Was ein Unternehmen zu einem guten Unternehmen macht

Was ein Unternehmen zu einem guten Unternehmen macht
Das Gütesiegel "Arbeit Plus" zeichnet Unternehmen aus, die sich überdurchschnittlich für moralische Werte in der Wirtschaft einsetzen. Wir stellen zwei der Gewinner-Unternehmen vor.
02.12.2009
Von Maike Freund

Ein bisschen stolz ist er schon, der Chef. Denn er empfindet die Auszeichnung als Ehre – auch noch nach dem vierten Mal. Als sich Helmut Wallrafen-Dreisow, Geschäftsführer der Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach – ein Zusammenschluss der wichtigsten sozialen Einrichtungen – 2001 das erste Mal mit dem Unternehmen um das Gütesiegel "Arbeit Plus" bewarb, tat er es auch zur Sicherheit. Das Thema Pflege war damals up-to-date: zu schlechte Betreuung, zu wenig Fachkräfte. Trotzdem sollte Geld eingespart werden. Ein Paradoxon in der Pflege, denn weniger Geld "kann immer nur zu Lasten der Mitarbeiter oder des pflegebedürftigen Menschen gehen". Wallrafen-Dreisows Sorge: die schwindende Qualität. Also wollte er einen Beleg für die gute Ist-Situation seiner Unternehmung, bevor es zu Kürzungen kommen konnte.

Den bekam er auch. Unter anderem für das besondere Engagement für die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen, für die Fortbildungen der Mitarbeiter und für die hohe Frauenquote. 87 Prozent der Unternehmensbelegschaft ist weiblich. Eigentlich keine Besonderheit in der Pflege, denn dort gibt es Berufe, die traditionell eher Frauen ausüben. Allerdings sind 75 Prozent der Führungskräfte ebenfalls weiblich. Und das ist auf jeden Fall besonders – Branche hin oder her. Für Wallrafen-Dreisow zeigt sich hier, "dass die Sozial-Holding authentisch ist".

Holding zahlt Tarifgehälter

Die Holding wurde 1996 gegründet. Unter einem Dach werden die wichtigsten sozialen Bereiche gesteuert, dazu gehören die städtischen Altenheime und ambulanten Pflegedienste. Die Gründe für den Zusammenschluss: Abbau von Bürokratie, besserer Service für Kunden, mehr Freiräume und Entwicklungschancen für Mitarbeiter. 875 Beschäftigte hat das Unternehmen zurzeit, davon 32 Auszubildende. Die Sozial-Holding zahlt Tarifgehälter – in Zeiten, in denen es immer weniger Geld von den Pflegekassen gibt, keine Selbstverständlichkeit. Im Schnitt zwei Tage im Jahr werden Mitarbeiter fortgebildet. Ein weiteres Steckenpferd: Die Integration von älteren Arbeitnehmern – 30 Prozent gehören zu der Gruppe 50 plus.

Ursula Diwok ist eine von ihnen. Seit März 2009 ist sie Pflegedienstleiterin bei dem Unternehmen. Ihre größte Sorge, dass sie mit 50 Jahren zu alt sein könnte, um auf dem Arbeitsmarkt noch eine Chance zu haben, hat sich nicht bestätigt. Im Gegenteil. Schon beim Einstellungsgespräch hatte man ihr gesagt, dass sie gerade wegen ihres Alters, wegen ihrer Erfahrung geschätzt würde. Als sie sich über das Unternehmen schlau gemacht hat, ist sie auf der Internetseite auf das Arbeitssiegel gestoßen. Obwohl sie es nicht kannte, war ihre Assoziation: Das muss ein Unternehmen sein, das mit den Mitarbeitern gut umgeht. Heute bestätigt sie ihren Eindruck: "Obwohl wir ein riesiger Apparat sind, habe ich mich sofort geerdet gefühlt." Das liegt auch daran, dass die Wege zwischen Mitarbeitern und Chef kurz sind, dass der Chef die Mitarbeiter kennt und kennen will; ein Punkt, der vom Gütesiegel bestätigt wird. Das ist neu für Diwok. In anderen Unternehmen, in denen sie gearbeitet hat, zum Beispiel im Krankenhaus, war das anders. Da grüßte der Chef noch nicht einmal.

Heute nutzt Wallrafen-Dreisow das Siegel nicht nur zur Bewertung der Ist-Situation: "Der Pflegebereich ist ein hoch emotionales Feld, weil Menschen für Menschen arbeiten", erklärt er. Das Siegel übernimmt die Funktion der Versachlichung. Es bringt die Diskussionen über die Qualität von Seiten der Unternehmung, der Mitarbeiter, der Kunden und der Pflegekassen auf eine nüchterne Ebene

Die gewonnenen Arbeitsplatz-Siegel sind bei der Sozial-Holding präsent: Aufgereiht nebeneinander hängen sie im Eingang, auf dem Geschäftspapier sind sie abgedruckt, sie zieren die E-Mails, auf den Internetseiten sind sie auch und im Büro von Wallrafen-Dreisow stehen sie gerahmt an die Wand gelehnt. Schon lange ist der Marketing-Effekt kein Abfallprodukt der Auszeichnung mehr. Wallrafen-Dreisow nutzt es, wo er nur kann. Sein Motto: "Tue Gutes und rede darüber."

Keine Kündigungen nach Auftragseinbruch

Dem Personalchef von Bayer Material Science geht es vor allem um die Außenwirkung. Denn gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise tut ein bisschen Marketing in eigener Sache gut. Michael Bernhardt wollte aktiver werden. Auch um für die besten Arbeitnehmer zu werben. Und hat das Unternehmen bei der Prüfung für das Gütesiegel "Arbeit Plus" angemeldet – und gewonnen. In Zukunft wird das Siegel im Unternehmen aushängen und die Internet- und Intranetseiten zieren.

Rund 5.000 Angestellte arbeiten für den Bayer-Teilkonzern in Deutschland, weltweit sind es 15.000. Und obwohl die Aufträge des Unternehmens, das Polymere und Kunststoffe herstellt, im vergangenen Jahr um 40 Prozent zurückgingen, gab es keine betriebsbedingten Kündigungen. Stattdessen reduzierten alle Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit. Ein Punkt, der auch bei der Bewertung durch das Gütesiegel hervorgehoben wurde: "Das Unternehmen zeigt im Umgang mit Beschäftigungsrisiken auch in Zeiten großer Umbrüche ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein."

"Rund zehn Prozent unserer Top-Manager in Deutschland sind Frauen", erklärt Bernhardt. Das ist noch zu wenig, aber er glaubt, dass es auch ein Problem der deutschen Gesellschaft ist: In Deutschland würden arbeitende Frauen mit Kindern noch immer als "Rabenmütter" bezeichnet. Ein Wort, das es nur im Deutschen gebe. In Asien hingegen liege der Frauenanteil in Führungspositionen bei Bayer Material Science bei 50 Prozent. Zwar gibt es Unternehmensmaßnahmen, die Frauen mit Kindern in ihrem Arbeitsleben unterstützen – Kinderbetreuung und flexible Arbeitszeiten etwa. Trotzdem ist das Problem der Chancengleichheit – jung/alt, Frau/Mann, Ausländer/Inländer – eines, um das sich Bayer Material Science noch "kümmern muss", das das Unternehmen in Zukunft "besser fördern" will.

Große Auswahl an Förderprogrammen

Stolz ist der Personalchef auf die Ausbildung und Förderung der Mitarbeiter – und die Bewertungskommission gibt ihm Recht: Bayer Material Science bildet mehr junge Menschen aus, als es übernehmen kann. Für alle Mitarbeiter gibt es einen langen Katalog an Fortbildungen: Mentorenprogramme für die Nachwuchsführungskräfte. Fachliche Qualifikationen. Fremdsprachenförderung. Interkulturelles Training. Kaufmännische Weiterbildung. Abgestimmt auf jeden einzelnen. Auch das Vergütungssystem ist ein besonderes, denn "von der Putzfrau bis zum Vorstand" werden alle nach dem gleichen System bezahlt: Grundgehalt plus Boni. "Alle werden am gleichen Ziel gemessen," sagt der Personalchef. Oder die Arbeitszeiteinteilung: "Es gibt ungefähr 4.000 unterschiedliche Systeme, denn jeder kann seine optimale Arbeitszeiten selbst bestimmen", sagt Bernhardt.

Die Demographie ist für Bayer Material Science ein Problem, an dem es noch "arbeiten muss". Der Altersdurchschnitt liegt zurzeit bei 42 Jahren. "In den letzten Jahren haben wir uns von den älteren Arbeitnehmern getrennt und die Belegschaft nicht mit jungen nachgefüttert." Es gibt noch keine konkreten Lösungen für das Problem. Der erste Ansatz: Neueinstellungen, die jetzt wieder vorgenommen werden. Allerdings erst einmal vorsichtig.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verleiht seit 1997 das Gütesiegel "Arbeit plus" an Firmen, die überdurchschnittlich viele Arbeitsplätze geschaffen oder erhalten haben. Untersucht und bewertet werden vom Institut für Wirtschafts- und Sozialethik der Universität Marburg im Auftrag der EKD zum Beispiel die Anzahl der Ausbildungsplätze, Entfaltungschancen der Mitarbeiter oder der Frauen- und Ausländeranteil im Unternehmen. Über die Vergabe der Auszeichnung entschiedet eine Expertenkommission. Nach der Verleihung des Siegels wird allen teilnehmenden Firmen ein Bericht angeboten, der detailliert auf Stärken und Schwächen ihrer Arbeitnehmerpolitik eingeht. Die Teilnahme an der Untersuchung kostet zwischen 2.000 und 3.500 Euro.


Maike Freund arbeitet als freie Journalistin in Dortmund.