine Rolle in einer garantiert atomkraftfreien Debatte gefunden. Er will ARD und ZDF zu einem Fernsehen zwingen, das weniger Gebühren kostet",

schreibt die Süddeutsche Zeitung (S. 15). Die Öffentlich-Rechtlichen sind ja bekanntlich die Atomkraft der Union – weniger ist mehr. Und irgendjemand will ja immer irgendwas im Zusammenhang mit ARD und ZDF. Aber man kann Beermanns Ideen ja trotzdem mal konkreter benennen. Nicht nur die SZ macht das, "zuerst" (wie die SZ schreibt) zitierte Beermanns "zehnseitiges 'Zielpapier'" Der Spiegel (S. 77, hier Zusammenfassung): Beermann

"wirft ARD und ZDF vor, ihren Auftrag aus dem Blick verloren zu haben. (...) Den Privaten hinterherzulaufen und sich in einen Quoten-Wettbewerb mit RTL und Co. zu begeben, so Beermanns Analyse, sei ebenso falsch wie teuer. Doch von den Sendern selbst sei keine Kurskorrektur zu erwarten."

Was man irgendwie nicht ganz falsch nennen muss, aber trotzdem erstmal als das Gequatsche betrachten kann, das es ist, wie die SZ andeutet:

"Als Strategie seiner Arbeitsgruppe schlägt Beermann vor, auf das Ausgewogenheitsgebot zu zielen - das durch 'Tendenzen der Selbstkommerzialisierung' unterlaufen werde. Das klingt umständlich und ist es auch. Grund: Die Länder müssen die Programmautonomie der Sender achten, für Eingriffe gibt es enge verfassungsrechtliche Grenzen."

Der nordrhein-westfälische Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann (SPD) kommentiert Beermanns Ideen wiederum im Spiegel mit den Worten , "es gibt keinen Grund, die Sache durch noch mehr Arbeitsgruppen aufzublähen.'"

Andererseits ist da noch, um die medienpolitische Diskussion zu befeuern, das gute Timing des ZDF-Chefredakteurs Peter Frey zu erwähnen, der dem Focus (S. 106) ein Interview gegeben hat: Er "will die abendlichen 'heute'-Nachrichten verbessern – und sich dafür Anregungen bei der privaten Konkurrenz holen", wie der Tagesspiegel zusammenfasst, der folgerichtig im selben Text auch, via dpa, den Bogen zu Beermann schlägt.

[listbox:title=Artikel des Tages[Wahlabend (faz.net)##Nasenhaare für Talkshows (BLZ)##Über "Underground" (FAS)##Typisch japanisch? (FR)]]

Dann hätten wir aber noch zwei weitere Perspektiven auf die ARD: die Mitmacher- und die Zuschauerperspektive, konkret nochmal zur "Echo"-Verleihung. Stefan Niggemeier bloggt darüber aus dem Blickwinkel dessen, der beinahe im Abspann gestanden hätte:

"Auf zwei Leute, die sich Ideen ausdenken, kommen gefühlt zweihundert, die dafür zuständig sind, sie zu verhindern. (...) Erstaunlicherweise haben die meisten Menschen, mit denen man diskutieren muss, aber gar nicht selbst Bedenken, sondern antizipieren nur mögliche Bedenken anderer, die sie dann vorsorglich potenzieren."

Und FAS-Feuilleton-Chef Claudius Seidl hat sich, statt "Echo" zu gucken, um die feinen Unterschiede gekümmert:

"Zeitung gelesen, im Internet den neuesten Stand aus Japan erfahren, zwanzig Seiten in Vogls 'Gespenst des Kapitals' gelesen, danach noch eine Folge 'Mad Men'. Herrlich. Das ist das Glück des Gebührenzahlers: Wir bezahlen die ARD dafür, dass sie uns vom Fernsehen abhält."

Während das Feuilleton also der Ort bleibt, an dem eine Folge "Mad Men" nicht schaut, sondern liest, bleiben die Medienseiten für die Details der Programmstruktur zuständig. In der Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau (außer ebenfalls um die Umbaupläne des ZDF) auch um einen "Perspektivwechsel" der ARD:

"Der neue Vorabend soll sich nicht mehr an das ganz junge Publikum richten, wie es mit den Erfolgsserien 'Berlin, Berlin' und 'Türkisch für Anfänger' zeitweise erreicht wurde – und dafür die älteren Zuschauer vergraulte. (...) Das bedeutet, dass künftig weniger die 14-Jährigen als vielmehr die 40-Jährigen angesprochen werden sollen."

Einem soeben erfundenen Gerücht zufolge soll in Arbeitsgruppe 8b bis 2015 eine fundierte Kritik an diesem Konzept ausgearbeitet werden.


Altpapierkorb

+++ Unter anderem evangelisch.de ist Thema des SZ-Medientextes (S. 15) von Matthias Drobinski. Er konstatiert, abgesehen davon, dass "gut" aussehe, "was die online-Kollegen von evangelisch.de auf die Beine stellen", dass "die Massenwirkung (...) bislang ausgeblieben" sei – Kirchenblätter und ihre Netzauftritte sieht er allgemein eher in einer Nische statt auf einem Massenmarkt +++ Mehr sozusagen Kirchenmedien: Pastorensohn Joachim Kosack, "Fiction-Chef" von Sat.1, im Tagesspiegel-Porträt +++

+++ FAS und Spiegel Online besprechen beide den Roman "Underground", der demnächst bei KiWi erscheint: Julian Assange hat vor Jahren daran mitgearbeitet und, so die FAS, die "eine sehr interessante Perspektive auf die Figur Assange" entdeckt, "war, was mittlerweile keiner mehr dementiert, auch einer der Protagonisten des Buches, ein jugendlichen Hacker mit dem Tarnnamen Mendax" +++

+++ Mehr zum Thema Transparenz: Konstantin Neven DuMont ist in einem bekannten, ihn persönlich betreffenden Fall der Meinung, "anonymen Denunzianten" werde "immer noch zu viel Platz in der Presse eingeräumt" – oder andersherum: Journalisten sollten demnach ihre Quellen verraten (siehe Twitter – Anmeldung bei Facebook erforderlich) +++

+++ The iPad2 ist da, und während kress "Store-Stau"-Videos einbindet, werden einige Zeitungen etwas ausführlicher: Marin Majica hat das Teil für die Berliner Zeitung getestet und erwähnt das Gute ("Das iPad 2 zielt auf Beiläufigkeit") wie das Schlechte ("Von den Fehlern seines Vorgängers hat das iPad 2 im Grunde keinen behoben") +++ Auch die FAS widmet sich dem iPad2 – im Feuilleton und im "Technik & Motor"-Teil +++

+++ Die FAZ bespricht den "Spreewaldkrimi" (S. 31), ebenso die Berliner Zeitung, die taz und der Tagesspiegel, und die Süddeutsche widmet sich im Medienseitenaufmacher Darstellerin Jenny Schily (S. 15) +++ Ebd. besprochen: "Die Ake Kleist" (Arte, 21.55 Uhr) +++

+++ Dieses Interview aus der BLZ / FR schwappte noch, etwas verspätet, auf unseren Tisch: "Herr Professor Mishima, in Deutschland ist viel von der bewundernswerten Ruhe der Japaner angesichts der Ereignisse die Rede. Ist dieser Eindruck richtig?" Antwort: "Ihre, mit Verlaub, naive Frage macht mich ratlos. Sie zeugt eher vom bewunderungswürdigen Projektionsvermögen, das in einer modernen Gesellschaft wie der mitteleuropäischen wurzelt. Mit welchen Indikatoren glauben Sie, eine solche These aufstellen zu können, auch wenn sie mit gewisser Vorsicht geäußert wird? Waren die meisten Bürger, die in Sachsen vor ein paar Jahren vom Hochwasser getroffen wurden, nicht ebenso diszipliniert und gegenseitig hilfsbereit?" +++ Das Interview mit der Gegenthese – es gebe sehr wohl "typisch japanische Eigenschaften": heute im Blatt +++

+++ Und um das Ganze abzurunden mit den Tags #Japan und #ARD: Dass die ARD nicht zu Spenden aufrufe, stößt auf Kritik (Spiegel) +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

 

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