Thilo Sarrazin auf allen Kanälen, Bild macht auf Yps-Heft, und die öffentlich-rechtlichen Sender haben neue mächtige Gegner: die Autovermieter und Bäcker
Die Emmys wurden in der Nacht zum Montag vergeben. Herzlichen Glückwunsch an alle Gewinner. So viel zu den Emmys.
Ob ein anderer Gewinner des Wochenendes wirklich Thilo Sarrazin heißt, ist nicht ausgemacht, auch wenn er, in der Währung Aufmerksamkeit gerechnet, nun endgültig zu den reichsten Deutschen gehören dürfte. Der Bundesbankvorstand und ehemalige Berliner Finanzsenator (SPD) hat bekanntlich ein Buch geschrieben, das nun zu allem Übel auch noch erschienen ist.
Am Sonntagabend um 22 Uhr war es - wie die Zusammenstellung von Screenshots links zeigt - das oberste Thema auf allerlei Onlinenachrichtenseiten, etwa bei Sueddeutsche.de, Carta.info, Welt.de, Berliner-zeitung.de, taz.de, zweites Thema bei faz.net, ftd.de, Spiegel.de, drittes Thema bei tagesspiegel.de und zeit.de, viertes Thema bei focus.de und evangelisch.de. Heute um 22.45 Uhr wird er dann ausgerechnet von Reinhold "Rauchen wir eine Zigarette zusammen" Beckmann in der ARD befragt. Man kann also sagen, dass Sarrazins Versuch, eine Debatte anzustoßen, falls er das wirklich versuchen wollte, geglückt ist. Auch der Spiegel hat den "Streitfall Sarrazin" noch via Klappumschlag auf den Titel genommen, nachdem er vergangene Woche bereits einen fünfseitigen exklusiven Vorabdruck gebracht hatte - ein Privileg, das sich der Spiegel mit der Bild teilte.
Die TAZ hat bei Mathias Müller von Blumencron, einem der Spiegel-Chefredakteure, nachgefragt, warum man die Thesen "einer Oberkrawallschachtel" unbedingt derart adeln musste. Der sagt:
"Um Debatten einzuleiten, müssen wir auch Beiträge drucken, mit deren Aussagen wir nicht einverstanden sind." Und später: "Ich möchte, dass man sich mit dem Kern der Debatte beschäftigt - mit dem Thema Integration, aber auch damit, wie in Deutschland darüber diskutiert wird."
Man wird dem Spiegel kaum Unrecht tun, wenn man behauptet, dass er in dieser Debatte vor allem Erster sein wollte. Aber sei es drum: Müller von Blumencron hat recht damit, dass es für Medien mittlerweile kaum möglich ist, Sarrazin einfach keine Beachtung zu schenken.
Der Ärger der Schriftstellerin Else Buschheuer, den sie im Tagesspiegel-Kurzinterview vom Sonntag äußerte, ist dennoch zunächst einmal verständlich. Sie ärgere sich, sagt sie,
"dass alle Zeitungen, sogar die Bundeskanzlerin, Werbung machen für sein neues Buch – in dieser Sekunde sogar ich, indem ich seinen Namen erwähne. Da ärgere ich mich gleich noch mal! Und Sarrazin lacht sich ins Fäustchen."
Andererseits kann man fragen, ob es nicht vollkommen egal ist, ob Sarrazin ein ökonomisch erfolgreiches Buch oder einen Ladenhüter schreibt. Auf dieser Ebene würde die Debatte nur zur Neiddebatte. Wichtiger ist die Frage, ob, was über das Buch geschrieben wird, auch Werbung für seine Thesen ist. Am ausführlichsten und stellenweise sicher tiefer als Reinhold Beckmann sezieren Welt am Sonntag / Berliner Morgenpost Sarrazin im Interview, das "im Kebab-Restaurant Safir in Kreuzberg" stattfand. Es ist das Interview, in dem er den viel zitierten Satz sagte: "Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden."
FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher widmete die erste Feuilletonseite der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung dem Buch, und nachdem er zunächst viele Absätze lang Sarrazins Thesen zu verteidigen schien, kommt er am Ende auf die Art doch geradewegs in die Spur: "Es ist ein Symptom, dass eine demographisch verwundete Gesellschaft ihren Ausweg in der Biologie sucht. Es ist ein fataler Irrweg."
Es lässt sich in der Mediendebatte, wie sie derzeit geführt wird, wenig Zustimmung für Sarrazin ausmachen, lässt man den Focus, mit dem Stefan Niggemeier sich diesbezüglich befasst, die unvermeidliche Necla Kelek, die sein Buch an diesem Montag vorstellt, und den CSU-Politiker Peter Gauweiler mal beiseite (zitiert bei Bild). Die medial interessante Frage ist: Stimmt es, wie etwa Schirrmacher schreibt, dass "die Zahl der Menschen, die ihm hinter vorgehaltener Hand recht geben, (...) beträchtlich" sei? Und würde das bedeuten, dass Journalisten nur aus Gründen der political correctness gegen Sarrazin argumentieren, oder dass sich nur diejenigen überhaupt aus ihren Löchern wagen, die seine Thesen tatsächlich für gefährlich oder kritikwürdig halten?
Die TAZ (die heute mit Sarrazin titelt) schreibt:
"Sarrazin selbst glaubt, dass er ein Tabu bricht, wenn er formuliert, 'dass wir als Volk an durchschnittlicher Intelligenz verlieren, wenn die intelligenteren Frauen weniger oder gar keine Kinder zu Welt bringen'. Doch ist dies kein Tabu - sondern wissenschaftlich unhaltbar."
Insofern könnte man Nils Minkmars FAS-Artikel über "amerikanische Medien" auch auf "Sarrazin" ummünzen: "Wie amerikanische Medien zunehmend Information durch Insinuation ersetzen", schreibt Minkmar (S. 34) und fragt: "Was passiert mit einer Gesellschaft, der die Fähigkeit abhandenkommt, wahre von falschen Aussagen zu unterscheiden? Zunehmend werden von den amerikanischen Medien Tatsachen wie Meinungen behandelt".
Henryk M. Broder, der zu allem, also natürlich auch zu Sarrazin eine Meinung hat, wird von Bild zitiert, es handle sich um eine Hexenjagd: "die Reaktion der Politiker ist eine Art verbaler Ejaculatio Praecox". Ob der eigentliche Hexenjäger nicht vielleicht doch Sarrazin heißt?
[listbox:title=Artikel des Tages[Interview mit Sarrazin (WAMS/Morgenpost)##Autovermieter gegen Öffentlich-Rechtliche (FAZ)##TAZ zum Gebührenstreit]]
Es ist aber noch mehr passiert: Die Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist wichtig, und niemand war so gut in der Berichterstattung über die Brender-Affäre wie die FAZ - aber den Unterschied zwischen gerne auch scharfer kritischer Berichterstattung und Pressearbeit mit Scheuklappen für die privatwirtschaftliche Gemeinschaft der Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks würden wir doch gerne hin und wieder in Erinnerung rufen: Unter der Print-Überschrift "Ist die neue Gebühr verfassungswidrig?" (online hier) schreibt Medienredakteur Michael Hanfeld im Medienseitenaufmacher der FAZ vom Samstag auf, was ein Autovermietungsunternehmen zum neuen Rundfunkgebührenmodell sagt:
"Die Autovermieter rechnen aus, dass sich die Gebührenlast der privaten Haushalte künftig auf 7,87 Milliarden Euro pro Jahr beläuft – das wären schon einmal rund 600 000 Euro mehr als bis dato" (wobei die FAZ die Zahl heute in einer kleinen Korrektur auf 600 Millionen verbessert). "Nähme man nun allein die Mehrzahlungen für Autoradios in nicht privat genutzten Fahrzeugen hinzu, lande man bei einem Gebührenzuwachs von rund 1,2 Milliarden Euro pro Jahr."
Die Autovermieter sind nicht die ersten, die genaue Zahlen, die sie nicht kennen können, genauestens kennen (Niggemeier hat dazu vor einiger Zeit gebloggt). Und Steffen Grimberg entgegnet ihnen heute in der TAZ:
"Was auch kommt, es wird erst in den Landtagen beraten und beschlossen werden müssen. Solange bitten wir Lobbyisten aller Seiten, nicht gleich zu hyperventilieren. Und vielleicht dies nicht auszublenden: Gerade weil die Reform "aufkommensneutral" sein muss, würde jegliche hypothetitische Mehreinnahme ohnehin von der Gebührenkommission KEF verrechnet - und die Gebühr entsprechend sinken."
Die FAZ selbst schreibt übrigens: "Auch wenn man an Modellrechnungen Zweifel haben kann – die Medienpolitik und die Sender können sie nicht wirklich konterkarieren. Sie wissen schlicht noch nicht, wie viel Gebührengeld die Reform einbringt." Der Vorwurf lautet demnach, dass die Sender nicht falsche Rechnungen dadurch widerlegen, indem sie selbst falsche Rechnungen aufstellen. Ein bisschen kindisch wird man das vielleicht schon nennen dürfen.
Altpapierkorb
+++ Bild und zum Teil auch Bild.de, wo die unvermeidlichen Witze über 3D und Doppel-D nicht ausbleiben durften, erschienen am Samstag in 3D - anbei die 3D-Ausgabe von Bild.de. In der "Tradition des medialen Gimmicks" sieht die SZ (S. 13) heute die 3D-Ausgaben von Bild und zuletzt Berliner Zeitung: "Ob Kressesamen in der Micky Maus oder Führerbunker-DVD im Nachrichtenmagazin - der Mehrwert kommt an, in der begleitenden Berichterstattung und beim Leser." Die FAS widmete dem Thema 3D das "Pro und Contra" im Feuilleton +++
+++ Google Street View ist wieder da. Es gibt nun ein Youtube-Video, das die Debatte noch einmal aufrollt. Wie dereinst die Bunkerszene aus "Der Untergang" mit Hitlers Erregung darüber, keine Karten mehr für "Billy Elliot" bekommen zu haben, wurde hier eine Szene aus Monty Pythons Film "Das Leben des Brian" neu vertont. Wenn demnächst an allen Ecken und Enden bei Youtube nachvertonte Szenen aus "Das Leben des Brian" aufpoppen sollten, wäre das nicht überraschend. +++ Henryk M. Broder hat sich einmal überlegt, ob er sein Haus verpixeln lassen wollte. Seine Antwort (im Tagesspiegel, nicht im Spiegel): Warum sollte er? "Es sind nicht Menschen, deren Privatsphäre verletzt wird, sondern Häuser beziehungsweise Häuserfassaden. Das ist so absurd, als würde Amnesty International oder Human Rights Watch gegen den Abriss von Gebäuden protestieren, die zu alt und zu baufällig sind, um sich selbst zur Wehr setzen zu können." +++
+++ Was die angekündigten Sparpläne im Hause DuMont angeht (zu dem die Berliner Zeitung gehört): Christian DuMont Schütte, Neffe von Alfred Neven DuMont, sagte im WAMS-Interview: "Fakt ist, dass innerhalb der Verlagsbranche ein konjunkturbedingter Aufschwung nicht sichtbar ist. Gleichzeitig muss jeder Unternehmensbereich unserer Mediengruppe mittelfristig profitabel sein und kann nicht dauerhaft auf Finanzspritzen hoffen. (...) Auch in den Redaktionen gibt es noch Ansätze, wenn mehrere Journalisten innerhalb eines Verlags mit verschiedenen Zeitungstiteln austauschbare Artikel schreiben." +++ Zahlen für DuMonts Frankfurter Rundschau legte kürzlich W&V vor +++ Gruner+Jahr dagegen werde, so das Hamburger Abendblatt, ein sogenanntes "Ergebnisplus" vorlegen, was "auf den harten Sparkurs des Hauses zurückzuführen" sei +++
+++ "Mad Men" heißen die Emmy-Gewinner - schon wieder. Anbei alle Preisträger (via DWDL) +++ Kress schreibt über die Sat.1-Quoten am Freitagabend - nicht so toll trotz diverser Zeitungshinweise (siehe Altpapier) +++ Peer Schader hat für die Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau Brainpool aufgesucht +++ "Zeche is nich", ZDF, 23.55 Uhr, besprochen in der FAZ (S. 27) +++ Ein Film über Hans Rosenthal in der "Legendenreihe" der ARD läuft heute um 21 Uhr (SZ, S. 13, und Tagesspiegel) +++
+++ Die TAZ über das Buch "50 Jahre Schwule und Lesben in der ,Bravo'", in dem das Jugendmagazin nicht besonders fortschrittlich dargestellt wird +++ "Keine Macht den Drögen" - schöne Überschrift in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (S. 27) zu einem Artikel über das Magazin Kultur & Gespenster, das nun erstmals auch am Kiosk zu haben ist: "offen für thematische Ausfransungen und textliche Mischformen, die sich weder als rein akademisch noch als genuin literarisch bezeichnen lassen und deswegen in keinem anderen deutschen Kulturmagazin denkbar sind". +++ Apropos Doping: Das Sporthintergrundmagazin "Sport Inside" (22.45 Uhr WDR) ist zurück aus der Sommerpause, und Meedia
hat WDR-Sportchef Steffen Simon dazu interviewt. Die Berliner Zeitung ordnet ein +++
+++ Die SZ (S. 13) über die Versuche von Südafrikas Präsident Jacob Zuma, mit neuen Gesetzen die Medien zu kontrollieren +++ Der Spiegel (S. 144 ff.) über den hohen Stellenwert von Blogs in Russland - und den "Widerstand der Machtelite (...) gegen die Freiheit im Netz" +++
Frisches Altpapier am Dienstag.