Den Solidaritätsbeitrag abschaffen?

Den Solidaritätsbeitrag abschaffen?
Der "Stern" meldet, dass die Mehrheit der Deutschen den Soli abschaffen will. Dies fordert auch der CDU-Politiker Bernhard Vogel. Allerdings erst 2019.
06.01.2010
Von Bernhard Vogel

Das Niedersächsische Finanzgericht hat im November 2009 beschlossen, wegen seiner ernsthaften Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlages als Ergänzungsabgabe die Angelegenheit dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Der Anlass war eine Klage eines Steuerpflichtigen gegen den Soli, die davon ausgeht, dass eine Ergänzungsabgabe nur einem kurzfristigen Steuermehrbedarf zu Grunde liegen dürfe und zweckgebunden sein müsse.

Der Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichtes hat zu einer breiten öffentlichen Debatte geführt, die allerdings häufig die tatsächlichen Fakten beiseite lässt und den Eindruck erweckt, als sei seine Verfassungswidrigkeit schon beschlossene Sache. Davon kann keineswegs ausgegangen werden.

Kosten der Einheit

Der Solidaritätszuschlag wurde im Jahre 1991, also kurz nach der Wiedervereinigung, für sechs Monate erhoben. Im Juni 1993 wurde er als Ergänzungsabgabe durch das Solidaritätsgesetz, mit Wirkung vom Veranlagungszeitraum 1995 an, wieder eingeführt. Er stellt eine Ergänzungsabgabe im Sinne des Artikels 106 Abs. 1 Nr. 6 des Grundgesetzes dar. Das heißt, er wird als Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer erhoben. Eine Ergänzungsabgabe ist eine ergänzende Steuer des Bundes, die einen akuten Fehlbedarf im Bundeshaushalt abdecken soll. Die Einführung des Solidaritätszuschlages wurde mit der Anpassung an veränderte Aufgaben nach der Herstellung der Deutschen Einheit, den damit verbundenen höheren Kosten und durch die veränderten politischen Bedingungen in Ost- und Südosteuropa begründet.

Er wird von Arbeitnehmern und Selbständigen sowie von Kapitalgesellschaften, aber auch von Beziehern von Zinseinkünften oder Dividenden erhoben. Er wird sowohl in West- wie auch in Ostdeutschland gezahlt. Die Steuer steht – anders als die Einkommen- und Körperschaftsteuer – allein dem Bund zu. Sie ist nicht zweckgebunden, wie vielfach geglaubt wird, sondern fließt dem allgemeinen Steuereinkommen zu. Die weitverbreitete Meinung, der Ertrag fließe unmittelbar den jungen Ländern zu, ist falsch.

185 Milliarden Euro

1995 betrug der Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer 7,5 Prozent, 1998 wurde er auf 5,5 Prozent abgesenkt. Er wird allerdings erst erhoben, wenn die festgesetzte Jahreseinkommensteuer 972,00 Euro übersteigt. erhoben. Im Jahr 2009 rechnet die Steuerschätzung mit Bundeseinnahmen in Höhe von zwölf Milliarden Euro. Insgesamt hat der Bund durch den Soli bisher rund 185 Milliarden Euro eingenommen.

Mit dem Solidaritätszuschlag befasst sich das Bundesverfassungsgericht nicht zum ersten Mal. Es hat in einem früheren Urteil die Erhebung für den Veranlagungszeitraum bis 2002 gebilligt und ausgeführt, dass eine Ergänzungsabgabe dazu bestimmt ist „anderweitig nicht auszugleichende Bedarfsspitzen im Haushalt zu decken“ (Gesetzesbegründung). Der Bedarf oder auch die Kosten neuer Aufgaben können sich auf einen Zeitraum von mehreren Jahren erstrecken.

Das Bundesverfassungsgericht dürfte diesmal zu klären haben, ob die Erhebung über jetzt 14 Jahre ihn inzwischen gegen die Verfassung zu einem Dauerfinanzinstrument gemacht hat oder ob eine Befristung etwa bis zum Jahr 2019 statthaft ist. 2019 wird der Solidarpakt II und damit die besondere Förderung der jungen Länder endgültig auslaufen.

Neue Gesichtspunkte

Weiter wird zu klären sein, ob etwa neue Gesichtspunkte hinzugekommen sind, die eine weitere Erhebung rechtfertigen. Die Folge der akuten Finanz- und Wirtschaftskrise z. B., die ohne Frage ebenfalls für einen befristeten Zeitraum zu mehr Belastungen des Bundeshaushalts führt. Mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dürfte frühestens in der zweiten Hälfte 2010 zu rechnen sein.

Sollte das Bundesverfassungsgericht den Soli für verfassungswidrig erklären, wäre es von erheblicher Bedeutung, ob das Urteil nur für die Zukunft gilt oder, wie jüngst bei der Entscheidung zur Pendlerpauschale, auch rückwirkend, was den Bundeshaushalt erheblich belasten würde.

Die inzwischen getroffene Entscheidung des Bundesfinanzministeriums, Steuerbescheide mit einem Vorläufigkeitsvermerk zu versehen und es den Steuerzahlern zu ersparen, gegen den Bescheid einzeln Einspruch zu erheben, scheint sinnvoll. Sollte das Bundesverfassungsgericht den Soli tatsächlich für verfassungswidrig erklären, würde dieser Bescheid von Amts wegen geändert und der Soli den Steuerpflichtigen zurückgezahlt. In einem solchen Fall ist allerdings zu erwarten, dass der Soli in den Steuertarif integriert würde und sich somit für die steuerliche Belastung des Bürgers am Ende nichts ändern dürfte. Die Einnahmen würden dann nicht mehr dem Bund allein, sondern Bund und Ländern gemeinsam zur Verfügung stehen.

Mehrbedarf nicht vorhersehbar

Politisch spricht alles dafür, ihn zum jetzigen Zeitpunkt nicht abzuschaffen. Jedem ist die besorgniserregende Haushaltslage des Bundes, der Länder und der Gemeinden bekannt. Im nächsten Jahr wird der Bund mehr neue Schulden aufnehmen als je zuvor. Die Währungs- und Wirtschaftskrise ist nicht überwunden. Maßnahmen zur Wiederbelebung der Konjunktur sind im allgemeinen Interesse dringend notwendig. Der Mehrbedarf ist unabweisbar und er war in diesem Ausmaß nicht vorhersehbar.

Ganz im Gegensatz zur jahrzehntelangen Erfahrung bewegt die hohe Schuldenlast die Bevölkerung, vor allem mit Blick auf die kommenden Generationen, zurzeit erfreulicherweise erheblich.

Da es sich aber beim Soli um eine Ergänzungsabgabe handelt, darf sie gleichwohl nicht dauerhaft erhalten werden. Eine zeitliche Begrenzung erscheint geboten. Ich halte es für richtig, seine Erhebung mit dem Auslaufen des Solidarpaktes, also mit dem Jahr 2019 zu beenden.

Ob tatsächlich bis 2019 in den jungen Ländern gleichwertige, wenn auch nicht gleiche Lebensverhältnisse hergestellt sein werden, mag dahingestellt bleiben. Dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer ist es auf jeden Fall an der Zeit, Sonderförderprogramme zu beenden und andere Wege, so wie sie seit Gründung der Bundesrepublik üblich sind, einzuschlagen. Seit sechzig Jahren wird finanzschwachen Ländern durch den horizontalen wie durch den vertikalen Finanzausgleich geholfen – ein selbstverständlicher Akt der Solidarität in einem föderalen Bundesstaat.

Bayern als Nehmer-Land

Bayern z. B. hat über Jahrzehnte als finanzschwaches Land Ausgleichszahlungen erhalten. Es hat gut gewirtschaftet und freut sich heute, darüber klagen zu können, anderen, heute schwächeren Ländern helfen zu müssen. Es steht für mich außer Frage: Wäre Deutschland nicht geteilt worden, Sachsen und Thüringen wären heute keine nehmenden, sondern vermutlich gebende Länder.

Den Soli abschaffen? Heute nein! Sollte das Bundesverfassungsgericht – womit ich nicht rechne – seine weitere Erhebung stoppen, würde es zu einer Anhebung der Einkommen- und Körperschaftsteuer kommen müssen. Aber eine zeitliche Begrenzung des Soli muss sein, sonst ist er keine Ergänzungsabgabe. 2019 muss er abgeschafft werden.


Prof. Dr. Bernhard Vogel (CDU), geb. 1932 in Göttingen, ist der einzige deutsche Politiker, der sowohl Ministerpräsident eines westlichen Bundeslandes (Rheinland-Pfalz, 1976 bis 1988) als auch eines östlichen Bundeslandes (Thüringen, 1992 bis 2003) gewesen ist. Von 1989 bis 1995 und von 2001 bis 2009 stand er der Konrad-Adenauer-Stiftung vor. Seit 2010 ist er Ehrenvorsitzender der Stiftung.