#2 Evangelischer Gottesdienst (2) - Ihr seid zu liturgisch

#2 Evangelischer Gottesdienst (2) - Ihr seid zu liturgisch

Gemeinsame vorformulierte Gebete auf altertümliche Melodien zu singen, ist das zeitgemäß? Abgesehen davon, dass es nicht jeder gerne singt und manche vorformulierte Gebete nicht ausstehen können, überfordert das nicht? Mich schon, zumindest anfangs. Dabei habe ich letztes Mal erzählt, dass Luther den Gottesdienst vereinfachen und verständlicher machen wollte.

Ich bin in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg groß geworden. Daher kenne ich eigentlich den Ablauf eines liturgischen Gottesdienstes. Umso mehr war ich bei meinem ersten Gottesdienstbesuch in Bayern verwundert. Meine Heimatkirche ist zwar durch ihr Bekenntnis auch den lutherischen Kirchen zuzuordnen, aber ihre Gottesdienste werden meist nach der sogenannten Oberdeutschen Gottesdienstform gefeiert.
Diese Form ist stärker reformiert geprägt und wurde zunächst im Süddeutschen (Oberdeutschen) und Schweizer Raum entwickelt. Im Vergleich zur lutherischen Tradition gingen die Schweizer Reformatoren (Zwingli, Calvin) mit den liturgischen Feierformen viel radikaler um. Die Gottesdienste sind von einfacher liturgischer Gestalt, das meiste wird gesprochen.

Als evangelische Gottesdienstformen (Grundform I und II) stehen die lutherische Messform sowie der oberdeutsche Predigtgottesdienst heute gleichberechtigt nebeneinander. Es hängt von den Vorlieben der einzelnen Landeskirchen oder Gemeinden ab, in welcher Form der Gottesdienst gefeiert wird. Zudem gibt es heute auch zahlreiche Initiativen und Möglichkeiten den Gottesdienst freier zu gestalten, um Bedürfnissen und Verstehen heutiger Gottesdienstbesucher zu entsprechen. Es gibt also Freiräume auf die Menschen zuzugehen und andere Formen zu wählen, die heute aktueller scheinen. Dabei gilt es stets, den Spagat zu schaffen, den Menschen von heute gerecht zu werden als auch der Zugehörigkeit zur Tradition und der übergreifenden Gemeinschaft der Kirche(n) zu allen Zeiten und Orten.

Nach wenigen Wochen habe ich mich an die gesungene Liturgie gewohnt, sie schätzen gelernt und habe Spaß mit einzustimmen. Einerseits frage ich mich immer noch, wie einladend eine solche Liturgie für Außenstehende ist, die sie nicht kennen und beim Gottesdienstbesuch sich völlig verloren fühlen, vielleicht sogar ausgeschlossen. Andererseits denke ich mir, kann das Außenstehenden bei jeglicher Gottesdienstform passieren, dass sie nicht verstehen, was passiert und das Folgen zunächst schwer fällt. Darüber hinaus kann eine Liturgie, die man an vielen verschiedenen Orten verwendet, gemeinschaftsstiftend wirken und verbinden. Nicht nur mit den Christen mit denen man gerade im Gottesdienst ist, sondern auch mit jenen an anderen Orten, gar aus anderen Zeiten. Das Wissen, ein Teil der großen Christenheit zu sein, sich bewusst zu werden, dass viele Andere Gott ebenfalls mit denselben (oder ähnlichen) Worten anrufen und anbeten, kann ein ermutigendes und bestärkendes Gefühl sein.

Wenn die Liturgie einfach nachzuvollziehen ist, beispielsweise durch Einlagen oder Anhänge im Gesangbuch, können sich auch neue Leute schnell zurechtfinden. Man muss sich nur darauf einlassen. Ich bin mir aber auch bewusst, dass Geschmäcker verschieden sind und das gilt nicht nur für Schokoladensorten, sondern auch für die Art und Weise wie man Gottesdienste feiern möchte. Deshalb ist die eine Art weder besser noch schlechter als die andere. Ich mich an die gesungene Liturgie gewöhnt habe und sie mir auch gefällt. Trotzdem freue ich mich immer, wenn ich zu Hause bin und alles den Gang nimmt, den ich schon so lange kenne und den ich gerne mag.
 

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