"Sie kreisten uns ein und schrien uns an, wir seien gewarnt worden", erzählt ein Überlebender des Terror-Anschlages später im Krankenhaus. Mehr als ein Dutzend Taliban-Kämpfer hatten Mitte März in Manshera, im Nordwesten Pakistans, das Büro der christlichen Hilfsorganisation World Vision überfallen. Christen in Pakistan haben in den vergangenen Monaten mehrere Angriffe erlebt. Sie befürchten eine weitere Islamisierung des Landes.
Mindestens sieben Mitarbeiter starben, als radikal-islamische Taliban mit Gewehren und Handgranaten das Gebäude von World Vision stürmten. "Sie beschuldigten uns, Obszönitäten zu verbreiten", sagte ein Angestellter. Etwa zwei Prozent der Pakistaner sind Christen.
Militante Radikale
Dass die Taliban in Pakistan bewusst religiöse Minderheiten angreifen und bedrohen, ist nicht neu. Das Erpressen von Jizya, einer Sonder-Steuer für Nicht-Muslime, ist in Pakistan und Afghanistan ein probates Mittel der militanten Radikalen. Doch nicht nur die Taliban sind eine Bedrohung für Pakistans Christen, Hindus, Sikhs und Ahmaddiyas. Genaue Zahlen gibt es nicht - doch Schätzungen zufolge sind rund sechs Prozent der 170 Millionen Einwohner Pakistans keine Muslime.
Gefahr droht den religiösen Minderheiten auch aus der Mitte der Gesellschaft: Pakistan ist die treibende Kraft einer Gruppe von 56 Staaten, die bei den Vereinten Nationen durchsetzen wollen, dass ein internationales Regelwerk gegen Gotteslästerung erlassen wird. Die Initiative der Organisation der Islamischen Konferenz wird weniger von der pakistanischen Regierung, sondern von einer Reihe religiöser Gruppen in Pakistan betrieben, deren Ziel es ist, die Gesellschaft der südasiatischen Republik weiter zu islamisieren.
Beleidigung des Korans?
Diese Gruppen behaupten immer wieder, dass die Fälle von Verunglimpfung und Beleidigung des Korans und des Islams in Pakistan immer mehr zunehmen. Sie suchen daher internationale Unterstützung, um die Rechte der religiösen Minderheiten im Land weiter zu beschneiden. Beweise für ihre Behauptungen können sie nicht vorlegen. Gleichzeitig verkündet jedoch Pakistans Regierung, man wolle das im Westen viel kritisierte Blasphemie-Gesetz abschaffen.
Hunderte Fälle von Blasphemie sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten angezeigt worden. Das unter Militärdiktator Zia-ul-Haq 1979 verschärfte Gesetz sieht sogar die Todesstrafe für die Beleidigung des Propheten Mohammed vor. Zwar ist noch niemand dazu verurteilt worden, doch die Gefährdung für Nicht-Muslime in Pakistan bleibt.
Lange Haft
"Das Gesetz wird in vielen Fällen gegen die christliche Gemeinde angewandt", sagt Victor Azariah, der Vorsitzende des pakistanischen Kirchenrats. Weil das Gesetz keine Freilassung des Beschuldigten gegen Kaution oder andere Auflagen vorsieht, wandern die Beschuldigten sogleich in Haft, um auf ihren Prozess zu warten.
Das kann in Ländern wie Pakistan Jahre dauern. Ein 26-jähriger Mann in Lahore wurde kürzlich zu lebenslänglich verurteilt. Der Christ soll nach Angaben eines Nachbars den Koran entweiht haben. Oft genug dient das Gesetz einfach dazu, Menschen nicht-islamischen Glaubens Gotteslästerung zu unterstellen, um so Unruhe und Übergriffe auf Siedlungen von Christen zu schüren.
"Es ist eines der meistmissbrauchten Gesetze", klagt Azariah. Er glaubt nicht, dass die Vorschriften aufgehoben oder reformiert werden: "Es gibt einen starken Druck von den religiösen Parteien und die anderen machen mit."
epd