Hedwig Dohm geißelte den Krieg als Gotteslästerung

Hedwig Dohm geißelte den Krieg als Gotteslästerung
Im Jahr 1917 gibt es nur noch wenige in Deutschland, die davon träumen, der Krieg werde bald und siegreich zu Ende gehen. Mehr als eine Million Soldaten wurden in den Schlachten an der Somme im Jahr zuvor getötet oder verletzt. Und nun: Proteste bis ins deutsche Parlament hinein, eine immer gierigere Kriegswirtschaft in Deutschland, Revolution in Russland, Meutereien in den französischen Streitkräften. Der deutsche Reichstag beschließt im Juli 1917 eine folgenlose Friedens­resolution. Eine Friedensnote des Papstes im August stößt auf Ablehnung.
04.03.2010
Von Eduard Kopp

Da druckt ein Verleger den Buchtext ­einer 86-jährigen Frau, die darin den Krieg ohne Wenn und Aber verurteilt. Das Besondere: Dieser Text war bereits zwei Jahre alt. Als er entstand, schwelgte ganz Deutschland noch in Kriegsbegeisterung. Doch Hedwig Dohm geißelt schon 1915 in ihrem Text "Der Missbrauch des Todes" den Krieg als Gotteslästerung. Der Krieg sei selbst zur Religion geworden, klagt sie. Und sie, die hellsichtige, aber nicht sonderlich fromme Frau, fordert: "Ich will eine neue Religion. Ich will, dass wir Christen werden. Wir haben nicht den Kern des Christentum, die Menschenliebe."

Sie ist eine resolute Person, kaum 1,50 Meter groß, Journalistin, Schriftstellerin. "Ihre Waffe ist die Feder, nicht der öffentliche Disput", sagt Isabel Rohner, Herausgeberin ihrer Schriften. Hedwig Dohm beherrscht viele literarische Genres, darunter besonders gekonnt die Polemik. Brillant sind ihre ironischen Analysen über die männliche Gedankenwelt, zum Beispiel wenn sie sich mit der These auseinandersetzt, die Frau habe keine Persönlichkeit: "Es muss für den Mann nicht leicht sein, unter den persönlichkeitslosen, undifferenzierten Ehekandidatinnen die richtige - auf ein strammes Kind abzielende - ­Auswahl zu treffen."

Ihre Romane waren lange vergessen

Zupackende, journalistische Texte durchziehen ihr ganzes Werk. Merkwürdig genug, dass sie bis in die 70er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts nahezu vergessen ist. Zwar entdeckt die neue Frauenbewegung sie als Polemikerin und politische Theoretikerin. Ihre Romane jedoch rücken erst in den 90er Jahren in den Blick der Öffentlichkeit. Und erst jetzt erscheint die wissenschaftliche Edition ihrer Werke.

Hedwig Dohm ist kompromisslos, auch gegenüber Redaktionen, deren Bitte um Manuskripte sie oft ablehnt. Eine Biografin, Minna Cauer, charakterisiert sie 1913 so: Sie sei unglaublich fordernd. Sie fordere Argumente, keinen Smalltalk. Sie wisse alles, habe alles gelesen.

Bereits 1817, also lange vor Hedwigs Geburt, war ihr Vater, ein erfolgreicher Berliner Tabakfabrikant, vom Judentum zum Christentum konvertiert. Auch ihr Mann Ernst Dohm, leitender Redakteur beim Satireblatt "Kladderadatsch", war konvertiert. Zwar spielt die religiöse Praxis in ihrer Ehe und Familie kaum eine Rolle, aber sie setzt sich intensiv mit Judentum und Christentum auseinander. Im Dohm'schen Haus in Berlin verkehrt die geistige Elite Berlins, darunter viele "Alt-48er", Anhänger der 48er-Revolution. Bei Dohms gehen ein und aus: Ferdinand Lassalle, Alexander von Humboldt, Theodor Fontane, Fritz Reuter.

Zu radikal für die bürgerliche Frauenbewegung

Sie ist Mitte dreißig - die Geburt ihres jüngsten Kindes liegt ein halbes Jahrzehnt zurück -, als ihre publizistische Karriere beginnt. Die von ihr verfasste spanische Literaturgeschichte erregt große Aufmerksamkeit. Als sie etwa 40 ist, erscheint ihr erster feministischer Essayband: "Was die Pastoren von den Frauen denken".

Zwei Jahrzehnte lang stand Hedwig Dohm politisch meist allein da. Der bürgerlichen Frauenbewegung war sie zu radikal. Bereits 1873, also 45 Jahre vor seiner offiziellen Einführung in Deutschland, hat sie das Frauenstimmrecht gefordert. Keine andere Frau ging damals so weit. Erst recht nicht der Deutsche Evangelische Frauenbund, der wegen dieser Forderung noch 1917 aus dem Bund Deutscher Frauenvereine austrat. Dohm forderte außerdem uneingeschränkte Studienmöglichkeiten und freie Berufswahl.

Erst als sich die Frauenbewegung insgesamt radikalisiert, rückt Dohm ins Zentrum der Wahrnehmung. Politische Analysen, Polemiken, Aufsatzsammlungen, literarische Texte: Das Band ihrer Veröffentlichungen reißt nicht mehr ab bis zu ihrem Tod im Jahr 1919.

Eine Übersicht über die Texte Dohms gibt die umfangreiche und wissenschaftlich begleitete "Edition Hedwig Dohm" .