Inzwischen folgen über 4.000 Menschen dem Twitter-Strom von Frederic, Student, Fotograf und Technikliebhaber, der bei Twitter unter dem Namen @fredodupoux angemeldet ist. Für die Stunden nach dem Erdbeben ist ein bewegendes Bild seiner Situation erkennbar. Nachdem er sich bei seinen Freunden gemeldet hat, nutzt er seine 140 Zeichen, um Warnungen über gefährliche Straßen auszusenden und seine Mitmenschen zur Hilfe aufzufordern: "Wenn irgendjemand in Haiti ist und das hier liest. Bitte geht raus und helft in den Straßen." Am nächsten Tag heißt es einfach: "Guten Morgen, Haiti! Lasst uns die Leute finden." Später schickt er Fotos, antwortet auf Fragen von anderen Twitterern, die wissen wollen, wie die Lage ist, versucht Hilferufe zu koordinieren.
"Schickt mir Fragen mit 140 Zeichen"
Twitter scheint für Frederic besonders geeignet zu sein, um sich der Welt mitzuteilen. "Ich mache keine Interviews über das Telefon", schreibt er. "Ich habe kaum Zeit für meine E-Mails. Schickt mir Fragen mit 140 Zeichen." Nach den Demonstrationen im Iran und den Anschlägen in Mumbai ist das verheerende Erdbeben in Haiti nunmehr das dritte Großereignis, bei dem das neueste Werkzeug des sozialen Webs 2.0 seine Nützlichkeit beweisen darf. Es ist schnell und intuitiv zu bedienen, von jedem zu nutzen und von jedem zu lesen. Eine riesige Sammlung von SMS-Nachrichten an die Welt.
Lee Cohen war zum Zeitpunkt des Erdbebens gerade nicht in Haiti. Er ist Entwicklungshelfer für eine kleine Nichtregierungsorganisation und hat die Katastrophe um knapp 24 Stunden verpasst. "Frustrierend, nicht zu wissen, ob es meinen Freunden gutgeht", schreibt er am Abend des 12. Januar. Alle Leitungen seien besetzt. Direkt am nächsten Tag spricht er die Twitter-Gemeinde an: "Wie können kleine Organisationen in Haiti ihre Bemühungen mit den Großen koordinieren? Ideen?"
Werkzeug, um die benötigten Spezialisten zu finden
Für das "Crisis Mapping", also eine Bestandsaufnahme der Katastrophe über Mobiltelefone und GPS, rekrutiert er Menschen mit Technikverstand. Twitter ist für Cohen vor allem ein Werkzeug, um die Intelligenz des Schwarms zu nutzen: Wenn man nur genug Leute fragt, wird jemand dabei sein, der genau das weiß, was man braucht.
Wer viele Leute erreicht, bekommt auch Rückmeldung. Den Twitterern in Haiti schwappt aus der Netzgemeinde eine große Welle des Mitgefühls entgegen. Die New Yorkerin Martine, die zuvor als Society-Bloggerin unterwegs war und jetzt einige Zeit als Lehrerin in Haiti verbringt, beschreibt nicht nur die Schrecken, die sie sieht. "Ich danke euch allen für die Gebete", schreibt sie und wiederholt das in den kommenden Tagen mehrfach. Twitter scheint sie vor allem daran zu erinnern, dass es auf der ganzen Welt Menschen gibt, die für sie da sind.