Der Einsatz in Afghanistan braucht ein Gesamtkonzept

Der Einsatz in Afghanistan braucht ein Gesamtkonzept
Am 3. Dezember hat der Deutsche Bundestag das Mandat für die Beteiligung der Bundeswehr an der ISAF-Mission in Afghanistan um ein Jahr verlängert. Das war notwendig, denn ein sofortiger Abzug der Bundeswehr, wie die Linkspartei ihn fordert, wäre verantwortungslos. Die Lage im Land ist so instabil, dass ein überstürzter Truppenabzug wahrscheinlich den Kollaps bedeuten würde.
04.12.2009
Von Martin Dutzmann

Der Bundestag hat die Mandatsobergrenze von 4.500 Soldaten nicht erhöht. Auch das ist gut, denn dass mehr Soldaten mehr Sicherheit für Afghanistan bedeuten, erscheint trotz der gegenteiligen Meinung des amerikanischen Präsidenten zweifelhaft. Sicherheit lässt sich vor allem durch Stabilität gewinnen; diese aber braucht vorzugsweise zivile Anstrengungen. Stabil wird Afghanistan durch die Schaffung und Stärkung von Institutionen der Bildung und der Gesundheitsversorgung sowie durch eine leistungsfähige Polizei, eine funktionierende Justiz und eine einsatzbereite Armee. Dem Militär kommt beim Aufbau dieser Institutionen eine vergleichsweise überschaubare Rolle zu.

Zivilen Anstrengungen die Priorität einräumen

In der Zeit bis zur internationalen Afghanistankonferenz Ende Januar sollten der Zusammenhang und die Unterscheidung ziviler und militärischer Maßnahmen zum Wiederaufbau des Landes deutlicher als bisher beschrieben werden. Dabei ist den zivilen Anstrengungen die Priorität einzuräumen. Das ist ein zentrales Desiderat der Friedensdenkschrift der EKD "Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen" aus dem Jahr 2007. Zu überprüfen wäre ferner, ob der Militäreinsatz in Afghanistan den ethischen Kriterien für den rechtserhaltenden Gewaltgebrauch, wie sie in der Denkschrift dargelegt sind, standhält. Ich nenne nur ein einziges Kriterium: "Der Gewaltgebrauch (…) muss durch das Ziel begrenzt sein, die Bedingungen gewaltfreien Zusammenlebens (wieder-)herzustellen und muss über eine darauf bezogene Konzeption verfügen." Eine Konzeption, die diesen Namen verdient, ist mir bisher nicht bekannt. Auch ist meines Wissens nirgends präzise beschrieben, unter welchen Umständen die Bundeswehr Afghanistan wieder verlassen kann.

Wenn der Bundestag sich wieder mit dem Engagement der Bundesrepublik Deutschland in Afghanistan befasst, sollte er nicht allein über dessen militärische Seite beraten und beschließen, auch wenn nur dies rechtlich geboten ist. Politisch ist es erforderlich ein Gesamtkonzept zu verabschieden. In einem solchen Konzept wäre darzulegen, was in Afghanistan durch die Bundeswehr zu leisten ist und was nicht, welche Aufbaumaßnahmen an zivile Organisationen zu vergeben sind, wie die Schnittflächen beschaffen sein sollen und wie viel Geld für das eine wie für das andere ausgegeben wird. So würde Transparenz geschaffen, und es wäre deutlich, ob den zivilen Friedensbemühungen tatsächlich der Vorrang eingeräumt wird, der ihnen aus ethischer Sicht gebührt. Außerdem wäre auf diese Weise eine bessere Evaluation des gesamten Einsatzes möglich.

Der Bundeswehr gegenüber stehen ausschließlich Zivilisten

Die Bundestagsdebatte hatte einen Höhepunkt in der Rede des Bundesverteidigungsministers zu Guttenberg, in der er sich von seiner früheren Einschätzung des von der Bundeswehr befohlenen Luftangriffs auf zwei entführte Tanklastzüge in Kundus am 4. September distanzierte. Ich kann die Berechtigung dieser wie jener Beurteilung nicht nachprüfen, weil mir die entsprechenden Berichte nicht vorliegen.

Zweierlei gebe ich aber in diesem Zusammenhang zu bedenken. Erstens: In Afghanistan herrscht zwar nicht rechtlich, wohl aber faktisch Krieg. Im Krieg aber liegen die Dinge eben nicht so einfach wie in der friedlichen Bundesrepublik. Der Luftangriff liegt nun bereits ein Vierteljahr zurück, und viele kompetente Menschen haben verversucht, den Hergang zu rekonstruieren und zu beurteilen. Oberst Georg Klein hatte in jener Nacht weder so viel Zeit noch annähernd so viele Berater zur Verfügung; das sollte man im Blick behalten.

Damit hängt ein Zweites zusammen: In Kundus hat es nicht "eine große Zahl von Todesopfern, darunter auch Zivilisten" gegeben. Es waren ausschließlich Zivilisten, darunter eine unbekannte Anzahl bewaffneter Krimineller. Nur wenn man auch in der Wortwahl ehrlich bleibt, wird man den Beteiligten - und den Schwierigkeiten, mit denen sie in dieser ungleichen Auseinandersetzung konfrontiert sind - gerecht. Dass der Luftangriff genau untersucht werden muss, hat im Übrigen meines Wissens auch Oberst Klein nie bestritten.


 

 

Dr. Martin Dutzmann ist als Militärbischof der kirchliche Leiter der Evangelischen Militärseelsorge.