Das Wunder vom Hudson: Der höflichste Held der Welt

Das Wunder vom Hudson: Der höflichste Held der Welt
Vor einem Jahr gelang Chesley Sullenberger ein Meisterstück: Er landete ein Flugzeug auf dem Hudson vor Manhattan. Und noch heute hält der Hype um ihn in den USA an.

Es passiert selten, dass die Passagiere in einem Flugzeug in Jubel ausbrechen, wenn der Kapitän bei der Begrüßung seinen Namen nennt. Chesley Sullenberger ist solch ein Name, den nicht nur in den USA jedes Kind kennt. Für viele Menschen ist "Sully" der Held schlechthin. Auch, weil er trotz zwölfmonatigen Rummels keinerlei Starallüren zeigt. Vor einem Jahr wasserte der damals 57-Jährige einen Airbus, bei dem beide Triebwerke ausgefallen waren, sicher auf dem Hudson-Fluss in New York. Die Stadt und das Land feiern ihren Helden erneut und noch immer, während die Hauptperson sich nicht verändert hat und auch nach einem Jahr sagt: "Ich habe doch einfach nur meinen Job gemacht."

"Der Hudson sieht heute wieder toll aus", hatte Sullenberger beim Start durch den Kopiloten gesagt. Routineflug, 900 Kilometer, gute Stunde. Sullenbergers nächstes Wort war "Birds!" Mit voller Wucht knallten die Vögel gegen die Maschine, ein paar auch in die beiden Triebwerke, die sofort brannten. "Das war der furchtbarste Moment meines Lebens", sagte "Sully" später. Im Cockpitfunk ist ihm das nicht anzuhören. "Mein Flugzeug!", sagt er nur zu dem Kopiloten, und der übergibt sofort die Maschine: "Ihr Flugzeug!"

"Wir gehen auf dem Hudson runter"

Mit einer kontrollierten Stimme, mit der andere einen Hamburger bestellen, funkte der 57-Jährige an den Tower: "Wir wurden von Vögeln getroffen und verlieren Schub in beiden Triebwerken. Wir kommen zurück." Doch der Airbus war da schon zum Segelflugzeug geworden, an eine Rückkehr nicht zu denken. Während der Tower "Cactus 1549" noch die Notlandebahnen freiräumt, funkt Sullenberger nur zurück: "Unmöglich". Welche Landebahn wolle er dann? "Wir gehen auf dem Hudson runter." Der Tower antwortet nach einer Schrecksekunde: "Entschuldigung, wiederholen Sie das bitte!"

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Nicht nur, dass die Maschine sich auf dem Wasser nicht überschlägt, dass sie nicht zerrissen wird, als sie mit Tempo 250 auf das Wasser knallt, die Passagiere bleiben auch noch unverletzt. Von der Notwasserung gibt es zahllose YouTube-Videos, dank der Überwachungskameras an den New Yorker Bürogebäuden. Ein tiefer Schnitt im Bein einer Stewardess ist die schlimmste Verletzung. Als alle Passagiere schon auf der Tragfläche des im Hudson liegenden Flugzeugs stehen, geht Sullenberger noch zweimal durch die Maschine und kontrolliert, ob alle draußen sind. Den bewegten Dank eines Passagiers in der Januarkälte quittiert er mit einem Lächeln und den Worten "Gern geschehen".

600.000 Fans für den höflichsten Helden der Welt

Inzwischen hat der Sullenberger, der in der kalifornischen Stadt Danville wohnt, eine Autobiographie auch auf Deutsch veröffentlicht. Darin erzählt er von seiner Zeit bei der Luftwaffe und dem Leben als Flugkapitän - ein besserer Busfahrer. Aus diesem Leben ist "Sully" längst raus. Die Amerikaner lieben ihren bescheidenen Helden und eine New Yorker Zeitung hat gar eine "Sullymanie" ausgemacht. In Hunderten Interviews hat er immer wieder seine Crew gelobt. Und auf die Frage, ob er in den entscheidenden Minuten gebetet habe, geantwortet: "Ich vermute, dass jemand hinten sich darum gekümmert hat, während ich das Flugzeug flog."

"Es sieht nicht so aus, als ob der Trubel nachlässt", schreibt die "New York Times" ein Jahr nach dem "Wunder vom Hudson". Sullenberger hat auf seiner "Facebook"-Seite 600.000 Fans und inzwischen eine Art Pressesprecher, der helfen soll, den Ansturm zu bewältigen. "Er könnte den Rest seines Lebens damit verbringen, allen zu antworten, und er könnte trotzdem nicht allen antworten", sagte der PR-Mann der Zeitung.

So hat die Stadt Danville in Kalifornien seit einem Jahr einen Helden, aber auch Verluste zu beklagen. Denn mit dem Airbus versanken auch ein paar Bücher ihrer Stadtbücherei im eiskalten Hudson. Ein paar Tage später rief ein Mann an, und entschuldigte sich höflich und mit größtem Bedauern bei der Angestellten dafür, dass die Bücher leider abhandengekommen seien, es tue ihm sehr leid. Es war "Sully".

dpa