Bewegtes Beten - Spiritualität für Leib und Seele

Bewegtes Beten - Spiritualität für Leib und Seele
Echtes Chi, also Lebensenergie, oder doch wieder nur Chichi, das ist für viele die Frage: tausendmal probiert, tausendmal ist nichts passiert. Yoga, Thai-Chi, oder Chigong gibt's heute in jeder Volkshochschule. Aber welche Alternativen bietet das Christentum? Beten. Sehr originell. Doch mit Bewegung fühlt sich das Gebet gleich ganz anders an: ein Überblick über etwas andere Herangehensweisen an Spiritualität, die beim 2. Christlichen Gesundheitskongress vorgestellt wurden.
24.01.2010
Von Stefan Becker

Die Suche geht weiter. Die Suche nach der Methode, die den Menschen wieder zur Ruhe kommen lässt und dabei noch stärkt. Geistig und körperlich, oder besser – leiblich. Denn zwischen den beiden Begriffen gebe es einen bedeutenden Unterschied, wie der Hamburger Urologe Dr. Volker Brandes auf dem Christlichen Gesundheitskongress in Kassel erklärte: "Der Körper an sich bezeichnet etwas Lebloses, das Lebendige dagegen ist der Leib". Darum gab es früher Leibärzte und Leibesübungen. Heute haben nur die kulinarischen Varianten überdauert, das leibliche Wohl und das Leibgericht, oft zu fett und noch öfter zu süß. Dann kann es schon mal passieren, dass der Unterleib ganz aus dem Blickfeld verschwindet.

Aus den Augen, aus dem Sinn? Und wenn schon, wetterte Dr. Manfred Lütz. Der wortgewaltige Theologe und Mediziner - bekannt unter anderem durch das Buch "Lebenslust. Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult" - gab seine Büttenrede über die Ideologie einer vermeintlichen Gesundheitsreligion zum Besten und der Kongress-Saal in Kassel brüllte. Die 1.400 Zuhörer hatten ihren Spaß an den satirischen Pointen des gelernten Psychiaters, der in seiner polarisierenden Polemik allerdings immer wieder inne hielt und auch ernste Gedanken aussprach. Als Freund rasanter Formulierungen rasierte er in seiner verbalen Tour de Force Körneresser und Chefärzte, Fitness-Freaks und christliche Therapeuten. Denn welchen Vorteil biete der christliche Therapeut? Entscheidend sei, dass ein Therapeut gut ist, sagte Lütz.

"Soaking" - Stille aufsaugen

Verschiedene Therapeuten boten ihre Dienste auf dem Kongress an und dazu gehörten auch Franka und Heribert Elfgen. Sie therapieren nicht christlich, sondern verstehen sich als praktizierende Christen, die eine Praxis für Physiotherapie unterhalten und den Patienten mit Offenheit und Sensibilität begegnen wollen. Ein noch recht frisches Angebot für alle heißt "Soaking". Ein neuer Anglizismus für ein extrem ruhiges Konzept: "Viele Menschen leiden unter einem Mangel an Bewegung, sind dabei aber gleichzeitig viel zu verspannt – wir bieten ein Programm, wo die Menschen nur etwas Mut zur Stille mitbringen müssen", sagt Franka Elfgen.

Bewegt wird hier nur die Seele: Die Patienten oder "Soaker" sitzen oder liegen und es passiert nichts. Außer dass Heribert Elfgen irgendwann Töne auf dem Klavier anspielt, doch auch das nur ganz reduziert. "Soaking bedeutet soviel wie Aufsaugen. Die Kunden erhalten die Stille in kleinen Dosen, damit sie diese auch aufnehmen und verarbeiten können. Das wird langsam wiederholt und dann lässt sich das Pensum auch langsam steigern. Manchmal singe ich dazu oder spreche Gebete", sagt Heribert Elfgen. Neben der leiblichen Arbeit wirkt er auch als Musiktherapeut und gemeinsam mit seiner Frau will er den Menschen die Basis neu bereiten, dass sie wieder ihren Wert und ihre Würde spüren.

Gute christliche Bewegungs-Gymnastik vermisst

Auch Stefan Dennenmoser will seine Gäste wieder erden und bittet sie, sich so hinzustellen, als würden die Füße wieder Wurzeln schlagen. Denn eigentlich besitzt dieser Zustand im deutschen Sprachgebrauch einen eher negativen Charakter. Wer Wurzeln schlägt, kommt nicht weiter. Wohin aber, wenn man gar keine Wurzeln hat?

Dazu empfiehlt er den Besuchern des Seminars "Bewegt beten – praktische Impulse zum Gebet mit Leib und Seele" gezielte Atempausen. Also Ruhe. Damit der göttlichen Energie auch genügend Zeit bleibt für den Stoffwechsel. Und er nennt das bestehende Defizit beim Namen: "Es wäre schön, wenn die Christen mal eine gute Bewegungs-Gymnastik erfinden würden." Solange das noch nicht geschehen ist, schickt Sportwissenschaftler Dennenmoser seine Teilnehmer durch den Raum, mal mit empor gestreckten Armen, mal mit zum Himmel erhobenen Häuptern, und auf den Lippen nur Lieder der Liebe. Weil beten bewegt, wie er sagt.

Eine moderne tänzerische Variante des Gebets heißt "Harmonics". Ebenfalls sehr bewegt und bewegend, auf der Basis von vier Grundmustern, die selbst Grobmotoriker ganz gut auf die Reihe bekommen. Musikpädagogin Birte Wefel erklärt die Idee: Wiegen in allen Varianten und Dimensionen. Zu erst nur locker hin und her, pränatale Phase, dann schwingen die Arme vor dem Körper, dann schrauben sich die Arme um den Leib und zum Höhepunkten macht jeder die Welle. Allerdings dynamischer als beim Kirchentag oder im Fußballstadion, diesmal mit Anlauf, Aufbäumen und Abflug. Die Tanzenden finden schnell in Rhythmus und Choreographie und so sei es auch gewünscht, sagt die Vortänzerin. Halleluja.

In der obligatorischen Vorstellungsrunde zum Beginn des Seminars hatte eine Teilnehmerin gesagt, dass sie immer noch die Worte ihrer Jugend im Kopf habe: Tanz sei Sünde. Was für ein Wahnsinn. Und so sündigte sie nach bestem Wissen und Gewissen, ganz im Sinne der Lütz'schen Lebenslust. Und vielleicht hat sie jetzt gefunden, was Leib und Seele in Einklang bringt.

 


 

Stichwort "Christlicher Gesundheitskongress":

Unter dem Motto "Beauftragt zu heilen - in Beruf, Gemeinde, Gesellschaft" haben sich in Kassel  Beschäftigte des Gesundheitswesens sowie Vertreter aus Kirche, Diakonie und Caritas getroffen. Einem Sprecher zufolge waren über 1.200 Dauerteilnehmer dabei; es handelte sich um den zweiten Kongress dieser Art. Zu den Veranstaltern gehören das Diakonische Werk, die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Mediziner, die Geistliche Gemeinde-Erneuerung in der Evangelischen Kirche und das Deutsche Institut für Ärztliche Mission. Unter den Referenten finden sich so prominente Menschen wie die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann, der Dominikaner-Pater Anselm Grün oder der Vorsitzende des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche, Hans-Dieter Kottnick. Weitere Infos: www.christlicher-gesundheitskongress.com

Stefan Becker ist freier Journalist und lebt in Innsbruck.