Vorratsdatenspeicherung: "Du sollst dir kein Bildnis machen" gilt immer

Vorratsdatenspeicherung: "Du sollst dir kein Bildnis machen" gilt immer
Welche Informationen soll der Staat über mich haben? Welche Daten dürfen andere über mich sammeln? Diese Fragen haben in dieser Woche viele beschäftigt. Denn am Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht beschlossen: Die so genannte Vorratsdatenspeicherung – also die Massen-Speicherung von Telefon- und Internetdaten zur Strafverfolgung - ist nicht mit unserer Verfassung vereinbar.
05.03.2010
Von Jost Mazuch

Neue Techniken machen es dem Staat leicht, mich zu überwachen. Seit 2008 mussten die Telefongesellschaften alle Verbindungsdaten von sämtlichen Telefongesprächen und SMS-Verbindungen ein halbes Jahr lang speichern. Seit 2009 galt das auch für Internetverbindungen. Seitdem wurde genau festgehalten, wo und mit wem ich von meinem Handy oder von zu Hause aus telefoniert habe, auf welchen Internetseiten ich mich umgesehen habe und wem ich eine E-Mail oder eine SMS geschrieben habe.

Ich bin froh, dass damit nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes jetzt erst einmal Schluss ist. Jetzt werden die gesammelten Daten wieder gelöscht. Ich bin froh darüber, weil ich dieser Daten-Sammelleidenschaft nicht traue. Zu groß ist die Versuchung, da doch mal neugierig rein zu gucken. Immer wieder ist es vorgekommen, dass in Firmen oder Behörden die vorhandenen Informationen zu ganz anderen Zwecken verwendet werden, als ursprünglich vorgesehen: zum Beispiel, um missliebige Mitarbeiter oder politische Gegner zu bespitzeln.

Aber nicht erst der Missbrauch dieser Daten ist gefährlich. Schon dass sie auf Vorrat gesammelt werden, ohne konkreten Anlass und Verdacht, schafft eine Atmosphäre der Angst, des Misstrauens. Der Staat misstraut seinen Bürgern und Bürgerinnen: Alle könnten sie potentielle Verbrecher oder Terroristen sein! Und die Menschen misstrauen einem Staat, der sie auf Vorrat überwachen lässt. Aber Kontrolle ist nicht grundsätzlich besser als Vertrauen.

Bei einem konkreten Verdacht, wie bei den Terroristen der Sauerlandgruppe, ist eine gerichtlich angeordnete Überwachung möglich und nötig. Aber grundsätzlich lebt eine freie Gesellschaft vom Vertrauen, auch wenn wir niemals alles über die anderen Menschen wissen können.

Für mich ist klar: Ich will nicht, dass sich irgendjemand ungefragt eine Vorstellung von mir macht aus den Datenspuren, die ich im Telefonnetz oder im Internet hinterlasse. Eine solche Vorstellung könnte nur falsch sein. Ich bin nämlich als Person immer noch mehr als das, was irgendjemand über mich weiß. Das biblische Gebot: „Du sollst dir kein Bildnis machen“ gilt für Gott, aber auch für den Menschen, der Gottes Ebenbild ist.

Das gibt mir die Freiheit, nicht festgelegt zu werden auf die Daten und Informationen, die jemand über mich sammelt. Das gibt mir die Freiheit, auch noch ganz anders zu sein. Ich bin ein Mensch mit vielen offenen Fragen, mit Fehlern und mit Geheimnissen. Als Christ glaube ich, dass ich alle diese Dinge Gott anvertrauen kann, und sicher auch ein paar Menschen, denen ich vertraue. Andere aber gehen sie nichts an. Sie sollen sich kein Bild von mir machen.

Deshalb ist für mich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wie das die Juristen nennen, so wertvoll. Wer will, soll im Internet die persönlichsten Dinge über sich veröffentlichen – ich werde das nicht tun. Wer will, mag bei Payback seine Konsumgewohnheiten registrieren lassen – ich möchte nicht zum gläsernen Kunden werden. Und ich möchte erst recht nicht, dass meine Kontakte mit anderen Menschen beobachtet und ausgewertet werden. Darum will ich auch nicht so einen neuen elektronischen Personalausweis haben, der in dieser Woche auf der Cebit-Messe vorgestellt wurde. Auf dem sind nicht nur alle möglichen Daten bis hin zum Fingerabdruck gespeichert – diese Informationen können auch per Funk abgefragt werden, ohne dass der Träger das merkt. Da werden die Datenschützer auch in Zukunft viel zu tun haben.


Die Morgenandacht von Pfarrer Jost Mazuch wurde am 05. März als Sendung der evangelischen Kirche im Deutschlandfunk gesendet. Morgenandachten aus den katholischen und evangelischen Kirchensendungen gibt es Montag bis Samstag von 6.35 bis 6.40 Uhr.


Über den Autor:

Pfarrer Jost Mazuch, geboren 1955, aufgewachsen in Wesel am Niederrhein, studierte Theologie in Mainz und Tübingen. Nach dem Vikariat lernte er beim WDR ein Jahr lang das Rundfunkhandwerk kennen. Seitdem gestaltet er regelmäßig kirchliche Sendungen im Deutschlandfunk, im Deutschlandradio Kultur und beim WDR. Pfarrer war er zuerst in Düren, später in der Studentengemeinde in Köln, und heute in der Evangelischen Gemeinde Köln-Klettenberg. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.