In einer Ecke der Sehitlik-Moschee im Berliner Stadtteil Neukölln wirft sich ein Mann auf den Boden. Schweigend ins Gebet vertieft, nimmt er die Pracht des Baus kaum wahr: kunstvoll geschwungene Kalligrafie, eine Predigtkanzel aus weißem Marmor und ein riesiger Kronleuchter mit den Namen Allahs. Auch äußerlich ist der osmanische Kuppelbau mit zwei 37 Meter hohen Minaretten der ganze Stolz der Berliner Türken - und eher die Ausnahme.
Unter den etwa 80 islamischen Gotteshäusern in Berlin gibt es nur fünf repräsentative Bauten - der Rest sind Hinterhof-Moscheen. Die Schweizer Volksabstimmung gegen den Bau neuer Minarette am vergangenen Sonntag sorgt in der größten deutschen Stadt für Unverständnis. "Die Diskussion in der Schweiz ist für uns sehr provokativ", sagt Pinar Cetin vom Vorstand der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib). Schon jetzt mache sich in Deutschland "immer mehr eine islamfeindliche Stimmung bis in die Mitte der Gesellschaft hinein breit".
Türken, Araber, Bosniaken, Inder
In der Bundesrepublik leben laut Schätzungen etwa vier Millionen Menschen muslimischer Herkunft, in Berlin sollen es ungefähr 120.000 sein. Viele von ihnen sind türkisch-arabischer Herkunft, aber es gibt auch Bosniaken oder Inder. Ihre Moscheen dienen ihnen nicht nur als Gebetsräume, sondern auch als Bildungsstätten und Anlaufstellen für Lebenshilfe. Immer öfter wird darin auch Deutsch gesprochen.
"Es sind nicht Minarette, die das demokratische Zusammenleben bedrohen", sagt Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening. "Gefährdet wird es durch Gruppen, die die Grundrechte wie das Recht auf Religionsfreiheit für bestimmte Bevölkerungsgruppen einschränken möchten." Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, stellt er allerdings klar: "Berlin ist nicht Bern."
Aufgemalte Minarette
Eine der klassischen Hinterhof-Moscheen ist die Haci-Bayram-Moschee im Wedding. Zur Straßenseite hin ist das Schild "An- und Verkauf von Gebraucht- und Unfallwagen" um ein vielfaches größer als der Hinweis auf den Sakralbau. Ein angerosteter Mercedes und ein klappriger Peugeot parken auf dem Hof der Autowerkstatt vor der Moschee. Minarette sind auf die beigefarbene Hauswand lediglich aufgemalt.
"Es hat über zehn Jahre gedauert, bis die Mehrheitsgesellschaft und wir halbwegs miteinander reden konnten, aber jetzt fühlen wir uns hier akzeptiert", sagt Burhan Kesici, Vizepräsident der unter Extremismusverdacht stehenden Islamischen Föderation Berlin (IFB). Zu seinem Dachverband gehört auch die Haci-Bayram-Moschee.
"Wir verzeichnen einen latenten Anstieg der Islamophobie", berichtet auch Kesici. In diesen Trend füge sich der Volksentscheid in der Schweiz. "Das Votum wird von uns mit Bedenken aufgenommen", sagt Kesici. Zugleich bemerkt er: "Wir haben Vertrauen in die Politiker." Für gefährlich halte er jedoch die Individualisierung einiger Gemeindemitglieder, die sich völlig aus der Gemeinschaft zurückzögen.
Verärgert über Schweizer Votum
Auch im nahe gelegenen Interkulturellen Zentrum Dialog und Bildung (IZDB) wird das Schweizer Votum mit Bedauern, aber auch mit Verärgerung aufgenommen. "So eine Aktion wirft uns um Jahrzehnte zurück", sagt der IZDB-Vorsitzende Faical Salhi. Die Muslime fühlten sich dadurch ausgeschlossen. Es werde mit zweierlei Maß gemessen: "Im Namen der Freiheit nimmt man uns die Freiheit weg." Man könne doch nicht den Moscheebau einschränken, nur weil in Saudi-Arabien der Bau von Kirchen Restriktionen unterworfen sei.
Täglich würden in Deutschland Muslime angepöbelt, weil sie einen Bart oder ein Kopftuch trügen, sagt Salhi. Erst kürzlich sei eine Frau in Göttingen wegen ihres Kopftuchs brutal zusammengeschlagen worden: "Das kommt aus der Mitte der Gesellschaft und macht uns Angst, ich selbst habe Angst um meine Frau und Kinder."