Marilyn Monroe ohne Fleisch. Filme ab 12 mit Fleisch. Thomas Gottschalk verzichtet freiwillig. Auf den Medienseiten kommt der bewusste Konsum als Thema an
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist nicht schlecht darin, Themen auf die Agenda zu hieven, die gerade keiner auf dem Schirm hat. Auch die Sonntagsausgabe dieser Zeitung versucht das gelegentlich, vor kurzem etwa mit einer Jubelarie auf Schwarz-Gelb, auf die dann dummerweise mangels Substanz niemand hereingefallen ist. Oder vor ein paar Monaten mit einer Lästerei über die Dreißigjährigen unter der Titelzeile: "Hört auf zu jammern!"
Den Aufmacher der jüngsten Ausgabe widmete die FAS nun - das Bild rechts ist ein Titelseitenausriss - der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft: Die Redaktion testete (online auf einer Extraseite) 100 Filme, die ab 12 freigegeben sind, und kam zum Ergebnis: 46 davon sollten - mal ganz frei zusammengefasst - nicht vor 24 freigegeben werden. "Wie kann man überhaupt auf die Idee kommen, Kinder mit so etwas zu konfrontieren?", fragt sich für die FAS Volker Zastrow auf Seite 16. "Es hat vermutlich mit Geld zu tun. Zum Beispiel den Werbeeinnahmen, die Fernsehsendern entgehen, wenn Blockbuster erst spätabends gezeigt werden dürfen."
Der Film "Hautnah" etwa, ist zu lesen,
"erfreut die lieben Kleinen mit Szenen aus einer Tabledance-Bar und Stripperinnen. Ein Mann geht mit einer nahezu nackten Stripperin ins Separée. Sie posiert in obszönen, auf Genital und Anus bezogenen Stellungen. Langer, niederschmetternder Dialog. 'Wie schmeckt dein Schlitz?'"
Da wäre die Frage: Was sagt die FSK zu "Hautnah"? Sie sagte 2005, als sie die Entscheidung traf, den Film ab 12 freizugeben, dies:
"Der Film ist in hohem Maße dialoglastig. In der Diskussion des Ausschusses ging es deshalb primär um die zum Teil sehr vulgäre Sprache. Diese Sprache entspricht aber nicht der Lebenswirklichkeit und dem Lebensgefühl von älteren Kindern. Sie wirkt vielmehr distanzierend und erwachsenenorientiert, wobei an keiner Stelle diese Sprachform entsprechend visuell eingelöst wird. Der Film erinnert vielmehr an ein Kammerspiel. Der destruktive Umgang der Personen untereinander und die zum Teil abstoßende Sprache fordert an keiner Stelle zur Identifizierung auf. Faszinierende Elemente gehen weder sprachlich noch visuell von diesem Film für die Altersgruppe der ab 12-Jährigen aus. Hierbei ist allerdings zu sagen, dass die FSK-Kennzeichnungen keine pädagogischen Empfehlungen sind, sondern lediglich sicherstellen sollen, dass das körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern und Jugendlichen einer bestimmten Altersgruppe nicht beeinträchtigt wird."
Was aber vor allem bemerkenswert ist, ist, dass das Thema der FAS prompt auf der Medienagenda gelandet ist. Auf der Agenda landen bedeutet: Irgendjemand muss das Thema aufgreifen. Das tut heute, ebenfalls auf der Titelseite, die Frankfurter Allgemeine Montagszeitung: "Bundesfamilienministerin Kristina Schröder zweifelt an der Verlässlichkeit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmindustrie (FSK)." Und schiebt auf Seite 4, neben vielen anderen, die ewige Erika Steinbach hinterher, der man eine blühende Fantasie schwerlich abstreiten kann:
"Für Erika Steinbach, Mitglied des CDU-Bundesvorstands und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestags, ist das Ergebnis der F.A.S.-Untersuchung Ausdruck des zunehmenden Werteverlusts innerhalb der deutschen Gesellschaft. 'Leider muss man feststellen, dass nicht nur in diesen Filmen, sondern in unserer Gesellschaft insgesamt natürliches Schamgefühl, aber auch Gewaltlosigkeit im Miteinander der Menschen und in der Fürsorge für Kinder immer mehr in den Hintergrund gedrängt worden sind. Sexuelle Intimität gibt es schon lange nicht mehr.'"
Welche Erkenntnisse gewinnen Steinbach-Fans? Erkenntnis 1: Früher war alles besser. Erkenntnis 2: Man kann vielleicht ein Nacktfoto abdrucken.
Womit wir also bei der Frage wären: Wann legt wohl die Bild-Zeitung nach?
Bis jetzt - Stand 8 Uhr am Montag - hat Bild.de den Filmtest der FAS-Redaktion jedenfalls nicht zweitveröffentlicht. Was, da er bei Bild.de sicher ganz gut liefe, wiederum die Vermutung zulässt, dass die Zweitveröffentlichung von Claudius Seidls Feuilletontext über den Facebook-Film "The Social Network" aus der FAS der vergangenen Woche bei Bild Online ein Einzelfall war.
Facebook. Is' halt auch ne gute Geschichte. Und der Film darüber ein guter Anlass, dem Verständnis sozialer Netzwerke noch ein wenig weiter auf die Sprünge zu helfen:
Das "SZ Wochenende" etwa typologisierte am Samstag die Facebook-Nutzer, wenn auch nicht ohne zu erwähnen, dass man dort anschließend NIE mehr ein Wort über Facebook hören wolle. Alle, die noch wollen, dürfen jetzt den Spiegel aufschlagen. Darin: drei Seiten über Facebook.
Der Spiegel hat - dies aber nur nebenbei - Marilyn Monroe auf dem Titel, zeigt sie aber dort nicht oben ohne, obwohl ein Oben-ohne-Foto vorliegt (--> Freiwillige Selbstkontrolle?). Über Facebook schreibt er ab Seite 102: "Was 'The Social Network' an Abgründen zeigt, scheint fast harmloser als die Realität" - und das Magazin bezieht sich auf die juristischen Streitereien zwischen Facebook-Chef Mark Zuckerberg und den Winklevoss-Zwillingen, mit denen er sich herumschlägt.
[listbox:title=Artikel des Tages["The Wire"-Macher iim FAS-Interview##Facebook-Nutzer in der SZ-Typologie##Die FSK unter FAS-Kontrolle]]
Dennoch bleibt Facebook ein Nischenthema, im Mainstream jedenfalls - bei Thomas Gottschalk - ist das neumodische Ding noch nicht angekommen: Der Staffelstart von "Wetten, dass..?" jedenfalls ging ohne Mark Zuckerberg über die Bühne. Dafür anwesend u.a.: trendy Christine Neubauer.
Michael Seewald sprach für die Frankfurter Allgemeine Samstagszeitung, also vor der Sendung, mit Gottschalk und zitierte Bemerkenswertes:
"Heute – mit jemandem wie Dieter Bohlen bei RTL – gebe es am Samstagabend im Fernsehen weniger eine Konkurrenz der Moderatoren oder Systeme, sondern eher der sozialen Milieus. Letztlich sei auch 'Das Supertalent' nicht viel anderes als eine verschärfte Ausgabe von 'Wetten, dass . . ?', nach dem Motto: 'Wetten, dass ich mit meinem Piercing jemanden durch die Halle ziehe?' Bei seiner Sendung gebe es einen 'Giftschrank' voller Wetten, die man aus guten Gründen nicht spielen könne."
Freiwillige Selbstkontrolle, wohin man auch schaut.
Altpapierkorb
+++ Der Tagesspiegel (gelangweilt), Sueddeutsche.de (mittelgenervt), KSTA (Hunziker-kritisch), Welt Online (erstaunlich unterhaltsam) und SpiegelOnline (irgendwie zumindest nicht unbelustigt) sind verschiedener Meinung zu "Wetten, dass..?" +++ Die Quoten sind auch verschiedener Meinung: Gesamtpublikum und Zielgruppe erlauben unterschiedliche Bewertungen: "Gottschalk geht baden": Kress."'Supertalent' schlägt 'Wetten, dass..?'": Meedia. "'Wetten, dass..?': Sieg gegen Bohlen, aber...": DWDL. "Wen interessiert die Quote einer nicht werbefinanzierten Show eigentlich wirklich?": Altpapier) +++ Gottschalk selbst interessiert sie angeblich auch nicht (evangelisch.de vom 27.9.)
+++ Es sei gepfiffen auf die Quote - sagt "The Wire"-Macher David Simon im FAS-Interview: "Zur Hölle mit den Quoten! Die eine Hälfte schaut 'The Wire' auf DVD oder on demand und die andere, wie es ihnen passt. Damit werden Quoten immer bedeutungsloser, egal ob die Leute von den Sendern das wollen oder nicht. Das ist die Zukunft des Fernsehens: eine Leihbibliothek." +++ Auch die Süddeutsche Zeitung sprach fürs Samstags-Feuilleton mit Simon (S. 14) - und brachte die wichtigste These gleich selbst auf den Punkt: "Ihre Serie 'The Wire' ist im Grunde nichts anderes der große Gesellschaftsroman der Gegenwart." +++ "Mad Men" - auch so ne Serie - läuft dieser Tage bei ZDF-Neo an - der KSTA hat den Text dazu +++
+++ Nicholas Carr ("Macht Google uns dumm?") hat seinen Essay in ein Buch ("'Wer bin ich, wenn ich online bin . . . und was macht mein Gehirn so lange?' Wie das Internet unser Denken verändert") ausgewalzt, das Detlef Borchers für die FAZ (S. 28) als guten Wurf bespricht: "Mit seinem Buch gesellt sich Carr zu den Kritikern, die inmitten all der Online-Begeisterung fragen, was der Mensch verliert, wenn er dem Internet einen großen Platz in seinem Leben und Denken einräumt. Es erreicht nicht die Dichte des Vorbilds von Joseph Weizenbaum, ist aber dafür einfacher zu lesen. Vor allem aber ist das Buch ein Gegenstück zu einer Kapitulation vor den Maschinen." +++
+++ Fernseh- und Verlagsunterhaltung: Die FAZ (S.31), SZ (S. 15) und die taz besprechen "Tod einer Schülerin" mit Matthias Brandt (20.15 Uhr, ZDF) +++ "Hand aufs Herz" - eine Soap im Schulumfeld bei Sat.1 bespricht der TSP +++ Die SZ kümmert sich um die gedruckten Pendants (S. 15): Die Verlage entdecken verstärkt das Thema Eltern +++
+++ Und sonst? The European und Huffington Post kooperieren (SZ, S. 15) +++ Bertelsmann rückt Thomas Middelhoff in ein schlechtes Licht, und der AOL-Gründer stellt sich auf Middelhoffs Seite (Spiegel) +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.