Wo bin ich hier? Ich bin in Bayern und will in einen evangelischen Gottesdienst. Aber ich frage mich, ob ich mich vielleicht in der Kirchentür geirrt hatte und vielleicht bei unseren katholischen Schwestern und Brüder im Gottesdienst gelandet bin. Nachdem das Orgelvorspiel verklingt ist, erhebt der Pfarrer seine Stimme und grüßt alle singender Weise. Sogleich erwidern alle (fast alle, nicht von mir) diesen Gruß. Es geht munter weiter. Auch einen Psalm und diverse andere Gesänge singen wir.
Anfangs bin ich sehr überrascht und gar verwirrt. Diese Art kenne ich nicht aus der evangelischen Kirche, sie erinnert mich vielmehr an den liturgischen Gesang von Mönchen im Kloster. Aber nein, sowohl der schwarze Talar des Geistlichen als auch der Umschlag des Gesangbuches versichern mir, dass ich mich bei einer evangelischen Kirchengemeinde befinde. Neben dem Gesang ist es eine wirkliche Herausforderung zu verstehen, wann ich aufstehen, wann mich setzen muss. In meiner Heimat spricht man den Psalm im Stehen, dafür lauscht man der Bibellesung im Sitzen. In der evangelischen Kirche Bayerns ist es umgekehrt.
Erleichtert stelle ich fest, dass in der Mitte des Gottesdienstes hier auch eine Predigt steht. Noch erleichterter bin ich darüber, dass diese „ganz normal“ gesprochen und nicht gesungen wird. Handel es sich bei der Gottesdienst um eine Deutsche Messe, findet auch Abendmahl statt und bei dessen Einsetzung werden sowohl die Einsetzungsworte als auch „Vater unser“ im Singen gebetet. Auch das kenne ich bislang nur als katholische Eigenart.
Aber ich wurde eines Besseren belehrt:
Die Deutsche Messe ist eine Gottesdienstform, die auf Martin Luther selbst zurückgeht. Luther will keine Liturgie entwerfen, sondern weiterhin der westlich-römisch (katholischen) Messordnung folgen. Allerdings hat Luthers Entdeckung der Rechtfertigung des Sünders allein aus Glauben Auswirkungen auf das Verständnis der Messe. Sie gilt Luther nicht länger als eine Möglichkeit für den Menschen sein Seelenheil zu erlangen, sondern vielmehr als eine Gabe Gottes an den Menschen. Diese nimmt in Schriftlesungen, Verkündigung (Predigt) und Abendmahl konkrete Gestalt an. Nur Teile der katholischen Messe, die mit dem reformatorischen Gottesdienstverständnis nicht vereinbar sind, nimmt Luther heraus oder verändert sie. Die Gemeinde soll aktiv am Gottesdienst beteiligt werden. Daher schlägt Luther verschiedene deutsche Lieder vor, die die Gemeinde singt und anstelle lateinischer Gesänge des Priesters treten. Die Stellung der Predigt wird hervorgehoben, Lesungen in deutscher Sprache vollzogen und deutsche Liedern gesungen. Dadurch soll der Gottesdienst verständlich sein und gleichzeitig eine bildende Funktion inne haben.
Bislang verstand ich Gottesdienst eher als etwas, das ich für Gott tue, um meinen Dank auszudrücken und mit ihm Gemeinschaft zu haben. (Ich stelle fest, dass mein Verständnis weitestgehend mit der Definition Wikipedias übereinstimmte).
Gottesdienst als eine Gabe Gottes zu betrachten, hebt dessen Bedeutung für mich persönlich hervor. Das ist eine Betrachtungsweise, die mir gefällt. Die Gemeinschaft, das Singen, das Hören – all das sind Dinge, die Gott uns im Gottesdienst schenkt. Durch die Verwendung der deutschen Sprache macht Luther es viel einfacher, wenn nicht erst möglich, dem Gottesdienst zu folgen und das Gesagte zu verstehen. Durch das Singen als Gemeinde kann ich mich selbst einbringen und Gott unmittelbar für seine Gabe danken. Ein toller Gedanke. Gottesdienst als Gottes Dienst an den Menschen zu verstehen, muss ich mir immer wieder bewusst machen. Dann ist das nicht mehr nur etwas Lästiges, wozu ich mich aus dem Bett quälen muss oder währenddessen ich auch Tennis spielen könnte.
Allerdings frage ich mich, ob durch die gesungene, ausgefeilte Liturgie, der Gottesdienst wirklich verständlicher ist. Versteht man die Liturgie heute überhaupt noch? Auch wenn ich neu dazu komme? Was bringt sie mir?
Dem will ich nächstes Mal weiter nachgehen.