EU-Reform startet ohne Champagner und Feuerwerk

EU-Reform startet ohne Champagner und Feuerwerk
Alles wird anders. Und alles wird besser. Mit diesem Versprechen waren die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union angetreten, als sie Ende 2001 beschlossen, eine "Europäische Verfassung" als neue Rechtsgrundlage der EU in Auftrag zu geben. Fast auf den Tag genau acht Jahre später tritt am 1. Dezember in Kraft, was von den großen Plänen übrig geblieben ist: Der "Lissabon-Vertrag".
01.12.2009
Von Dieter Ebeling

20 Jahre nach dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs quer durch Europa hat es die EU schließlich doch noch geschafft, sich für das größer gewordene Europa neu zu organisieren. Die Blockade von Entscheidungen soll mit dem "Lissabon-Vertrag" schwerer werden. Die Rolle des Europaparlaments und die der nationalen Parlamente wird gestärkt. Und der Vertrag soll mit einem mächtigeren EU-"Außenminister" und einem EU-eigenen diplomatischen Dienst für eine einheitlichere europäische Außenpolitik sorgen.

Schwere Geburt

Der erste Versuch einer Reaktion auf den Umstand, dass die Staaten des einstigen Ostblocks Einlass in die Union begehrten, war im Dezember 2000 in Nizza grandios gescheitert. Fünf Tage lang feilschten die Regierenden um die Zahl der Stimmen für ihre Länder im Ministerrat. Heraus kam der "Nizza-Vertrag". Er war so erkennbar schlecht und mit heißer Nadel gestrickt, dass schon ein Jahr später von den über sich selbst entsetzten Regierungschefs die "Verfassung" in Auftrag gegeben wurde.

Während die EU stetig größer wurde (2004 traten gleich zehn Staaten bei) scheiterte die Verfassung 2005 bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden. Nach einjähriger Schockstarre wurde dann unter deutscher Anleitung die "Verfassung" in einen "Vertrag" umformuliert, der 2007 in Lissabon unterzeichnet wurde. 2008 lehnten die Iren bei einem Referendum ab. Die Zustimmung bei einem zweiten Referendum ließen sie sich unter anderem durch den Verzicht auf die bereits beschlossene Verkleinerung der EU-Kommission versüßen. Als Letzter gab dann der tschechische Präsident Vaclav Klaus seinen Widerstand gegen den "Lissabon-Vertrag" auf.

Nach vielen Kompromissen und einer extrem schweren Geburt macht der Lissabon-Vertrag die Mehrheitsentscheidung zum Regelfall und die Veto-Drohung zur absoluten Ausnahme. Ab 2014 wird eine doppelte Mehrheit von 55 Prozent der Staaten mit 65 Prozent der Bevölkerung entscheiden. Bis dahin haben die EU-Mitglieder unterschiedlich viele Stimmen im Ministerrat. Die Mitentscheidung der EU-Abgeordneten wird erweitert, nationale Parlamente können in das Gesetzgebungsverfahren eingreifen und auch ein europäisches Bürgerbegehren soll es geben - Einzelheiten dazu sind allerdings noch unklar.

EU-Kommission traumatisiert

Die ersten Erfahrungen mit dem Lissabon-Vertrag hat die EU beim Sondergipfel am 19. November gemacht, als die Spitzenpositionen des EU-Ratspräsidenten und des "Außenministers" zu vergeben waren. "Man sieht, dass wir an einem Spiel teilnehmen, in dem der Gipfel mehr einem Kindergarten als einer Versammlung von verantwortlichen Politikern ähnelt", bilanzierte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Daniel Cohn-Bendit danach. Ebenso wie der einstige Pariser Straßenkämpfer weinte auch der Sozialistenchef Martin Schulz der Tatsache nach, dass der Luxemburger Christdemokrat Jean-Claude Juncker als eindeutig bester Kandidat nicht EU-Ratspräsident wurde, sondern das Amt dem Belgier Herman Van Rompuy überlassen musste.

Van Rompuy half es nicht, dass er gar nicht Ratspräsident werden wollte. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wollte Juncker, dessen unabhängiges Wirken als Chef der Eurogruppe ihm schon seit längerem nicht behagt, unbedingt verhindern. Und niemand konnte oder mochte Sarkozy stoppen. Zugleich gelang es dem Briten Gordon Brown, in letzter Minute Catherine Ashton als "Außenministerin" durchzusetzen. Sie soll nun tun, was britische Regierungen stets zu verhindern suchten: Der gemeinsamen Außenpolitik mehr Gewicht geben. Von der neuen Solidarität im europäischen Interesse, die der Lissabon-Vertrag fördern soll, war nicht viel zu spüren. Aber die Entstehung des Vertrages war so traumatisch, dass für viele Jahre niemand mehr an einen besseren Vertrag denken mag. Van Rompuy: "Wir werden lange mit den neuen Regeln leben müssen. Sehr lange. Die Debatte über Institutionen ist für lange Zeit beendet."

dpa