evangelisch.de: Herr Meister, warum tragen Sie am Karfreitag ein Kreuz über den Berliner Alexanderplatz?
Meister: Wir wollen das Leiden sichtbar und begreifbar machen. Mit diesem Leidens-Thema gehen wir raus auf die Straßen und Plätzen Berlins. Für die Konzeption der Prozession haben wir bewusst sieben Kirchen gewählt, analog zu den sieben Tagzeiten des Stundengebetes und den sieben römischen Stationskirchen. Die Stationen symbolisieren jeweils eine Leidengeschichte. Zum Beispiel die von Tod und Zerstörung an der Ruine der Petrikirche. Die Kirche wurde im Krieg zerbombt.
evangelisch.de: Haben Sie keine Angst, dass die Aktion in einer Großstadt wie Berlin untergeht?
Meister: Gerade in einer sehr säkularen Stadt muss sich Kirche zeigen und nach außen gehen. Auch wenn erstmal nicht viele mitkommen oder zuschauen werden. Oder wenn uns vielleicht ein paar Menschen belächeln. Das, was uns innerlich bewegt im Glauben, drängt in die Öffentlichkeit.
evangelisch.de: Eine Karfreitagsprozession – haben Sie da bei den katholischen Kollegen abgeschaut?
Meister: Karfreitag war für viele evangelische Christen einst der höchste protestantische Feiertag an dem vielerorts die Glocken und die Orgel schwiegen. Noch heute sind öffentliche Tanzveranstaltungen an diesem Tag gesetzlich verboten. Doch für viele erschließt sich die Bedeutung des Tages nicht mehr. Wir suchen nach alten, gemeinsamen Traditionen, wie das Tragen des Kreuzes, der Gebrauch der fremden Texte und Formen, um durch das Leiden zusammen mit unseren katholischen Geschwistern gehen zu können. Tod und Auferstehung Jesu Christi sind das Zentrum der Botschaft aller Christen. Deshalb auch tragen in Berlin der evangelische Bischof und der katholische Weihbischof das Kreuz über eine Station gemeinsam.
evangelisch.de: Was bedeutet Ihnen persönlich der Karfreitag?
Meister: Als ich ein Kind war, habe ich Karfreitag ganz anders erlebt als meine Kinder heute. Das war ein Tag, der sich von fast allen anderen im Jahr unterschieden hat. Im Radio hörte man ernste, getragene Musik. Das öffentliche Leben ruhte. Niemand wäre auf die Idee gekommen, am Karfreitag im Garten zu arbeiten, das Auto zu waschen oder Wäsche aufzuhängen. Der Tag war wie ein langer schweigender Gang über den Friedhof. In Berlin spüre ich von all dem wenig.
evangelisch.de: Wollen Sie mit der Berliner Karfreitagsprozession eine neue Tradition gründen?
Meister: Das wünsche ich mir. Dass Jahr für Jahr mehr Menschen kommen, um zusammen mit uns diesen Weg zu gehen. Die Kreuzigung Jesu ist kein stiller Tod gewesen, sondern ein öffentliches Ärgernis, das die Welt verändert hat. Was uns innerlich im Glauben umtreibt, muss sichtbar und hörbar werden.
Weitere Informationen unter www.kkbs.de.
Christiane Bertelsmann lebt als freie Autorin in Berlin.