Die ARD beweist, dass es von Lena zu Lierhaus nach Kairo jeweils nur Katzensprünge sind. Öffentlich-Rechtlichen-Kritik macht sich an allen Punkten fest.
Weltpremiere schon wieder im Internet: Erstmals wurde gestern mittag die zumindest unter aktuell berichten müssenden Medienjournalisten beliebte Pressekonferenz, die traditionell die turnusmäßig stattfindenden ARD-Intendantenkonferenzen abschließt, live und in HD-Qualität ins Netz gestreamt.
Noch bevor Programmdirektor Volker Herres auf sein Steckenpferd kam, nämlich für die ARD vorteilhafte Zahlen aus von der ARD in Auftrag gegebenen Marktforschungsaktivitäten in netter Form zu interpretieren, ging es dort ums weiterhin wichtigste journalistische Topthema Ägypten.
Die neue Vorsitzende der ARD, Monika Piel, erläuterte, wie die Intendanten die zweitägige Versammlung nutzten, sich ihres "Wertekoordinatensystems" zu vergewissern, mit der Ägypten-Berichterstattung zufrieden zu sein, "die 'ganzen Brennpunkte'" wie auch die "Aufarbeitung bei Anne Will" sowie Frank Plasberg angemessen zu finden sowie Vergleiche mit der BBC zum eigenen Vorteil ausgehen zu lassen. Keine Selbstkritik? Doch, schon: Man könnte während des laufenden Programms vermehrt auf Sondersendungen und Phoenix hinweisen.
Kein Wunder, dass die FAZ in Gestalt ihres Medienredakteurs Michael Hanfeld dieses rote Tuch unter der Überschrift "Insel der Seligen" (S. 33, derzeit nicht frei online) gern aufspießt. Piel
"rückte gestern bei einer Pressekonferenz mit einer neuen Begründung heraus, warum die Rede des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak in der vergangenen Woche im Ersten eine eher nachgeordnete Rolle spielte. Mubarak sei 'ein nicht frei gewählter Staatsmann', dem man nicht einfach so Raum geben könne. Es gelte, die Dinge einzuordnen und sich nicht manipulieren zu lassen. 'Das wäre so, als wenn wir jetzt jede Rede von Fidel Castro live zeigen würden', hatte zuvor der Nachrichtenchef Gniffke entgegnet, nachdem in dieser Zeitung kritisiert worden war, dass Mubaraks Auftritt am 1. Februar im ersten – wie im zweiten Programm – eine eher untergeordnete ... Rolle spielte... Soll damit etwa angekündigt werden, dass die ARD Castros letzte große Rede auch historisch falsch einschätzen wird?"
Hanfeld entwickelt leider nicht die Ansicht weiter, dass "die schiere Masse der Sendungen" in vielen Programmen noch kein gutes Programm ergibt, sondern attackiert auch noch ARD aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke, sowohl weil dieser gerade wegen seines Eintrags zu Monica Lierhaus auch von meedia.de (unter der Schlagzeile "Der blasierte Herr Gniffke und sein Alibi-Blog") attackiert wurde, als auch, weil er neulich wiederum die FAZ attackiert hatte.
Bevor man sich in Kleinkriegen einzelner Leitmedien verliert, kann man auch zur Agenda der gestrigen ARD-Pressekonferenz zurückkehren, auf der Lierhaus selbst ebenfalls Thema war. Das interessierte besonders den Berichterstatter des Tagesspiegel (wie auch der Stuttgarter Zeitung, die allerdings vorm Online-Lesen 0,50 € fordert). Thomas Gehringer schreibt, über Lierhaus' überraschenden Auftritt bei der großen Springer-/ ZDF-Galashow am Samstag (siehe Altpapier) sei die ARD nach Auskunft Herres' "vorab informiert" gewesen, ohne an der "Gestaltung" des Auftritts beteiligt gewesen zu sein.
Bevor wir bei dem Thema bleiben, haken wir noch rasch weitere Punkte der ARD-Agenda ab.
Auf der stand ferner Lena Meyer-Landrut, bekanntlich ein besonderes Steckenpferd des Süddeutsche Zeitungs-Korrespondenten Hans Hoff. Daher geht's in dessen Bericht zur ARD-PK praktisch ausschließlich um die aktuellen Lena-Shows und allenfalls noch um die Leichtathletik-Weltmeisterschaft, deren TV-Übertragung an der scheinbar noch nicht ganz geklärten Finanzierung der Schlager-Grand Prix-Veranstaltungen scheitern könnte. "Entscheidend ist, dass wir am Ende einen guten Song haben", diese Aussage des für Lena besonders zuständigen NDR-Intendanten Lutz Marmor hält Hoff für zitierenswert.
Die Berlin/ Frankfurter DuMont-Presse erstaunt in ihrem Bericht über dieselbe Veranstaltung für einen Moment durch ihre Überschriften "Wie aus Filz", die sich dann aber doch nur auf das Giveaway für physisch anwesende Journalisten, "einen Schlüsselanhänger..., der sich anfühlte wie aus Filz", beziehen. Noch erschöpfender gibt dwdl.de die Inhalte wiede und tut Herres gar den Gefallen, das Ergebnis der (zumindest unter zum Umfrage-Abhalten verurteilten Sozialwissenschaftler) "berühmten 'Insel-Frage' - also, welchen Sender die Deutschen wählen würden, wenn sie nur noch einen empfangen könnten", prominent zu erwähnen.
Damit zurück zu Lierhaus. Ohne Dr. Kai Gniffke zu nahe zu treten, der seinen Beitrag zu ihr auch schon am sehr frühen Dienstag (bzw. späten Montagabend) veröffentlichte - inzwischen haben noch wichtigere Männer des deutschen Medienbiz' den Eindruck ihres Auftritts sacken lassen und publizieren heute noch wuchtigere Meinungen dazu.
[listbox:title=Artikel des Tages[Gorkows Kritik am Umgang mit Lierhaus##Gniffke-Kritik bei meedia.de##SZ über das ARD-Thema Lena##Sonstiges von der ARD-PK (BLZ)##Guardian-Reporter ausgewiesen (Tsp.)##ZDF-Reporterin berichtet über Folter (heute-journal)]]
Da wäre zum einen der Medien-Darling Ernst Elitz, der, seitdem er öffentlich-rechtlich nurmehr Intendanten-Pensionär ist, der Springer-Presse besonders nahe steht und heute in der DuMont-Presse (BLZ/ FR) sein allgemeines Plädoyer dafür, Krankheit nicht mehr zu verstecken, in diesem Sinne dreht:
"Ihr Auftritt im Fernsehen nach zweijähriger Abwesenheit und ihre Entscheidung, künftig für die Fernsehlotterie 'Ein Platz an der Sonne' wieder im Scheinwerferlicht zu stehen, ist eine mutige Botschaft. Und es gab keinen besseren Ort für ihr Bekenntnis zum neuen Leben als die Verleihung der 'Goldenen Kamera'."
Da ist zum anderen Alexander Gorkow, der zumindest (seitdem er einmal sehr kurz von Frankfurter Mitbewerbern angeheuert wurde, aber dann sehr schnell ins Bayerische heimkehrte) südlich von Unterföhring legendäre Medienjournalist, der derzeit die Seite 3 der Süddeutschen verantwortet. Heute hat er für die S. 4 einen Leitartikel unter der Hingucker-Überschrift "Der geile Moment" verfasst.
Die Argumentation ist auf die Schnelle nicht ungemein verständlich, vor allem, sofern man "geil" instinktiv für einen aktuell positiv besetzten Begriff hält. Doch fordert Gorkow mit sehr sehr viel Wucht ARD und ZDF auf, "sich (zu) schämen":
"Man sieht zwei Fernsehmenschen, die durch die Hölle gegangen sind, und die sich nun ihr Medium, das Fernsehen, ausgesucht haben, um ihren Triumph zu verkünden. Man sieht ein Paar, dem man keinen Vorwurf machen darf. Wer will sich das anmaßen? Perfide ist, dass der Veranstalter der 'Goldenen Kamera', der Springer-Verlag, und dass der Sender, das ZDF, auf diese Unantastbarkeit des Paares Lierhaus/Hellgardt spekulieren."
Altpapierkorb
+++ Zwei Seiten davor, auf S. 2, geht's in der SZ um "die Fälle Schneider und Wilhelm". D.h., nachdem gerade der vormalige Regierungssprecher Uwe Wilhelm als Intendant des Bayerischen Rundfunks antrat, soll nun mit Siegfried Schneider, "Chef der bayerischen Staatskanzlei und Vorsitzender des mächtigen CSU-Bezirks Oberbayern", "erstmals ... ein aktiver Politiker aus hohen staatlichen und parteilichen Funktionen fast übergangslos in eine medienverantwortliche Position rücken"- nämlich auf den Chefposten der bayerischen Landesmedienanstalt BLM. Man muss gewiss Romantiker oder selbst Landesmedienwächter sein, um an grundsätzliche Unabhängigkeit der Medienwächter von der Politik ihrer Bundesländer glauben zu können, aber vielleicht wird daraus ein Schuh. Der Verfasser des Gastbeitrags, Victor Henle, war bis 2007 Medienwächter Thüringens. +++
+++ Dazwischen, auf S. 3 der SZ, porträtiert Andrian Kreye den in Kürze mit seinem Buch stärker denn je ins Licht der Öffentlichkeit tretenden Ex-Wikileaks-Aktivisten Daniel Domscheit-Berg (und zwar, wie dieser in der Schumann' s Bar am Münchner Hofgarten vor einem Hacksteak sitzend von Alexander Kluge befragt wird...). +++
+++ Wegen Wikileaks wurde "zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges und des Kommunismus" wieder einen westlichen Journalisten, Luke Harding vom "Guardian", aus Russland ausgewiesen (Tagesspiegel, BLZ, SZ). +++
+++ Auch eine hübsche Überschrift: "Appell an Apple" (Tsp.). Es geht darunter um die bekannte Auseindersetzung zwischen europäischen Presseverlegern und dem kalifornischen Gerätehersteller. Die Behörde des EU-Wettbewerbskommissars Joaquin Almunia "beobachte die Situation sorgfältig", heißt es aus Brüssel. +++
+++ Weiteres aus Ägypten: Die FAZ porträtiert Wael Ghonim, der "auf Facebook den Protest organisiert". Die SZ spach u.a. mit der deutschen Journalisten Souad Mekhennet, die vor allem für die New York Times, aber auch fürs ZDF unterwegs ist und im heute-journal (Mediathek) über Folter berichtete, deren Zeugin sie wurde. +++
+++ Die TAZ schweigt über die aktuelle ARD-Generallage und konzentriert sich auf den SWR bzw. die Frage, warum diese Anstalt im TV-Duell zur Landtagswahl je einen Vertreter der umfragestärksten und der umfragedrittstärksten Partei gegeneinander antreten lässt. +++
+++ Außerdem wurden frische Journalistenpreise verliehen: in Marl der Donnepp-Preis an Diemut Roether und Michael Ridder von epd medien. "Für uns beide ist es der erste Journalistenpreis. Nun sind wir von davon befreit, permanent an uns selbst zu zweifeln, weil wir noch keine dieser Auszeichnungen gewonnen haben", sagte Ridder (grimme-institut.de). +++ In der Hauptstadt errang TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester hinter Frank Schirrmacher und Dieter Moor Platz drei in der Kategorie "Kultur" der "Journalisten des Jahres", die das medium magazin weiter von solchen Zweifeln befreit. "Dummerweise war Dieter Moor nicht da, und so mussten Frank Schirrmacher und ich allein nach vorn und fürs Foto posieren. Das arme Schirrmchen … "
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.