Die Silom-Straße ist gespenstisch. Die Straßenhändler sind da, zumindest tagsüber haben die Geschäfte geöffnet und auf den schmalen Bürgersteigen drängeln sich Menschen. Wären da vor Banken und Geschäften nicht die bewaffneten Polizisten, Stacheldrahtsperren zu einigen Zugängen zur Hochbahn, es wäre ein normaler Tag auf Bangkoks geschäftiger Einkaufs-, Amüsier- und Bankenmeile.
Aber nichts ist normal in diesen Tagen auf der Silom-Straße. Auch nicht das Lächeln, mit dem viele Thais Ausländer bedenken. Halb sagen sie mit dem Lächeln "sorry" für den Ausnahmezustand, der in Bangkok seit den mehr als vier Wochen herrscht, in denen nun schon die "Rothemden" Bangkoks Geschäfts- und Einkaufsviertel zwischen Silom und Siam Square besetzt halten. Aber das Lächeln drückt auch die Angst vor einer Eskalation des Politdramas in Thailands Hauptstadt aus.
Erst die Explosion, dann die Schreie
Was alles passieren kann, haben die Menschen in der Silom vor zehn Tagen erlebt: Sechs M-79-Granaten explodiert kurz hintereinander, forderten drei Menschenleben und 86 Verletzte. "Ich hörte plötzlich eine Explosion vor unserem Café und dann das Schreien der Menschen", erzählt Theerapon, Manager des Cafés Au Bon Pain. "Meine Kollegen und ich haben uns sofort auf den Boden geworfen. Seitdem ist es bei uns ziemlich ruhig. Wir haben kaum noch Gäste."
Kaum noch Gäste hat seit den Granaten auch das Nobelhotel Dusit Thani gleich nebenan. Gegenüber dem Hotel und dem Café ragen Barrikaden aus schwarzen Autoreifen, Bambusstäben und Stacheldraht empor. Hier beginnt das Reich der Rothemden, der machtvollen Oppositionsbewegung, die seit vier Wochen zwischen Silom und Siam Square die 2,3 Kilometer lange Ratchadamri-Straße besetzt hält. Sie fordern Demokratie und sofortige Neuwahlen.
Die "Roten" haben eine Zeltstadt aufgebaut, komplett mit Toilettenanlagen, Duschen für Tausende von Menschen. Über eine exzellente Lautsprecheranlage werden über die ganze Strecke die Reden und Parolen von der Hauptbühne an der Kreuzung von Ploenchit- und Ratchadamri-Straße übertragen. Das normale Leben in Bangkoks Finanz- und Geschäftszentrum ist lahmgelegt. Auch immer mehr buddhistische Mönche (Foto rechts) schließen sich dem Aufstand an und kampieren hinter den Barrikaden.
Es herrscht Volksfeststimmung
In der Widerstandsburg der Rothemden herrscht Volksfeststimmung, obwohl kaum noch jemand ein rotes Hemd trägt. Die Führer der Bewegung haben zivile Kleidung angeordnet. In Alltagsklamotten, so das Kalkül, ist man auf der Flucht nicht zu erkennen und kann schneller in der Masse der normalen Bürger Bangkoks untertauchen, sollte die Regierung Armee und Polizei den Befehl zur gewaltsamen Beendigung der Besetzung geben.
Der guten Stimmung tut die Angst vor einem Armeeeinsatz keinen Abbruch. Man fühlt sich im Recht. "Wir wollen Demokratie. Wir sind keine Terroristen, wie die Regierung behauptet", sagt Ponchai. Aus Pattaya ist der 53-Jährige angereist, um auf den Straßen Bangkoks für Demokratie und gegen die herrschende Elite aus Adel, Beamten und Armee zu streiten. Wie er kommen die meisten der Rothemden aus der Provinz, hauptsächlich aus dem Norden und dem Isan, wo die Leute arm sind und sich seit Jahrzehnten von "denen in Bangkok" als Bürger zweiter Klasse behandelt fühlen.
Ein Milliardär macht Sozialpolitik
Das hat sich geändert durch Premierminister Thaksin Shinawatra, einem milliardenschweren Unternehmer, der mit schlauem Kalkül die armen Massen durch seine Sozialpolitik als seine Machtbasis aufgebaut hat. Deshalb wurde Thaksin im September 2006 Jahren durch einen Militärputsch gestürzt - im Dezember 2008 installierte Thailands Elite die jetzige Regierung von Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva.
Für Rojanee ist Thaksin "mein Held". Deshalb hilft die junge Frau im Ambulanzzelt aus. Die Erste-Hilfe-Station vor dem Fünfsternehotel Four Seasons, das seit der Straßenbesetzung geschlossen ist, ist die einzige im roten Viertel, die rund um die Uhr auf hat. Behandlungen und Medikamente sind umsonst. Krankenschwestern, ehrenamtliche Helfer wie Rojanee oder ein Mönch aus Pattani im Süden Thailands sowie "rote" Ärzte schieben Dienst in der Zeltklinik.
"Wir behandeln meistens Erkältungen", erzählt die Ärztin Peanpen (Foto links), im Hauptberuf Augenärztin in einer großen Bangkoker Klinik. Nach der Straßenschlacht von 10. April zwischen Polizei und Rothemden, bei der laut Augenzeigen beide Seiten scharf geschossen haben sollen, wurden in der provisorischen Klinik viele Menschen mit Schussverletzungen behandelt. "So etwas habe ich noch nie erlebt. Es war schrecklich", sagt Peanpen.
Leben in Zeltstädten
Die rote Meile ist aber auch ein großer Markt. Die vielen tausend Menschen, die seit Wochen unter Zeltdächern auf Bastmatten leben, wollen versorgt sein. Frisches Obst ist am Angebot, in Garküchen brutzeln leckere Thaigerichte in den Woks, an anderen Ständen werden Fußmassagen angeboten, aber auch rote Wimpel, Fähnchen in den Landesfarben Rot-Weiß-Blau sind im Angebot. Revolutionäre Eltern können Plastikautos und Plastikpanzer für die lieben Kleinen zu Hause kaufen. Der Plattenhändler bietet Karaoke CDs und solche mit Thaksin-Reden feil. Beliebt sind auch Schuhstände. In einem bescheidenen Englisch versichert eine Schuhverkäuferin, sie mache gute Geschäfte, weil man in ihren Turnschuhen halt schneller vor Soldaten und Polizei flüchten könne.
Zurück zur Silom, die immer mehr einem Heerlager gleicht. Die Geschäfte machen abends früh zu, die Schaufenster mit Papier verklebt oder Brettern vernagelt. Statt Spaziergängern auf der Jagd nach Schnäppchen auf dem Nachtmarkt, der sonst auf den Bürgersteigen stattfindet, zieht massiv Polizei auf. Eine Einheit steht stramm vor einem Massagesalon und nimmt den Einsatzbefehl entgegen. Eine andere marschiert im Gänsemarsch zu ihrem Einsatzort. Manche Polizisten streifen in einer Pause mal über den Nachtmarkt von Patpong, Bangkoks berühmt-berüchtigtes Rotlichtviertel an der Silom, schauen sich falsche Rolex an, blicken amüsiert auf den an anderen Ständen angebotenen Armeeklamotten. Camouflage als modisches Accessoire scheint im besetzten Bangkok beliebt zu werden.
Auch die Mönche protestieren
Leitragende sind die kleinen und großen Unternehmen. Die kleine Pension Baan Saladaeng in einer Seitenstraße der Silom hat mangels Gäste geschlossen. Ziemlich leer sind auch die Bars in Patpong. Auf der Terrasse der Telephon Bar in Patpong sitzen am frühen Donnerstagabend gerade mal drei Gäste. Sonst ist die Bar voll mit Büroangestellten beim Feierabendbier und Nachtschwärmern, die den Zug durch die Gemeinde früh beginnen.
Im Epizentrum des roten Protests auf der Kreuzung Ploenchit und Ratchadamri Straße, da, wo auf der großen Bühne unter der Kreuzung zweier Hochbahnlinien die Anführer der Rothemden unter einem riesigen Transparent mit der Aufschrift "Peaceful Protesters – Not Terrorist" Durchhalteprolen schwingen und Mönche zu Buddha beten, sind das Luxushotel Hyatt Erwan, Gaysorn Plaza mit seinen Designerboutiquen, Bangkoks neuste, größten und modernste Einkaufszentren Central World und Siam Paragon seit Tagen geschlossen.
Aber im ebenfalls geschlossen Amari Building trotzen zwei Geschäfte den Aufständischen. Die beiden Fastfoodgiganten MacDonalds und Starbucks schlagen auch noch aus den revolutionären Massen Profit. Zumindestens tagsüber. Nachts ist es zu gefährlich. Granaten und Gewehre sitzen in diesen Tagen bei allen Beteiligten im thailändischen Machtkampf locker.
Michael Lenz ist freier Journalist in Südostasien.