"Es gibt einen kontinuierlich wachsenden Bedarf. Eine beängstigende Entwicklung, sehr bedrückend", sagt Jutta Schlockermann, die als Leiterin der Aachener Tafel eine alljährliche Päckchen-Spendenaktion vor Heiligabend ins Leben gerufen hat. "Armut ist sowieso schon bitter, aber an Weihnachten besonders."
Die meisten der bundesweit 885 Tafeln denken sich in der Vorweihnachtszeit besondere Aktionen aus: "Da werden Kunden in Geschäften gebeten, einen Artikel mehr als nötig fürs Fest zu kaufen, ihn aber im Laden für Bedürftige sammeln zu lassen", erzählt Anke Assig vom Bundesverband Deutsche Tafeln in Berlin. Andere Tafeln - etwa im Raum München - laden Assig zufolge in Zusammenarbeit mit Gastronomen zu einem großen kostenlosen Weihnachtsessen ein. An vielen Orten wie Dresden gibt es Gratis-Adventskaffees oder Familienfeiern mit kleinen Geschenken für die Kinder.
226 Euro im Schnitt für Geschenke
Für einige Menschen mit sehr kleinem Portemonnaie ist schon am 18. Dezember Weihnachten, zumindest in Nordrhein-Westfalen: Dann verteilen die meisten der gut 150 Tafeln im bevölkerungsreichsten Bundesland die tags zuvor gespendeten Kisten mit haltbaren Lebensmitteln wie Kartoffelpüree, Kaffee, Stollen, Konserven oder Säften. "Zu uns kommen Herrschaften über 50, die kaum noch Perspektiven auf eine Arbeit haben, aber auch Familien, die ihren Kindern ein schönes Weihnachtsfest bieten wollen, und dazu gehört eben auch gutes Essen", erzählt Schlockermann. Im vergangenen Jahr wurden 60.000 Lebensmittelkisten gespendet. Das WDR-Fernsehen unterstützt die Aktion mit Berichten.
Weit mehr als eine Million Menschen benötigen nach Schätzungen Lebensmittel-Unterstützung - und das gilt umso mehr zum Jahresende und an den besonderen Festtagen, wie Assig erklärt. "Zehn Millionen Menschen in Deutschland sind auf Transferleistungen angewiesen - und einige von ihnen sparen regelmäßig am Essen." Viele verschulden sich aber auch, um beim Fest mithalten und "vorzeigbare" Geschenke machen zu können. Laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW/Köln) will jeder erwachsene Verbraucher für Weihnachten 2009 laut Umfrage für Geschenke - Unterhaltungselektronik, PCs, Schmuck und Bekleidung - im Schnitt 226 Euro ausgeben. Undenkbar für viele.
"Gerade an Weihnachten wollen manche Leute mit sehr geringem Einkommen kompensieren, dass sie sonst nicht so mithalten können, dass sie auch ihre Kinder nicht so wie die Mitschüler ausstatten können", sagt der Leiter der Kölner Caritas-Schuldnerberatung Markus Kühn. Da klinge es dann besonders verlockend, wenn etwa die Werbung der Elektronikmärkte - "null Prozent Zinsen und 24 Monate Laufzeit" - vorgaukele, das eigentliche unerschwingliche Objekt der Begierde sei eben doch erschwinglich. "Oft wird eine Kreditversicherung oder eine Geräteversicherung mitverkauft, man muss schon genau hinsehen, sonst kommt das den Käufer am Ende doch noch teuer zu stehlen."
Geld für Statussymbole
Kollege Roman Schlag aus Aachen weiß: "Wir haben viele verschuldete Ratsuchende bei uns, die sich für Weihnachten noch weiter verschulden. Das Konto wird weiter überzogen für Spiele-Konsolen oder teure Klamotten, weil das Status-Symbole sind, die in unserer Gesellschaft auch immer ein Stück Teilhabe bedeuten", erklärt Schlag. "Nach den Ferien wird in der Klasse gefragt, wer was bekommen hat, da werden PC-Spiele ausgetauscht - und das erzeugt natürlich Druck bei den Eltern."
Empfänger von Arbeitslosengeld II oder Hartz IV und stark überschuldete Haushalte - sie kommen kaum an Kredite - müssen den Gürtel an Weihnachten enger schnallen. 2009 gab es knapp 99.000 Verbraucher-Insolvenzen in Deutschland, die gestiegene Zahl von Arbeitslosen und Kurzarbeitern schlage hier aber noch nicht voll durch, meinen die Schuldnerberater. Schärfer kalkulieren müssen auch Verbraucher, die erstmals kein oder weniger Weihnachtsgeld erhalten, sagt Schlag. Statistiken gebe es nicht, aber: "Wer zu Weihnachten die Augen vor den finanziellen Realität verschließt, hat im nächsten Jahr das ganz große böse Erwachen."