An Heiligabend stimmt noch alles: Die Kerzen glänzen und spiegeln sich in den Glaskugeln, Kinderaugen leuchten. Ohne Weihnachtsbaum geht am Fest der Liebe gar nichts. Ist das Schmücken noch ein großes Ereignis, oft von familiären Ritualen begleitet, so ist das Ende ziemlich profan. Der Weihnachtsbaum mit seinem manchmal ererbten, immer aber mit Sorgfalt ausgesuchten Schmuck ist ein durch und durch bürgerliches Ritual und fest ins Familienleben eingebunden. Umso trauriger ist es oft gerade für Kinder, wenn er seine Schönheit verliert und womöglich auch noch zersägt wird.
In früheren Zeiten, als noch Äpfel und Gebäck am Baum hingen, gab es gerade in ländlichen Gegenden eigene Rituale, die das Abschiednehmen für die Kinder leichter machten. Da wurde der Baum spätestens um Dreikönig herum "geplündert". Waren schon vorher immer wieder Zuckerkringel oder Äpfelchen stibitzt worden, wurde der Weihnachtsbaum dann auch mit elterlichem Segen zum Plündern freigegeben. Ebenso wie das seinerzeit noch häufig aus selbstgebackenen Lebkuchenplatten und Zuckerguss hergestellte "Hexenhäuschen" durfte nun alles aufgegessen werden.
Zersägen und Verbrennen
Doch im Vergleich zum Schmücken, so weiß die Frankfurter Kulturhistorikerin Eva Stille, gibt es nur wenige Traditionen des "Abräumens". Allenfalls schnitzten Väter oder Großväter in manchen Dörfern aus den oberen Spitzen sogenannte Baumquirle für die Kleinen, bevor sie den Rest des Baumes zersägten und verbrannten. Daran erinnert sich auch Carola Stüwe. Bisweilen seien es in ihrer Heimatstadt Hildesheim mit ausgedienten Christbäumen auch die Ufer des Flusses Innerste befestigt worden, erinnert sich die 72-Jährige.
Als Termin für das Abräumen galt Epiphanias, der 6. Januar. Ob als Dreikönigsfest oder als Tag der Erscheinung des Herrn und Jesu Tauftag begangen – spätestens zwei Wochen nach Heiligabend wurde in den meisten Familien abgeschmückt. Keinen Tag früher darf es sein, meint zumindest auch heute ein selbsternannter Fachmann für Fragen rund um Weihnachten in einem österreichischen Internetforum. Er prophezeit für das nächste Weihnachtsfest sonst Unglück. Der Grund: Die Erzengel seien ungehalten, weil das Fest nicht gebührend gefeiert worden sei.
Der Fall der Nadeln wirft Fragen auf
Eher am kirchlichen Festtagskreis orientiert man sich dagegen heute noch in manchen katholischen Gegenden, wo es durchaus üblich ist, den Baum bis zum 2. Februar, dem Lichtmessfest, stehen zu lassen. In der "kalten Pracht" des bürgerlichen Wohnzimmers vergangener Zeiten kein Problem, sagt Eva Stille. Dieser repräsentative Raum wurde selten oder nie geheizt, daher nadelten die Fichten und Tannen kaum. In den heutzutage gut geheizten Wohnzimmern ist das schon schwieriger. Und spätestens mit dem Fall der Nadeln stellt sich auch die Frage: Wohin mit dem Baum?
Städte und Gemeinden haben sich darauf eingestellt. Hier gelten keine festlichen Rituale, sondern handfeste Vorschriften der Müllabfuhr. In Frankfurt am Main etwa muss der Baum – natürlich abgeschmückt – auf einen Meter gekürzt und an die Bio- oder Restmülltonne gelehnt werden. Nicht jeder der 350.000 Haushalte der Stadt hat einen Weihnachtsbaum aufgestellt, so die Erfahrung der Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH (FES). Denn Frankfurt ist eine ausgesprochene Singlestadt, so FES-Pressesprecher Michael Werner. "Wir stellen uns auf rund 100.000 Bäume im Stadtgebiet ein." In Berlin rechnet man mit 400.000 Bäumen, die rund 830 Müllfahrzeuge füllen werden.
Wenn die Elefanten Tannen kauen
Für die große repräsentative Tanne, der über dem Frankfurter Weihnachtsmarkt am Römerberg strahlte, gilt allerdings eine Sonderreglung. "Den können Sie irgendwann im Bürgerladen auf dem Römer kaufen", verspricht Pressesprecher Thomas Scheben. Allerdings nur in Teilen - als Holzspielzeug, das geistig oder körperlich beeinträchtigte Menschen der Praunheimer Werkstätten daraus herstellen. Im Ortsteil Marxheim des Taunusstädtchens Hofheim nimmt sich seit Jahren die Jugendfeuerwehr der ausgedienten Christbäume an. Gegen eine kleine Spende holen die jungen Feuerwehrleute das Grün ab und entsorgen es fachgerecht.
Eine ganz besondere Verwendung finden übrigens manche der nicht verkauften Weihnachtsbäume. Im Kronberger Opelzoo kauen nach Weihnachten die afrikanischen Elefanten stachliges Weihnachtsgrün. Auch einige Hirscharten dürfen das tun, was im Wald den Förster ärgert: Sie knabbern an den grünen Spitzen und schälen die Rinde ab. Mehr als 300 Baume allerdings kann auch der Zoo nicht abnehmen, sagt Pressesprecherin Margarete Herrmann: "Irgendwann wollen die Tiere wieder was Frischeres." Bäume, die einmal geschmückt waren, nimmt der Zoo übrigens nicht an. "Das wäre lebensgefährlich", sagt Herrmann. Und wer die traurigen Überreste an den Straßenrändern anschaut, versteht die Zurückhaltung. Allzu oft hängen noch Lamettastreifen oder Engelshaar in den Zweigen – und das bekommt selbst einem Elefantenmagen nicht.
Lieselotte Wendl ist freiberufliche Journalistin im Journalistenbüro pica in Frankfurt am Main.