Digitaler Imperialismus, kleine Revolutionen

Digitaler Imperialismus, kleine Revolutionen

Was sollten Google, Facebook, aber auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten dürfen? Quer durchs Land wird engagiert, cool oder kontextsensitiv diskutiert.

So vielfältig wie die Landschaft selbst, so vielfältig sind trotz allem auch die Bier- sowie Zeitungslandschaften in Deutschland noch.

Wenn also die überregionalen Zeitungen auf ihren Medienseiten ausgiebig, aber nicht sehr kontrovers aktuelle Angebote des öffentlich-rechtlichen Fernsehens besprechen, wenn sie gar aus der nichtigen News vom Ausstieg eines Anstaltskabarettisten 41zeilige Artikel gestalten (Süddeutsche: "ZDF-Programmchef Thomas Bellut, sagte, Schramm sei einzigartig in der Kabarett-Szene"), dann bieten regional orientierte Blätter oft noch aufregendere Inhalte.

Einige Aufmerksamkeit ernten z.B. die Stuttgarter Nachrichten mit ihrer Meldung "Google filmt weltweit keine Straßen mehr". Wir zitieren aus dem szenischen Einstieg des Artikels:

"Joachim Herrmann (CSU) ist zufrieden. Auf dem Schreibtisch des bayerischen Innenministers liegt ein Brief von Google-Mitarbeitern. Darin steht, dass die Autos des Internet-Riesen in der Garage bleiben - zumindest so lange, bis die Fahrzeuge keine W-Lan-Netzdaten mehr erfassen können. Herrmann hatte Google eine Frist für die verbindliche Erklärung gesetzt."

Zwar widerspricht sogleich ein Google-Sprecher dem Eindruck, der Konzern habe auf dieses oder überhaupt irgendein Ultimatum reagiert. Aber wer dem globalen Überwachungsservice grundsätzlich mehr Vertrauen schenkt als zum Beispiel der CSU, wäre längst ja selber schuld.

"Eine kleine Revolution der Offenheit" sieht Johannes Boie in der Süddeutschen (Seite 1, nicht frei online) im Beitrag "The AdSense revenue share" des offziellen Firmenblogs der Google-Werbefirma. Denn "Anzeigen machen einen existentiellen Teil von Googles Geschäftsmodell aus. Geheimhaltung gehört da eigentlich dazu".

Und weil bekanntlich auch Facebook sich kurz vor dem Quitfacebookday am 31. Mai wieder mehr um Nutzervertrauen bemüht (siehe Altpapierkorb gestern), erkennt Boie gar "exemplarisch ... einen Wandel in der Unternehmensstrategie großer Internetkonzerne. Google wie auch Facebook können sich dem Druck von Verbraucherschützern und Kunden nicht dauerhaft entziehen".

Was allerdings sehr arg nach der Google- oder Facebook-haften Mission statement-Rhetorik klingt, die man eigentlich über hat und über die sich auch Marin Majicas BLZ/FR-Kolumne lustig macht. Kräftigere Zeilen zurselben Thematik könnten zum Beispiel lauten:

"Was wir momentan aber erleben ist ein digitaler Imperialismus. Es ist sehr auffällig, dass in einem Land, das Eigentum mindestens so sehr schätzt wie die Grundrechte des Menschen, gegen den digitalen Imperialismus von Google und Microsoft relativ wenig getan wird."

Diese Einschätzung stammt vom Wochenende und von Michael "Mike" Naumann, dem zeitweiligen SPD-Politiker, ehemaligen Kulturstaatsminister und Zeit-Herausgeber sowie aktuellen Cicero-Chefredakteur. Der Bremer Weser-Kurier bat Naumann und Bernd Neumann, den amtierenden Kulturstaatsminister aka Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien zu einem zweiteiligen Zwiegespräch über all die vielen Dinge, die ins Feld dieses schönen Postens ungefähr fallen.

[listbox:title=Artikel des Tages[Google, von Stuttgart aus betrachtet##Naumann und Neumann talken für Bremen##dwdl.de dazu##31. Mai ist quitfacebookday##Jüngere Netz- und Medienpolitik bei Carta]]

Und nun zieht auch dieses regionale Doppelinterview, vor allem wegen seines zweiten Teils, bundesweite Aufmerksamkeit nach sich. Zum Beispiel durch eine kleine Zusammenfassung auf der FAZ-Medienseite 33 ("...Neumann und sein Amtsvorgänger Michael Naumann sind sich in einem Punkt einig: ARD und ZDF sollen auf Werbung verzichten"), die gewohnte Empörung des DJV (vgl. TAZ) oder einen dwdl.de-Kommentar zum relativ größten Aufreger innerhalb der Neumann'schen Äußerungen:

"Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat in einem Interview mit dem 'Weser-Kurier' gefordert, die Rundfunkgebühren an die Quote zu koppeln. Belohnung für Telenovelas, Bestrafung für Dokus? Welch absurdes Anreiz-System...
... Wenn es ARD und ZDF schon heute an etwas nicht fehlt, dann ist es die Orientierung an der Quote, auch in Zeiten, in denen Werbung gar nicht erlaubt ist",

schreibt Uwe Mantel sehr zurecht. Wir haben nun aber nochmal nachgeschaut, was Neumann im Wortlaut gesagt hat:

"Ich bin klar dafür, dass auf Sponsoring und Werbung verzichtet wird. Es wird zwar immer gesagt, es gäbe keinen Anreiz mehr, bezogen auf die Quoten. Da könnte man ja die finanzielle Verteilung zwischen ARD und ZDF auch ein wenig nach den Zuschauerzahlen ausrichten, also die Gebühren auch ein Stück kompetitiv machen."

Das ist also sichtlich gesprochene Sprache und insgesamt so unverständlich, dass dem formal sowieso nicht für Rundfunk zuständigen Kulturstaatsminister daraus eher kein Strick gedreht werden kann. Bloß über den Zustand der Medienpolitik an sich bzw. die Fachkompetenz derer, in deren Kompetenzbereiche sie teilweise fällt, mag man sich grämen.

Muss man aber vielleicht auch nicht zu sehr. Carta hat eine Diskussionsveranstaltung der letzten Woche für den schnellen Web-Konsum, bei der Jens Seipenbusch und andere coole junge Medien- oder Netzpolitiker mit interessanten Namen (Jimmy Schulz!) und moderneren Meinungen auftraten, multimedial aufbereitet. Das heißt, es gibt die Abschluss-Statements zu lesen wie auch als Video anzusehen.

So interessant das für die Zielgruppe inhaltlich sein mag - unter Aspekten der visuellen Gestaltung bzw. der Action ist dieses Video naturgemäß nicht ungemein aufregend. Daher wurde, wie man auf unserem Foto oben sieht, kontextsensitiv ein werbender Hinweis für einen Actionkinofilm drübergelegt. Auch das ist ein aufschlussreicher Einblick in die Zukunft der Medien.
 



Altpapierkorb

"Junge Menschen müssen vor die Tür und der Welt ins Gesicht lachen. Dabei müssen sie das Scheitern lernen und das Aufstehen, die Liebe und die Freundschaft": Seine Hin- und Hergerissenheit über die Jugend von heute oder zumindest das, was von ihr im Fernsehen auftaucht, hat Matthias Kalle in eine neue Tagesspiegel-Kolumne ("Jugend ohne Fernsehgott") gegossen. "Anfang der 90er Jahre war das anders. Damals waren MTV und Viva ernst zu nehmende Sender", schreibt Kalle, Jahrgang 1975. +++ "Damals, als Musikfernsehen noch nicht von YouTube platt gemacht war und Heike Makatsch noch moderierte", scheint es auch Stefan Winterbauer besser gefallen zu haben, der sich nun mal die "Viva Comet"-Veranstaltung angeschaut hat (meedia.de) und feststellte, "dass die echte Veranstaltung wirkt wie Falschgeld und das, was man im Fernsehen sieht, ausschaut wie das echte Ding". Wer das mit eigenen Augen überprüfen möchte, kann ebd. auch 151 (!) Fotos dazu durchklicken. +++

+++ Jetzt nicht mehr völlig frei, aber nach Registrierung noch für vier Wochen gratis online: die Webseiten von Rupert Murdochs Times und Sunday Times. Anschließend wird "der Zugriff zu beiden Titeln ... ein Pfund kosten für einen Tag und zwei Pfund pro Woche" (FAZ). +++

+++ Ins Fernsehen: Haben die Flicks flickr gegründet? Nein, dieses Wortspiel benutzt Klaudia Wick (BLZ/ FR) nur, um das Arte-Dokudrama über die Flicks mit der digitalen Gegenwart zu verknüpfen: Es sei "ein Missverständnis zu glauben, die 'flickr'-Generation würde sich für deutsche Nachkriegsgeschichte mehr interessieren, wenn man sie aufbereitet wie eine Homestory in der Gala. Das Gegenteil ist der Fall: Wen kümmert’s, ob die Flick-Kinder reich, aber unglücklich waren?" +++ Doch ein "gelungener Versuch, ein wichtiges Kapitel deutscher Wirtschaftsgeschichte darzustellen und dabei neben den Fakten und historischen Zusammenhängen auch die persönlichen und familiären Faktoren und Zusammenhänge zu beleuchten "(FAZ). +++ Hans Leyendecker (SZ, S. 15) empfiehlt den Film ebenfalls, schreibt vor allem aber selbst über Friedrich Flick: "Er war erfolgreicher als die anderen. Er war skrupelloser". +++

+++ Den ARD-Film "Stille Post" besprechen Tagesspiegel, TAZ sowie FR/BLZ anhand des Schauspielers Sergej Moya. +++ . "Diese Form des öffentlich-rechtlichen Patriotismus ist nicht oberlehrerhaft, sondern informativ", preist Franziska Augstein in der SZ die ARD-Doku über "Ernst Reuter _ Ein zerrissenes Leben" (23.30 Uhr). +++ Jesse James im US-TV beobachtete Jordan Mejias (faz.net). +++

+++ Die FAZ (S. 33) beschäftigt sich mit der Ausschaltung von Radio Paradiso. Markus Bräuer, Medienbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland, sagt: "Zu entscheiden, was zur christlichen Verkündigung gehört und in welcher Form sie sich äußert, sollte man den Kirchen überlassen". +++ Der Tagesspiegel setzt Sylvie van der Vaart in Beziehung zu Louis van Gaal - natürlich nur medien-metaphorisch, schließlich gibt's ja noch Rafael. +++ "Nun hat der Dummy-Mann wahrscheinlich noch nie einen Fuß in eine gesetzt und weiß nicht, dass nicht bräsige Redakteure das Problem sind, sondern die Geschäftsführung", nimmt die TAZ-Kriegsreporterin die mehr oder minder abgeschafften Redaktionen des Jahreszeitenverlags gegen Oliver Gehrs in Schutz. +++


Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag

 

 

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