Eine Tag nach der Volksabstimmung in der Schweiz wächst die Sorge vor einer Vertiefung der Kluft zwischen dem Westen und der islamischen Welt. "Das Ergebnis dieser Abstimmung richtet sich gegen die Werte der Toleranz, des Dialogs und des Respekts vor den religiösen Überzeugungen anderer", erklärte der Präsident des Europarats-Parlaments, Lluís Maria de Puig, am Montag. Die Entscheidung reflektiere die Angst der Schweizer und ganz Europas vor dem islamischen Fundamentalismus. Sie werde aber an den Ursachen des Fundamentalismus nichts ändern, so de Puig. Die Schweiz gehört zwar nicht der EU, aber dem Europarat an, zu dem auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gehört.
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Die Schweizer hatten am Sonntag bei einer Volksabstimmung überraschend klar mit 57,5 Prozent für ein Verbot des Baus neuer Minarette gestimmt. Das Ergebnis überraschte selbst die national-konservative Schweizerische Volkspartei (SVP), die das Referendum mit initiiert hatte. Andere bürgerliche Parteien sowie Sozialdemokraten und Grüne hatten sich zusammen mit der Regierung vehement gegen das Bauverbot ausgesprochen. Es werden vor allem wirtschaftliche Repressalien arabischer Staaten befürchtet.
Lob von niederländischen Rechtspopulisten
Europaweit stieß das Ergebnis der Volksabstimmung bei Politikern und Kirchenvertretern überwiegend auf Kritik. Auftrieb gab das Ergebnis indes den niederländischen Rechtspopulisten: Sie fordern nun ebenfalls eine Volksabstimmung über neue Minarette. Die Niederländer würden genauso abstimmen wie die Schweizer, sagte der Vorsitzende der Partei für die Freiheit (PVV), Geert Wilders. Die Partei des Islam-Kritikers wolle daher eine Gesetzentwurf für ein Minarett-Referendum einbringen, schreibt die Zeitung "De Telegraaf". Die Regierungsparteien der Christ- und Sozialdemokraten lehnten dies umgehend ab.
Wilders lobte das Votum der Schweizer als Durchbruch: "Zum ersten Mal haben sich Menschen in Europa der Islamisierung widersetzt", sagte er der konservativen Zeitung. Die PVV ist in den letzten Jahren mit islamfeindlichen Parolen immer stärker geworden. Unter anderem verlangt sie, die Einwanderung von Muslimen und den Bau weiterer Moscheen zu verbieten.
Sorgen in Deutschland
Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Katrin Göring-Eckardt, zeigte sich bestürzt über das Ergebnis des Referendums: "Ich bin erschüttert", sagte sie im ZDF-"Morgenmagazin". "Muslime sind nicht willkommen in der Schweiz" - das sei das Signal, dass von der Mehrheit der Schweizer ausgehe. Das Votum sei ausgrenzend, demokratiefeindlich und verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, erklärte die Grünen-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin. Religionsfreiheit und Minderheitenrechte dürften nicht in einem Referendum zur Abstimmung gestellt werden.
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Die Bundesregierung sieht die Religionsfreiheit in der Schweiz durch das Votum gegen den Bau von Minaretten nicht gefährdet. "Die Religionsfreiheit ist in der Schweiz ein ebenso hohes Gut wie in Deutschland", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegmans am Montag in Berlin. Die Schweizer Entscheidung sei nicht auf die Bundesrepublik übertragbar, das es hier keine vergleichbaren Volksentscheide gebe.
Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), rief dazu auf, die Entscheidung der Schweizer gegen den Bau von Minaretten ernst zu nehmen. Das Ergebnis der Volksabstimmung sei Ausdruck einer auch in Deutschland weit verbreiteten Angst vor der Islamisierung der Gesellschaft, sagte Bosbach der "Berliner Zeitung" (Montag). "Diese Sorge muss man ernst nehmen." Eine Tabuisierung würde den Zulauf für diese Kräfte nur verstärken. Der CDU-Innenpolitiker plädierte für eine offensive Debatte, wenn solche Projekte anstehen sollten. Das deutsche Baurecht gebe genügend Möglichkeiten, zu einem vernünftigen Interessenausgleich zu kommen. Der SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy bezeichnete die Entscheidung der Schweizer als sehr problematisch. Wer Religionsfreiheit garantiere, müsse den Anhängern verschiedener Religionen auch die Möglichkeit geben, Gotteshäuser zu bauen.
Es bleibt bei vier Minaretten in der Schweiz
Die Abstimmung war durchgesetzt worden, nachdem weitere Bauanträge für Minarette an bisher unauffälligen islamischen Gebetshäusern eingereicht worden waren. In der Schweiz, wo etwa 400.000 Muslime unter zusammen mehr als 6 Millionen katholischen und protestantischen Christen leben, gibt es derzeit vier Minarette. Der Unmut in der Bevölkerung gegen den Bau weiterer solcher Gebäude sei von der Politik "unter dem Deckel gehalten worden", sagte Walter Wobmann, Präsident des Initiativkomitees, im Schweizer Fernsehen. Die Schweizer wollten keine Minarette in der Schweiz. Nun wolle man gegen Zwangsehen und Beschneidungen vorgehen und die Ganzkörperverschleierung von Frauen verbieten.
Die Schweizer Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf räumte ein, die Regierung sei mit ihrer "vorsichtigen Strategie" gegen das Bauverbot gescheitert: Die Abstimmung "war so stark emotionalisiert, dass wir mit unseren Argumenten nicht durchgedrungen sind." Regierung, Parlament und die meisten Parteien sprachen sich gegen das Bauverbot aus. Wie Widmer-Schlumpf weiter sagte, muss die Regierung die Entscheidung aber respektieren. Die Bestimmung über ein Bauverbot für Minarette wird jetzt in der Schweizer Verfassung festgeschrieben. Noch offen ist für die Justizministerin die Frage, welche Konsequenzen aus internationalen Verpflichtungen der Schweiz erwachsen. Das Minarett-Verbot stehe im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention und zu UN-Abkommen, die für die Schweiz bindend seien.
Falls eine muslimische Gemeinde dennoch ein Minarett bauen will, müsste sie vor einem Gericht gegen den Verfassungsartikel mit dem Minarettverbot klagen. Hätte eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Erfolgs-Chancen? "Das ist schwer abschätzbar", sagt der Staatsrechtler Rainer Schweizer. "Man muss sich aber bewusst sein, dass es mindestens fünf bis sieben Jahre dauern wird, bis der Gerichtshof ein Urteil fällt."
"Bei der Islamophobie Vorreiterrolle übernommen"
Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) zeigte sich über die Annahme des Verbots besorgt. Für Sprecher Walter Müller ist das Ja "ein Hindernis auf dem Weg der gegenseitigen Integration und des interreligiösen Dialogs". Die Zustimmung zur Anti-Minarett-Initiative stelle die Schweiz international an den Pranger, sagt die Religionsexpertin Rifa 'at Lenzin. Die Schweiz habe in der "Islamophobie eine Vorreiterrolle" übernommen.
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Der in der Schweiz geborene katholische Theologe Hans Küng (81) sprach am Montag von einer "gewaltigen Eintrübung" des Verhältnisses zur islamischen Welt. Bisher seien die Muslime in der Schweiz gut integriert gewesen. "Das gefährdet man jetzt." Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) rief die Religionsgemeinschaften auf, ihren Beitrag zu einem friedlichen Zusammenleben zu leisten. "Sie können vorleben, dass ein gelingendes Miteinander in der Schweiz heute möglich ist", erklärte der Kirchenbund.
Der Präsident der Schweizer Föderation islamischer Dachverbände, Hisham Maizar, warnte die Gewinner der Volksabstimmung vor Überheblichkeit. Er betonte, es dürfe nicht zu einer weiteren Einschränkung religiöser Rechte für Muslime kommen. Die Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam, Saida Keller-Messahli erklärte, dass die Muslime durch das Minarett-Verbot "klar diskriminiert" worden seien.
EKD: Mit Gelassenheit auf Kuppeln und Minarette reagieren
Auch die Evangelische Kirche in Deutschland spricht sich ganz grundsätzlich dafür aus, im Sinne der Religionsfreiheit Muslimen den Bau von Moscheen mit Minaretten zu gestatten. Man bejahe das Recht auf freie Religionsausübung (Art. 4 Grundgesetz) "nachdrücklich", heißt es im EKD-Text "Klarheit und gute Nachbarschaft - Christen und Muslime in Deutschland" (hier als pdf). "Diese Zustimmung erstreckt sich auch auf das Recht zur Errichtung von Moscheen, das zur freien und ungestörten Religionsausübung gehört." Für viele Muslime gehörten Kuppel und Minarett zu wichtigen Gestaltungselementen einer Moschee, so das EKD-Papier weiter. "Die Mehrheitsgesellschaft sollte darauf mit mehr Gelassenheit reagieren."