Kritik an Käßmann ist deplatziert

Kritik an Käßmann ist deplatziert
Auf Margot Käßmanns Äußerungen zum Afghanistan-Einsatz reagieren deutsche Politiker reflexhaft mit Kritik. Dabei hat die Bischöfin lediglich eine Vision entworfen.
03.01.2010
Von Henrik Schmitz

Man kennt das ja eigentlich aus dem Sommerloch, jener nachrichtenarmen Zeit im Juli, dass sich Politiker schon mal über das Ziel hinaus auf ein Thema oder eine Person einschießen. Selten mit Substanz. Aktuell scheinen die Herrschaften in ein ziemlich tiefes Winterloch gefallen zu sein, dass es einem tatsächlich kalt den Rücken runter läuft.

Zielscheibe ist die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann. Sie hatte in ihrer Neujahrspredigt festgestellt, nichts sei "gut" in Afghanistan und auch Waffen würden dort keinen Frieden schaffen. "Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden, für ganz andere Formen, Konflikte zu bewältigen", sagte die Bischöfin. 

Ihre wenigen Sätze reichten, um unter anderem Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose und das Vorstandsmitglied der den Grünen nahe stehenden Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, - Winter hin oder her - mal so richtig auf die Palme zu bringen. Eine Nähe zur Position der Linkspartei, die einen sofortigen Truppenabzug aus Afghanistan fordert, wurde Käßmann unterstellt. Fücks schrieb sogar, Käßmann vermehre die "Inflation politischer Stellungnahmen von Kirchenoberen, die selten über gut gemeinte Banalitäten hinauskommen".

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Vielleicht hätten die Herren die Predigt besser vorher gelesen, bevor sie kräftig lospolterten - was übrigens eine ziemlich männliche Eigenschafft sein kann, die über Banalitäten nicht hinauskommt. Denn Käßmann fordert - entgegen der Unterstellung - an keiner Stelle einen sofortigen Truppenabzug. Sie mischt sich letztlich nicht einmal ins politische Tagesgeschäft ein, was ihr die Politiker übel nehmen und offenbar - zu Unrecht - auch nicht zugestehen wollen.

Man kann die Predigt nämlich auch als eine Vision verstehen. Eine Vision von einer Politik, in der Konflikte nicht mit Waffen ausgetragen werden. Dies finden einige Menschen naiv, aber wenn Politiker schon keine Visionen mehr entwickeln, wer dann? Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen, soll Altkanzler Helmut Schmidt einmal gesagt haben. Wer keine Visionen hat, ist aber vielleicht auch nicht in der Lage, Routinen zu durchbrechen, die eben nicht für Frieden sorgen. Wer eine Vision schon von vornherein abschreibt, wird nie erleben, wie sie Wirklichkeit wird. Vielleicht hat auch Margot Käßmann einen Traum. Barack Obama ist lebendes Zeichen dafür, dass ein Traum, wie ihn einst Martin Luther King hatte, wahrwerden kann. Das braucht sicher seine Zeit, aber Margot Käßmann redet eben nicht von Handlungsalternativen, die innerhalb weniger Wochen zu realisieren sind.

Ängste formuliert

Aber selbst wenn die Predigt nicht als Vision verstanden wird, als langfristige Aufforderung, Frieden auf neuen Wegen zu schaffen, geht die Kritik fehl. Warum sollte sich die Ratsvorsitzende nicht zu tagesaktuellen politischen Themen äußern dürfen? Warum sollte sie nicht die Ängste formulieren dürfen, die viele Millionen Menschen mit ihr teilen. Sie ist als deutsche Bischöfin nicht nur dem Frieden in der Welt, sondern als Seelsorgerin auch dem Seelenfrieden deutscher Christen verpflichtet. Wenn Waffen ohnehin keinen Frieden in Afghanistan schaffen, ist der Preis traumatisierter deutscher Soldaten dann nicht zu hoch? Diese Frage - so explizit in der Predigt nicht einmal gestellt - darf man zumindest aufwerfen.

Politiker sollten sich daran gewöhnen, dass gesellschaftliche Fragen nicht nur im Bundestag erörtert werden. Es gibt in Deutschland eine Trennung von Staat und Religion. Das ist gut so. Die Politik muss dann aber akzeptieren, dass Kirche nicht dazu da ist, politische Entscheidungen ohne Wenn und Aber zu legitimieren, sondern sich mit eigenen Akzenten in Debatten einzubringen. Zum Beispiel, indem sie dazu anregt, Alternativen zu entwickeln. Wenn jemand einem einen Ball zuschießt, spielt man ihn zurück. Ihn zu zertrampeln, ist nicht produktiv. Und auch wenn der Begtriff in diesem Zusammenhang zynisch ist, so "schießen" doch Käßmann und deutsche Politiker auf dasselbe Ziel. Denn Frieden in Afghanistan wollen sie doch hoffentlich alle.


Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Medien und Kultur