...immer noch neue Vergleiche zu Google. Schon zeigen die Party People in Berlin digitale Verdrossenheit. Außerdem: das Ranking der bestverdienenden Intendanten ist da.
Erstaunlich, dass der Google News-Algorithmus noch nicht implodiert ist. Die meisten News kreisen, von den internationalen Naturkatastrophen abgesehen, denen deutsche Medienverbraucher in erstaunlich vielen Reportagen, aber galalos (vgl. Spiegel-Vorabmeldung "ARD und ZDF planen keine Spenden-Gala für Pakistan") zusehen können, weiterhin um Google selbst.
Führende Kommentatoren der Printwelt bilden sich zusehends differenzierte Meinungen. In der Süddeutschen wagt heute Heribert Prantl zu denken, wie alle stöhnen würden, wenn nicht Google, sondern wahlweise der Staat, die Deutsche Bahn oder Telekom oder gar Lidl eine "optische Hauserfassung" oder dergleichen Streetview-artige Aktionen in Angriff nähmen. Über Google schreibt er:
"Der Konzern lebt von der ungeheuren Datenmasse, die er requiriert. Man bereichert den Konzern selbst dann noch, wenn man der Street-View-Erfassung widerspricht: Dann verfügt Google nämlich auch noch über die Daten des Widersprechenden samt Angaben darüber, wo er wohnt und welche Immobilien er noch besitzt. Der Google-Konzern ist in einer komfortablen Situation, solange nicht er die Leute fragen muss, ob sie mit der Erfassung einverstanden sind, sondern die Leute ausdrücklich erklären müssen, dass sie nicht einverstanden sind."
Damit unterstützt Prantl den aktuellen Hamburger Gesetzesentwurf. [Achtung, unser Foto zeigt nicht Prantl, sondern den Münchener Filmemacher Klaus Lemke; mehr unten im Altpapierkorb...]. Da wir schon bei Vergleichen waren: Wenn Jeff Jarvis Googles Haltung auf einer anderen Baustelle mit der der Hitler besänftigenden Appeasement-Fraktion der 30er Jahre vergleicht (vgl. Altpapier vom Donnerstag), sind Stasi-Vergleiche eine leichte und legitime Übung. Die FAZ hat sie in Gestalt Berthold Kohlers gleich zweimal an- bzw. sich zumindest Erich Mielke vor Neid erblassend vorgestellt. Bloß die sprachspielerisch hübsche Überschrift "Googlegnadentum" passte dazu wiederum gar nicht.
Die Bild am Sonntag googelte einfach zurück oder tat zumindest so ("Die Google-Chefs möchten unsere Häuser ins Netz stellen. Dann gucken wir uns doch mal an, wo sie selbst privat wohnen"). Viel mehr als ein vom fragwürdigen Immobiliengeschmack Larry Pages zeugendes Villenportal ist allerdings kaum zu sehen.
Während der Spiegel Streetview nur den "aktuellen Höhepunkt im unbeholfenen Umgang der Bundesregierung mit der Datengier von Konzernen wie Google, Facebook, Amazon oder Ebay" nennt (S. 29), dreht der Focus der Debatte mit Hilfe des medien- und persönlichkeitsrechtlich ausgefuchsten Juristen Christian Schertz weiter:
"Seine Kritik richtete Schertz nicht allein gegen Street View. Als noch indiskreter empfinde er Google Earth, denn dort könne man die persönlichen Wohnverhältnisse noch viel detaillierter ausforschen. 'Ich halte es für fragwürdig, ob jeder per Mausklick erfahren darf, ob jemand einen Pool besitzt und die Terrasse mit Fliesen oder Holzdielen ausgelegt ist', sagte Schertz Focus. Er wundere sich, dass dieser Dienst weder von Datenschützern noch von der Verbraucherschutzministerin bisher thematisiert worden ist."
"Das Unbehagen an Street View liegt tiefer, und es hat viel mit der lauernden Haltung zu tun, mit der man selbst das Internet durchstöbert", würde indes Harald Jähner sagen. Der Feuilletonchef der Berliner Zeitung beobachtete im Rahmen eines großen Rundumschlags äußerst, aber ganz anders als Schertz alarmierende Entwicklungen. Schließlich ist Berlin eine der globalen Partymetropolen:
"Gerade bei jungen Leuten wächst das Unbehagen an ihrer unfreiwilligen digitalen Existenz. Manche haben schon keine Lust mehr, auf Partys zu gehen, weil sie garantiert wieder bei Facebook auf Fotos auftauchen und sei es nur im Hintergrund. Die Versicherung, dass sich niemand so für sie interessiert wie sie selbst, nützt nichts. Eine digitale Agoraphobie breitet sich aus, ähnlich der neurotischen Angst vor realen öffentlichen Räumen und weiten Plätzen."
"That's Netz", würden wiederum Münchener Feuilletonisten sprachspielen. Bernd Graffs Beitrag "Eine freie Welt im Würgegriff" bezieht sich, wie Kenner der Meinungsfronten sofort erahnen, nicht auf Streetview, sondern auf die (ebenfalls von Google unterminierte) Netzneutralität (zu dem Carta übersichtlich "zehn Mythen" benennt).
Vielleicht das Interessanteste an Graffs Text ist jedoch, wie die Klickfüchse von sueddeutsche.de den (am Samstag im Wirtschaftsressort der Zeitung erschienenen) Artikel online aufbereiteten. Wenn in der ersten Zwischenüberschrift "Das Ende der Innovation" das Wort "Ende" blau statt schwarz erscheint, hat das nichts mit einem Bedürfnis nach Abwechslung im Schriftbild zu tun, sondern zeigt nur, dass das Wort "Ende" verlinkt ist. Der Link führt auf die Themenseite "Ende", auf der sueddeutsche.de alle Artikel, in denen das Wort "Ende" vorkommt, für besonders endinteressierte Leser bündelt. Hier findet man News zu Zeitgenossen wie Ruud van Nistelrooy, Klaus Ernst und John Demjanjuk, um nur einige zu nennen.
Anders gesagt: Mit menschlichem Leseverhalten, Rationalität oder ähnlichen Kategorien hat das überhaupt nichts zu tun. Sondern allein mit der Googlability von sueddeutsche.de. Auch die schärfsten Google-Kritiker müssen weiterhin googlebar bleiben. Darin besteht im Grunde das ganze Problem.
[listbox:title=Artikel des Tages[Prantl über Google (SZ)##Jähner über Google (BLZ/ Sa.)##Carta über Netzneutralität##TAZ über Intendantengehälter##Tsp. über Klaus Lemke]]
Rasch noch zum zweiten, im engeren Sinne medialen Topthema. Ungefähr um solch eine Transparenz, wie Google sie in den Straßen der Welt zu Werbezwecken errichten möchte und im eigenen Unternehmen, etwa wenn es um gespeicherte WLAN-Daten geht, verweigert, befinden sich weitere Zeitgenossen, von denen man das kaum erwartet hätte, im Wettlauf "wie beim Kindergeburtstag" (TAZ, Update).
Seit Topverdienerin Monika Piel voranpreschte, legen die Intendanten der Rundfunkanstalten reihenweise ihre Gehälter offen. Am Samstag in der Süddeutschen wies Hans Leyendecker Piel noch nach, dass sie ihre auch nicht unbeträchtlichen Vergütungen von der ARD/ZDF-eigenen Bavaria-Film vergessen hatte. Dann enthüllte der Focus die bis dahin unbekannten Gehälter der Kollegen Erik Bettermann (Intendant der Deutschen Welle) und Helmut Reitze (des Hessischen Rundfunks).
Heute kann wieder Leyendecker in der Süddeutschen (S. 13, derzeit nicht frei online) unter der Überschrift "Die Intendanten verdienen zwar gut, aber bestimmt nicht überragend" ein Einkünfte-Ranking aller deutschen Anstaltsintendanten bringen. Die, die sich bislang nicht äußerten, wurden dafür halt "auf Grundlage der Anstaltsgröße, Mitarbeiterzahl und Äußerungen der Sender" geschätzt: So gelangt ZDF-Intendant Markus Schächter auf den zweiten Platz (hinter Piel) mit 290.000 Euro und Thomas Gruber, der noch amtierende Chef des bayerischen Rundfunks auf Rang 4 (280.000 Euro).
Was freilich berücksichtigt werden sollte, ist sozusagen der demographische Faktor. Leyendecker:
"Wenn die Diplomaten und die ganz Tüchtigen alt werden, rechnet sich für alle gleichermaßen das frühere öffentlich- rechtliche Dasein. Die Altersbezüge von Spitzenkräften der Anstalten sind wirklich spitze. Sie liegen teilweise deutlich über siebzig Prozent des letzten Intendantengehaltes. Und das gibt es in Betrieben nicht mehr."
Altpapierkorb
+++Wenn Schächter so etwas wie "Schmutziger Süden" vor Mitternacht auf seinen Sender ließe, würde er bestimmt einige 10.000 Euro weniger verdienen. Klaus Lemkes Film führt das Ranking der heutigen Fernsehbesprechungen an. "War es angesichts der jüngsten Ehrungen (Nordischer Filmpreis für 'Dancing with Devils', Filmpreis der Stadt München mitsamt Laudatio von Dominik Graf) fast schon staatstragend um den Filmförderungsverächter geworden, so verschafft er sich mit diesem 75-Minuten-Schundstückchen selbst wieder Erdung", meint Peter Luley in der Süddeutschen. "Lemkes Archäologie des modernen Seelenlebens legt sich auf diese Weise einen eigenen Erzählkosmos zurecht, der in keinem Moment einen zwingenden, aber einen aufgeräumten und gelösten Eindruck hinterlässt", dichtet Thomas Thiel in der "FAZ" (S. 27). Brigitte Werneburg ist in der TAZ drauf und dran, schon wieder zur Streetview-Frage zu gelangen ("Was Lemke damals und heute immer noch macht, ist die filmische Version der Street Photography eines Robert Frank oder William Klein - die es heute auch nicht mehr gibt, weil jeder sein Recht auf das eigene Bild reklamiert"). Und überall geht es auch das Verhältnis von Hamburg, Lemkes jüngerem Lieblingsschauplatz, zu seiner Heimat München. Doch als der Tagesspiegel aus Berlin anrief, kündigte Lemke an, sofern er nur endlich mal zur Berlinale eingeladen wird, "auch einen Berlinfilm (zu) drehen, mal 'eine ganz üble Geschichte'". +++
+++ Ja mei, Lemke, 0.10 Uhr, wer will den sowas lesen, dachte sich die Berlin-Frankfurter Medienredaktion der Dumont-Presse. Und bat lieber Christian Kohlund zum Interview in Tobago. Um München aber geht es auch dort. Kohlund, der gerade wieder für die GEZ eine "Traumhotel"-Folge dreht, sagt: "Ich habe gerade vier Wochen lang auf den Malediven gedreht und dann ging es ohne größere Pause weiter nach Tobago. Acht Wochen leben im Hotel, umgeben mit netten, aber im Grunde fremden Menschen, da sehne ich mich nach der Vertrautheit zu Hause, nach meiner Familie, nach München, aber auch nach meinen Dingen: Nach meinem Morgenmantel, nach meiner Lieblings-Kaffeetasse, nach meinem Sessel..." +++
+++ Reporter ohne Grenzen gegen Wikileaks: Es sei "eine 'unglaubliche Verantwortungslosigkeit', die Namen von hunderten Afghanen offenzulegen, die mit der US-geführten Koalition zusammenarbeiten" (TAZ). +++ Die Sache zwischen hartplatzhelden.de, dem "Kreisklassen-Youtube aus Deutschland" (Tsp.) und dem Württembergischen Fußballverband geht im Oktober vor den Bundesgerichtshof. +++
+++ "'Viele Eltern denken, ihre Kinder wüssten schon alles durch das Internet'. Ein verhängnisvolles Missverständnis", sagt Marthe Kniep, Leiterin des Dr.Sommer-Teams der Bravo. Und zwar zum KStA, der über die neue RTL 2-Reihe "Generation Ahnungslos" berichtet. +++
+++ "Mit Liz und Tücke" heißt Thomas Schulers heute im Spiegel erschienener Artikel über Liz Mohns Einfluss auf die Bertelsmann-Stiftung (S. 132 ff). Zusammenfassungen frei online: Spiegel-Vorab, TAZ ("Daran wäre wenig auszusetzen. Wenn nicht die Stiftung unter dem Verdacht stünde, gern das Land mitzuregieren. Und wegen ihrer Gemeinnützigkeit die Gesellschaft draufzahlt"). +++
+++ "Ihre Sendung feiert demnächst 15. Geburtstag - aber viele wissen nicht mal, dass es Ihr Format gibt", leitet der Spiegel böse sein Kurzinterview mit Armin Conrad, 3sat-Redaktionsleiter für die "Kulturzeit" ein. Es war sicher interessanter, als die die abgedruckte Kurzfassung auf S. 131 (noch kürzer als Vorabmeldung) sich liest. +++
+++ "Am vergangenen Samstag ist Sabine Magerl, Freundin, Kollegin, Lehrmeisterin in Leichtigkeit, geniale Textchirurgin und schöne Münchnerin im Alter von 43 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben". (SZ, S. 13) +++
Und im sog. "Sachsensumpf"-Prozess sind die Urteile gefallen (u.a.: evangelisch.de, FR; TAZ: "Denn die Betroffenen sind sich sicher, dass dieses Urteil vor der nächsten Instanz keinen Bestand haben wird"). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.