Russland: Wieder Tote bei Selbstmordattentaten

Russland: Wieder Tote bei Selbstmordattentaten
Bei zwei Selbstmordattentaten im russischen Nordkaukasus sind zwölf Menschen getötet worden - nur zwei Tage nach dem Blutbad in der Moskauer Metro. Der Kreml vermutet einen Zusammenhang zwischen den Taten. Ein Terroristen-Anführer bekannte sich zu den Anschlägen.
01.04.2010
Von Ulf Mauder und Benedikt von Imhoff

Eine neue Terrorwelle erschüttert Russland. Zwei Tage nach den Anschlägen in der Moskauer Metro sind bei neuen Selbstmordattentaten diesmal im Konfliktgebiet Nordkaukasus zwölf Menschen getötet worden. Zwei Männer sprengten sich in der Stadt Kisljar in der russischen Teilrepublik Dagestan in die Luft. Einer der Täter soll nach Angaben des russischen Innenministeriums eine Polizeiuniform getragen haben. Einige der 28 Verletzten schweben noch in Lebensgefahr. Präsident Dmitri Medwedew und Regierungschef Wladimir Putin vermuten, dass hinter dem Blutbad dieselben Drahtzieher stecken wie bei den Attentaten von Moskau. Am Abend bekannte sich der Anführer der Islamisten im Nordkaukasus, Doku Umarow, zu den Anschlägen in der Moskauer U-Bahn.

Die Sicherheitskräfte hatten den Fahrer eines Autos in der Nähe eines Schulgebäudes in der dagestanischen Stadt Kisljar angehalten, um ihn zu kontrollieren. Daraufhin habe der Mann am Steuer einen Sprengsatz mit einer Wucht von 200 Kilogramm TNT gezündet, sagte ein Polizeisprecher. Als sich am Tatort eine Menschenmenge bildete, habe sich ein zweiter Attentäter in Polizeiuniform in die Luft gesprengt. Am Tatort liegen auch Dienststellen des Innenministeriums und des Geheimdienstes FSB. Unter den Opfern waren vor allem Polizisten.

Bekennervideo zu Moskauer Anschlägen

Am Montag waren bei zwei Selbstmordattentaten in der Moskauer Metro 39 Menschen in den Tod gerissen und Dutzende verletzt worden. Der Terroristenführer Umarow teilte am Mittwoch in einer Videobotschaft mit, die Anschläge in Moskau seien die Rache für die "blutige Besatzungspolitik" der russischen Führung im Nordkaukasus. In der Region würden auf Befehl des russischen Regierungschefs Wladimir Putin friedliche Menschen massenhaft ermordet. Umarow kündigte demnach neue Anschläge an in Russland.

"Der Krieg wird in Eure Straßen kommen und Ihr werdet ihn in Euren eigenen Leben spüren", sagte Umarow nach Angaben von kavkaz.tv. Umarow, der sich auch der "Emir vom Kaukasus" nennt, kämpft nach eigenen Angaben für die Errichtung eines unabhängigen islamischen Gottesstaats im Nordkaukasus. Putin hat gedroht, ihn jagen und töten zu lassen. Experten des Internetportals intelcenter.com zur Überwachung islamistischer Inhalte im Netz stuften die Mitteilung als echt ein.

Die Angst vor neuen Anschlägen war bei den Hauptstädtern am Mittwoch auch weiter groß. "Ziel der Terroristen ist es, Angst und Schrecken in der Bevölkerung zu verbreiten - das werden wir nicht zulassen", sagte Medwedew. Am Abend demonstrierten mehr als 3.000 Menschen im Stadtzentrum gegen den Terror. Der Kremlchef ordnete an, ein Sicherheitssystem für das Transportwesen auszuarbeiten, mit dem empfindliche Punkte wie Bahnhöfe, wichtige Straßen und Schienenwege besser geschützt werden.

Suche nach Komplizen

Der Inlandsgeheimdienst FSB hatte schon am Montag Terroristen aus dem Nordkaukasus für das Blutbad in der Hauptstadt verantwortlich gemacht. Der Chef des russischen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, betonte, dass die Terrorbedrohung aus dem Kaukasus komme. Russland werde alles tun, den Terroristenführer Umarow zur Strecke zu bringen. Russische Medien veröffentlichten den Namen eines Tschetschenen, der den beiden Selbstmordattentäterinnen in Moskau geholfen haben soll, sowie Personenbeschreibungen zweier Komplizinnen.

Tschetschenien warnt vor voreiligen Schlüssen

Der Menschenrechtsbeauftragte in Tschetschenien, Nurdi Nurchaschijew, sowie der tschetschenische Parlamentspräsident Dukuwacha Abdurachmanow warnten vor einer Vorverurteilung. Umarow hatte nach anderslautenden Berichten vom Vormittag die Vorwürfe gegen ihn in einem Video zurückgewiesen. Schuld hätten der FSB und Putin, sagte er. Auch nach früheren Attentaten in Russland gab es oft Verschwörungstheorien, nach denen Geheimdienstler oder Teile des Innenministeriums damit Gewalt rechtfertigen und ihre Macht sichern wollten. Der Kreml hatte dies stets als Unfug zurückgewiesen.

Häufig Attentate in Krisenregion

Im Nordkaukasus kommt es immer wieder zu schweren Anschlägen islamistischer Untergrundkämpfer, die nach einem unabhängigen Gottesstaat streben. Dort starben allein 2009 bei Kämpfen zwischen russischen Sicherheitskräften, kriminellen Banden und islamistischen Rebellen mehr als 1.000 Menschen, unter ihnen auch viele Zivilisten. Der Kreml versucht seit Jahren, Ruhe in die Region zu bringen. In dem Gebiet sind 23.000 Sicherheitskräfte stationiert. Die Islamisten hatten zuletzt gedroht, den "Krieg" weiter ins russische Kernland zutragen.

Menschenrechtlerin Alexejewa niedergeschlagen

Die erst vor kurzem von Bundespräsident Horst Köhler ausgezeichnete 82 Jahre alte russische Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa ist in Moskau niedergeschlagen worden. Ein junger Mann habe die Leiterin der Moskauer Helsinki-Gruppe bei einer Gedenkveranstaltung geschlagen, meldete die Nachrichtenagentur Interfax am Mittwoch. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch HRW sprach von einem Angriff auf die Bürgerrechtsbewegung in Russland. "Alexejewa ist für ihre Arbeit bekannt. Ich sehe einen klaren Zusammenhang zu ihrem Engagement", sagte die russische HRW-Chefin Allison Gill.

Alexejewa nannte den Angriff eine "Provokation". Sie sprach von starken Schmerzen am Kopf, nachdem sie geschlagen worden war und dabei zu Boden fiel. Der Angreifer habe sie beschimpft und unter anderem gesagt: "Was, Du lebst noch?". In Russland werden Menschenrechtler immer wieder Opfer von Prügelattacken oder sogar Mordanschlägen. Die russische Polizei leitete umgehend ein Strafverfahren gegen den festgenommenen Täter ein.

Alexejewa tritt immer wieder auch bei regierungskritischen Aktionen in Erscheinung. Die "Grande Dame" der russischen Menschenrechtsbewegung hatte am Abend in der Moskauer Metrostation Lubjanka Blumen niedergelegt, als dort Trauernde der Opfer der Terroranschläge vom Montag gedachten. Der frühere Vize-Regierungschef Boris Nemzow, der mit anderen Oppositionellen zum Tatort kam, sprach von einem "entsetzlichen Verbrechen gegen Alexejewa". Bundespräsident Köhler hatte der Bürgerrechtlerin erst unlängst das Bundesverdienstkreuz als Anerkennung für ihren Kampf um die Demokratie in Russland verliehen.

dpa