Die Evangelische Kirche will wachsen - gegen den Trend sinkender Mitgliederzahlen. Das Starren auf die Austrittszahlen habe zulange den Blick dafür versperrt, dass es auch eine gegenläufige Bewegung in die Kirche gibt. Dieser Befund ist einer der Eckpunkte im Impulspapier "Kirche der Freiheit", mit dem die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) vor drei Jahren die Weichen für Reformen gestellt hat.
Mit dieser Gegenbewegung, die auf Eintritten von Neumitgliedern, Wiederaufnahmen von ausgetretenen Protestanten und Übertritten von Angehörigen anderer Konfessionen beruht, setzt sich die EKD in einer neuen Studie intensiv auseinander. Und sie kassiert darin auch die mitunter noch anzutreffende Vorstellung ein, Beitrittswilligen werde eine öffentliche Bußübung abverlangt.
"Macht hoch die Tür"
"Macht hoch die Tür", in dieser Formel lässt sich zusammenfassen, was der EKD-Text als Leitfaden den Kirchengemeinden für den Umgang mit kirchlich Interessierten an die Hand gibt. Die evangelische Kirche soll einladender werden und sich öffnen für Menschen, die sie verlassen haben oder ihr noch nie angehörten, aber wieder Kontakt zur Kirche suchen. Eine "Kultur des Willkommens" sollen sie vorfinden, lautet die Empfehlung.
Das Aufnahmeverfahren soll möglichst unkompliziert sein. Wenn Menschen zur evangelischen Kirche gehören wollen, dürften sie nicht den Eindruck bekommen, "einem bürokratischen Apparat mit vielen Anforderungen zu begegnen, sondern einer Atmosphäre der Offenheit und Gastfreundschaft", wird geraten. Eintrittswillige sollten mit ihren Lebensstilen und der von ihnen gewünschten Nähe oder Distanz zu Kirche anerkannt, auch nicht mit höheren Erwartungen konfrontiert werden als Kirchenmitglieder.
Spezielle Eintrittsstellen geschaffen
Bei der Mitgliedergewinnung beschreitet die evangelische Kirche schon seit einiger Zeit neue Wege. Kirchenkreise und Landeskirchen lancierten Kampagnen, in denen sie unkonventionell auf die "guten Gründe" für den Kircheneintritt aufmerksam machten. An immer mehr Orten gibt es spezielle Eintrittsstellen. Häufig sind sie angedockt an "City-Kirchen", aber auch in Kur- und Ferienorten, oder während der Adventszeit in Einkaufszentren zu finden.
Seit 2004 hat sich die Zahl dieser Büros von 50 auf mittlerweile 140 fast verdreifacht. Und offenbar ist dieser Weg eine Erfolgsgeschichte. Denn wo solche Büros bestehen, sind die Beitrittszahlen spürbar angestiegen, ergibt sich aus der Studie "Schön dass Sie (wieder) da sind!"
Scheu vor Gemeindepfarrern
Allein in Nürnberg verzeichnete die Eintrittsstelle 500 Aufnahmen, bilanziert Pfarrerin Elke Wewetzer, die seit der Eröffnung vor drei Jahren die Kontaktstelle leitet. Im laufenden Jahr gab es bereits 130 Wiedereintritte. Ganz überwiegend seien die Rückkehrer, die allen Schichten und Altersgruppen entstammen, berufstätig und hätten sich somit bewusst auch für die Zahlung von Kirchensteuer entschieden, so Kirchenfrau Wewetzer. Sie führt die Attraktivität der Eintrittsstellen auch darauf zurück, dass Beitrittswillige vor einer Vereinnahmung durch den Gemeindepfarrer zurückscheuten.
Gefördert wird der Aufwärtstrend bei den Eintritten auch dadurch, dass die Rückkehr in die Kirche administrativ vereinfacht wurde. So gibt es in der EKD und den 22 Landeskirchen seit 2004 eine Regelung, wonach der Eintritt nicht auf jeden Fall bei der örtlichen Kirchengemeinde erfolgen muss, sondern man in den anerkannten Eintrittstellen über landeskirchliche Grenzen hinweg Mitglied werden kann: ein Eintritt in Dresden wird auch in Saarbrücken anerkannt.
Zahlen lassen sich sehen
Und die Zahlen lassen sich sehen: Der Mitgliederzuwachs von jährlich mehr als 60.000 verteilt sich auf Wiedereintritte (26.500) Erwachsenentaufen (23.000) und Übertritte von ehemaligen Katholiken oder aus anderen Konfessionen. Zwischen 3,5 bis fünf Millionen dürfte sich Schätzungen zufolge die Zahl der Menschen bewegen, die zwar evangelisch getauft, aber aus der Kirche ausgetreten sind. In Scharen haben sie die Kirche verlassen, aber nur einzeln können sie zurückgewonnen werden, ist eine Grundtenor der EKD-Studie.