Sollten Nachrichten mit Musik unterlegt sein? Hat "Bild" jemanden in Japan? Und was macht eigentlich ProSiebenSat.1 ohne N24, wenn etwas Newsträchtiges jenseits des Wok-Fahrens passiert?
Nichts sehnt der Atombefürworter mehr herbei, als dass wider alle Wahrscheinlichkeit für immer alles gut geht. Oder um aus den Weiten des Internets einen bekannten Medienmann zu zitieren: "Was für ein Problem hat eigentlich Jan Fleischhauer?"
"Nichts sehnt der Atomgegner im tiefsten Herzen mehr herbei als den Unfall: Daher der jubilierende Ton vieler Katastrophenmeldungen", behauptete dieser Tage via Twitter der "Unter Linken" aufgewachsene Spiegel-Redakteur, der sein publizistisches Dasein mittlerweile mit einer auf alles anwendbaren Haltung fristet: Der linke Mainstream ist blöd.
Das Erdbeben und die folgende "Havarie der japanischen Atomreaktoren" (Spiegel jubilierend) jedenfalls ist, darauf zumindest weist Fleischhauer mit seinem Tweet hin, ein potenzielles Thema der Medienmedien – allein, es steigt heute keine Medienseite darauf ein. Der vermeintlich linke Medien-Mainstream, dessen Existenz auch in der Causa Guttenberg wieder behauptet wurde, ist und bleibt wohl einfach eine steile These konservativer Thesenanspitzer.
Interessanter ist da schon, dass, während am Freitagabend etwa tagesschau.de, heute.de, sueddeutsche.de und Spiegel Online mit Radioaktivität im Reaktor aufmachten, die zu diesem Zeitpunkt per Eilmeldung um die Welt ging, etwa BBC und CNN das Thema noch verschliefen. Vielleicht wäre das ein Ansatzpunkt für noch kommende Medientexte über das Atomunglück: der internationale Vergleich. DWDL und vor allem, wie immer, Meedia machen mit einem Titelseitenvergleich, in den auch US-(DWDL) bzw. internationale Zeitungen integriert sind, den Anfang. Zum Titelseitensieger vom Samstag wird an dieser Stelle die FAZ gekürt (einfach bei Meedia blättern).
Was die Berichterstattung der deutschen Medien und deutschsprachiger Kanäle betrifft: Carta fasst die subjektiv wichtigsten Tweets zum Thema zusammen. Der Twitter-Account von Zeit Online stellte sich schnell als ein bemerkenswerter Informationskanal heraus. Bild Online zitiert an prominenter Stelle – am Sonntagabend war er Teil des Aufmachers – einen Leser-Reporter, was die Frage aufwirft, wer eigentlich für Axel Springer in Japan sitzt. Ist sie oder er im Urlaub? Hat keinen Bock, Bild mitzubedienen? Oder nur Thesen im Repertoire, die nicht aufmacherfähig sind?
Was jedenfalls der Leser-Reporter behauptet – die japanische Regierung verharmlose die Katastrophe –, steht zum Beispiel nicht in der taz, die nicht nur, wenn es gerade brennt, atomkritisch ist. Dort steht in einem Interview (auch auf taz.de) mit dem internationalen Sprecher der japanischen Anti-AKW-Aktivisten vom Citizens' Nuclear Information Center Tokio:
"Wir wissen vieles noch nicht und können deshalb kaum beurteilen, wie selektiv die Regierung informiert. Wir hätten gern mehr Informationen, aber noch haben wir keine Hinweise auf systematische Vertuschungen. Die Regierung legt den Schwerpunkt stark auf die Beruhigung der Bevölkerung, um Panik zu vermeiden. Das ist verständlich, denn bei Panik können Hilfe und Evakuierungen kaum organisiert werden. Andererseits gibt es die Möglichkeit, dass die Situation noch viel schlimmer wird, und da untertreibt die Regierung."
Die Berichterstattung aus und über Japan wird auch auf den Medienseiten Thema. Festhalten lässt sich, dass eine Sendung der ARD am Samstag ausfiel, obwohl sie just an diesem Wochenende das "Wetten, dass..?"-Alter von 30 feiern wollte: Ein "Brennpunkt" ging vor. Sueddeutsche.de fasst es im Online-Medienressort so zusammen:
"Für viele Fernsehzuschauer – und das ist vermutlich Fernsehwahrheit – war das ARD-Programm gestern eine große Enttäuschung: Denn der Musikantenstadl wurde nicht gesendet."
Das ist bitter für den "Musikantenstadl", dessen Jubiläum am Samstag noch die Berliner Zeitung erwähnt hatte, ebenso wie zuvor Markus Lanz im ZDF, der den ausrangierten Gründer Karl Moik zum Abkotzen geladen hatte (siehe Augsburger Allgemeine). Doch bitter für den "Musikantenstadl" heißt ja üblicherweise: gut für die Welt.
In diesem Fall ist es zumindest wohl so, dass es für die Öffentlich-Rechtlichen eindeutig wichtigere Themen gibt als die "Musikantenstadl"-Quote: die "Brennpunkt"-Quote, die laut zitiertem sueddeutsche.de-Beitrag bei 5,6 Millionen lag statt bei knappen 5 Millionen beim Standard-Stadl. Der Tagesspiegel allerdings schreibt über die Quoten, was dann doch etwas anders und auch genauer klingt (und sich etwa mit den SZ-Print-Informationen deckt):
"Statt 'Musikantenstadl' zeigte die ARD um 20 Uhr 45 die Doku 'Tschernobyl – Der GAU und die Ohnmacht der Politik' danach eine verlängerte Ausgabe der „Tagesthemen“. Diese Entscheidung, brachte der ARD viel Respekt ein, jedoch nicht so viele Zuschauer. Die Doku sahen 3 Millionen Zuschauer, die 'Tagesthemen' 3,26 Millionen. Beim 'Musikantenstadl' schauen um die fünf Millionen zu."
[listbox:title=Artikel des Tages[Brauchen Nachrichten Musik? (Tagesspiegel)##ProSieben ohne News (DWDL)##Die zweite Staffel als Maßstab (BLZ)]]
Jenseits der Quoten wird heute die musikalische Umrahmung der Beiträge aus Japan diskutiert. Ob es wirklich diskutierenswert ist, ob die "im ZDF-'heute-journal' zu den zusammengeschnittenen Unglücksbildern aus Japan im Hintergrund laufende Trip-Hop-Musik von 'Massive Attack' angemessen war", darüber lässt sich sicher streiten. Der Tagesspiegel findet: ja, diskutierenswert, ebenso die musikalische Bilduntermalung von N24: "(S)o werden Nachrichten zur gruseligen Unterhaltung", meint Lorenz Maroldt. Und: "Zu Nachrichten gibt es nicht die richtige Musik oder die falsche, hier passt Musik gar nicht." Was die (übrigens nicht rhetorisch gemeinte) Frage aufwirft: Ist das so?
ProSiebenSat.1 zeigt, wie man das Problem – Musik zu Nachrichten oder nicht? – besonders elegant lösen kann: Die Sendergruppe spart sich nach der Trennung vom Nachrichtenkanal N24, der nur noch im Auftrag zuliefert, einfach weitgehend die Nachrichten. DWDL kommentiert:
"Am Wochenende lieferten die beiden großen Vollprogramme der Sendergruppe eine wenig überraschende und trotzdem immer noch beschämende Leistung ab: Sie ignorierten die Ereignisse in Japan weitestgehend."
Blöd, wenn dann, legt man die hausinterne Erfolgslogik zugrunde, auch noch die hauseigene Newsproduktion, die Wok-WM, abschmiert (kress hat die Quoten).
Bliebe noch dies: Der Spiegel hat am Samstag noch schnell seinen Aufmacher umgeworfen (siehe obige Screenshots: links alt, rechts neu). Aus dem frühen mit der Zeile "Unser feindlicher Planet", mit dem der Spiegel am Sonntag noch an vielen Kiosken lag, wurde der politischere und deutlich bessere: "Fukushima, 12. März 2011, 15.36 Uhr. Das Ende des Atomzeitalters". Der Spiegel bekommt für diesen Schritt Extra-Fleißpunkte und auch Lob, etwa von Carta:
"Das Cover ist doppelt spekulativ: Denn weder war zur Drucklegung klar, was für eine Explosion sich dort erreignet hat, noch waren ihre langfristigen Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Diskurs seriös zu prognostizieren. Das Cover kann dennoch – und gerade deshalb – als äußerst gelungenes Stück Meinungs- und Magazinjournalismus gelten: Es verbindet die zentrale ikonische Repräsentation der Katastrophe mit einer der dichtmöglichsten Interpretationen."
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+++ Abstrakte Malerei: Die taz zeigt in der Medienseitenrubrik "Mitarbeiter der Woche" ein gezeichnetes Porträt Oliver Pochers (steht jedenfalls drüber) +++
+++ Medienkunst (vulgo Fernsehen): Wieder jede Menge Fernsehkritiken für all die erstaunlichen Leute, die zeitgebunden fernsehen: "Schandmal" (ZDF) wird besprochen von evangelisch.de, Tagesspiegel, Berliner Zeitung und auf der montäglich eingedampften Medienseite der FAZ +++ Die taz bespricht "Der letzte Bulle" (Sat. 1) und eine Dokumentation zum 80. Geburtstag von Janosch (SWR) +++ Der Tagesspiegel bespricht außerdem, genau wie die Berliner Zeitung, den ARD-Zweiteiler "Fremde Heimat" +++ Die SZ bespricht "Danni Lowinski" +++ Die Berliner Zeitung bespricht in einer Doppelrezension "Danni Lowinski" und "Der letzte Bulle" +++
+++ Das jetzt-Magazin des Süddeutschen Verlags erscheint seit heute wieder gedruckt – jedenfalls viermal jährlich +++ Die SZ macht ihre Medienseite (S. 15) mit einem Artikel über Kurt Kuch auf, einen investigativen Journalisten in Österreich, der ein Buch geschrieben hat. Der Autor heißt Klaus Ott, investigativer Journalist in Deutschland +++ Und in den "Nachrichten aus dem Netz" im Feuilleton der SZ geht es um den Facebook-Like-Button und originellerweise um eine Verdummung durch das Internet: "Internetskeptiker dürften sich in ihren Thesen von der schleichenden Verdummung durch das Netz bestätigt sehen" +++
+++ Der Spiegel widmet dem Fernsehmoderator Dieter Moor mehrere Seiten – seine Selbstvermarktung als Biobauer im Brandenburgischen komme bei den Einwohnern seines Dorfes allmählich nicht mehr gut an (S. 68 ff.) +++ Springer-Sat.1: Abendblatt-Chefredakteur Claus Strunz spricht ebd. über seine Talkshow bei Sat. 1 +++ Sarah Kuttner ist wieder im Ersten zu sehen (S. 66) +++ Und: Produzent Nico Hofmann ("Dresden" usw.) will nichts mehr mit dem Dritten Reich zu tun haben. Blieben noch die RAF und die DDR +++
Das Altpapier stapelt sich am Dienstag wieder.