TV-Tipp: "Die Raaben und das tote Mädchen"

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30. Januar, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Die Raaben und das tote Mädchen"
In einer Dokumentation über Suchhunde ist die Spur, der sie folgen, digital durch eine Art güldenen Feenstaub markiert worden. Tonja Raabe besitzt eine ganz ähnliche Fähigkeit.

Wenn sie eine Eingebung hat, sieht sie purpurfarbenes Licht. Das klingt recht praktisch, wenn man zum Beispiel seinen Hausschlüssel verloren hat, aber Alexander Buresch erzählt eine ernstzunehmende Geschichte: Wie nahezu jeder Mensch, der anders ist als die anderen, hadert auch Tonja mit ihrem Schicksal, das sich nicht nur als Segen erweist.

Außerdem leidet sie unter einem Kindheitstrauma: Vor zwanzig Jahren ist ihr kleiner Bruder Michi spurlos verschwunden. Im Sorbenland, erzählt gleich zu Beginn des Films eine Kinderstimme aus dem Off, werden kleine Jungen, die nicht brav sind, in Raben verwandelt. Möglicherweise ist Tonja deshalb Polizistin geworden: Selbst heute hat sie immer noch die Hoffnung, dass Michi eines Tages zurückkehrt. 

"Die Raaben und das tote Mädchen" ist der vielversprechende mögliche Auftakt einer neuen Donnerstagskrimireihe und schon allein wegen Alina Stiegler sehenswert. Sie gehört seit einigen Jahren zum Team der "Spreewaldkrimis" (ZDF) und hat sich dort dank ihrer ganz eigenen Spielweise, die mehr andeutet als offenbart, umgehend als echte Verstärkung erwiesen. Bureschs Drehbuch beantwortet ebenfalls nicht alle Fragen. Klar ist nur, dass Tonja nach einem Vorfall vorübergehend beurlaubt war. Online-Gespräche mit einer Therapeutin lassen keinen Zweifel daran, dass sie gewisse Probleme hat. Bei ihrer Rückkehr in den Dienst als Streifenpolizistin wird sie mit einem Fall konfrontiert, der an ihr Trauma rührt: Im Wald wird die Leiche einer jungen Frau entdeckt. Sie war Au-pair bei einem Ehepaar, das Baby ist fort; ganz in der Nähe ist auch Michi zum letzten Mal gesehen worden.

Ohne Tonjas besonderes Merkmal wäre der Film ein ganz normaler Krimi: Hundertschaften durchkämmen das Gebiet, die Eltern des Kindes, Jochen und Lisa Fischer (Franz Dinda, Julischka Eichel), werden befragt, und weil Adelina im Deutschkurs den jungen Amir (Mohammad Eliraqui) kennengelernt hat, bildet sich prompt ein Mob vor dem Flüchtlingsheim, in dem er lebt. Die Polizistin hat sich zum Schutzdienst bei den Fischers gemeldet und bekommt auf diese Weise mit, dass es um die Ehe nicht zum Besten steht. Gut möglich, dass der Gatte eine Affäre mit dem Kindermädchen hatte. Die Identität des Entführers gibt der Film zwar schon recht früh preis, aber Buresch verrät erst später, warum sich der Mann (Johannes Allmayer) ausgerechnet diese Familie ausgesucht hat. 

Für Tonjas Visionen gibt es eine Erklärung: Sie ist Synästhetin. Das Phänomen ist gar nicht so selten, filmisch aber vergleichsweise wenig genutzt. Menschen mit dieser Gabe assoziieren Klänge, Zahlen oder Gerüche mit Farben. Die junge Polizistin ist außerdem hypersensibel. Dass sie im Wald einen verborgenen Plastiksack mit den Sachen des Babys entdeckt, indem sie einer Purpurspur folgt, grenzt zwar an übersinnliche Wahrnehmung, verleiht der Geschichte aber auch ihren speziellen Reiz und ist im Rahmen der Handlung nicht weniger plausibel als vergleichbare parapsychologische Eingebungen in anderen Reihen. Weil der Brandenburg-Krimi im Lausitzer Seenland spielt, gibt es außerdem ganz viel Gegend, die zudem vom Kontrast zwischen Natur und Tagebau geprägt ist. 

Gut besetzt ist auch der Rest des Ensembles: mit Anton Rubtsov als Kriminalkommissar, der außerdem Tonjas älterer Bruder ist, Andreas Anke als väterlicher Vorgesetzter und Alma Leiberg als Kripo-Chefin. Eine weitere Besonderheit ist die Herkunft des Geschwisterpaars: Tonja möchte nicht, dass ihr Bruder im Dienst mit ihr Sorbisch spricht; seit Jahren gibt es vermehrt rechtsextremistische Übergriffe gegen die sorbische Minderheit in der Niederlausitz. Die an die Krabat-Sage erinnernde und von Otfried Preußler für seinen gleichnamigem Jugendroman aufgegriffene Rabenlegende, die dem Film einige mystische Momente beschert, stammt ebenfalls aus dem sorbischen Sagenschatz.

Regie führte Nina Vukovic, die sich nach ihrem Polizeifilm "Am Ende der Worte" (2022, NDR) spätestens mit dem sechsteiligen Psychothriller "Der Schatten" (2023) als Topregisseurin etabliert hat. "Die Raaben und das tote Mädchen" hat nicht ganz die Intensität der ZDF-Serie, erfreut aber ebenfalls durch eine sorgfältige Bildgestaltung (Valentin Selmke), die sich bei der Visualisierung von Tonjas Wahrnehmungen keineswegs nur auf eine digitale Farbgebung beschränkt. Ob es eine Fortsetzung gibt, hängt davon ab, wie gut der Auftakt beim Publikum ankommt. 

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