Marc Chagall, der Großvater und große Maler

Marc Chagall, der Großvater und große Maler
Die farbenfrohen Bilder und Kirchenfenster von Marc Chagall (1887-1985) gehören zum künstlerischen Vermächtnis des 20. Jahrhunderts. Die Enkelin des weltbekannten jüdischen Künstlers, Meret Meyer, hat im Europa-Park in Rust bei Freiburg eine große Chagall-Ausstellung konzipiert. Sie ist ab Samstag bis 10. Januar zu sehen und steht unter dem Leitwort "Glaube, Hoffnung, Liebe - Marc Chagalls Traum von der Bibel". Im Gespräch mit evangelisch.de schildert Meret Meyer ihre persönlichen und künstlerischen Erinnerungen an ihren Großvater.
26.11.2009
Von Bernd Buchner

evangelisch.de: Frau Meyer, warum sind die Bilder von Marc Chagall eigentlich so populär?

Meyer: Natürlich sind die Geschmacksrichtungen verschieden – man kann nicht sagen, dass etwa Deutsche, Franzosen oder Japaner immer das gleiche sehen. Aber im Allgemeinen sprechen Chagalls Bilder derart an, dass die Menschen mit großer Hoffnung aus den Ausstellungen kommen und wieder mehr an das Leben glauben. Das ist sicher auch der Anstoß gewesen, im Europapark wieder eine Schau zu veranstalten. Die Bilder sind immer Grundlage für unterschiedliche Interpretationen. Auch die Farben – sei es blau, grün, rot oder gelb – und das Symbolhafte rufen verschiedene Assoziationen hervor. Mit Ausstellungen versuchen wir zumeist, auf die Modernität des Werkes hinzuweisen. Es geht nicht immer um die allererste Rezeption oder das, was gerade in Mode ist.

evangelisch.de: Chagall war Ihr Großvater, und er war ein großer Künstler. Welches Bild von ihm ist in Ihnen stärker?

Meyer: Er war eher der Künstler, der unser Großvater war, als der Großvater, der ein Künstler war. Er hat seine familiären Beziehungen nicht in den Vordergrund gestellt, eher seine Arbeit. Sonst wäre er künstlerisch nicht so fruchtbar gewesen – und wir hätten nicht das Werk, wie es heute vorliegt. Auch die Rezeption wäre nicht derart umfangreich.

"Er war rigoros in seiner Arbeit"

evangelisch.de: Was ist Ihre stärkste Erinnerung?

Meyer: Seine Disziplin in seiner Arbeitsethik. Sie steht in starkem Kontrast zu der Phantasiewelt, mit der die meisten Menschen Chagall verbinden. Er war rigoros in seinem tagtäglichen Arbeiten und hat dabei eine Linie verfolgt, die nicht nur für uns Enkel, sondern für alle Jugendlichen ein Modell sein sollte.

evangelisch.de: Die Religion spielt in Chagalls Werk eine große Rolle. Wie war das in seinem Alltag?

Meyer: Die rituelle Religion hatte für ihn überhaupt keine Bedeutung, eher Religion in einem etymologischem Sinne, das heißt dass jegliche Wirklichkeit mit der Natur verbunden ist. Das ist ja die Bedeutung des Begriffs "Religion". Aber er kein Synagogengänger, hat keine religiösen Feste gefeiert. Das tat er in seiner Jugend – aber von dem Moment an, als er Künstler sein durfte, was ja wirklich eine Revolution war, hat er die Kunst zu seiner Religion gemacht.

Gekreuzigter trägt jüdisches Gebetstuch

evangelisch.de: Chagall hat als jüdischer Künstler sehr viele christliche Bildmotive verwendet. War ihm stark bewusst, dass er ein religiöser Grenzgänger war?

Meyer: Christliche Motive hat er verwendet, weil sie den Menschen darstellen. Wenn Sie den Gekreuzigten ansprechen: Das ist in Chagalls Werk nie ein Christ, der dort festgenagelt ist, sondern ein Jude, der einen Tallit trägt, also ein jüdisches Gebetstuch. Das hat nichts mit dem christlichen Motiv zu tun – außer dass er auf dem Kreuz ist und damit eine Verbindung zu anderen Religionen schafft.

evangelisch.de: Wie hat sich Ihr eigener Blick auf das Werk Ihres Großvaters in den fast 25 Jahren seit seinem Tod verändert?

Meyer: Wir haben seit seinem Ableben versucht, Dokumente zu sammeln und sie zu einem Archiv zusammenzuführen, in dem wir tagtäglich arbeiten. Durch diese wissenschaftliche Tätigkeit bekommt man einen ganz anderen Blick auf die Vorarbeiten Chagalls, auf die Studien und Etüden. Diese haben heute einen ganz anderen Stellenwert als vor 30 oder 40 Jahren. Damals kamen die Entwicklungszyklen zu Glasfenstern oder Deckengemälden in Opern nicht zur Geltung, weil man sie nicht als eigene Kunstwerke betrachtete. Wir versuchen, Chagall als einen Künstler zu zeigen, der als einer der ganz wenigen ein ganzes Jahrhundert gefüllt hat und bereits auf das 21. Jahrhundert verweist. Das hat mit den universellen Botschaften zu tun, die in seinem Werk enthalten sind.

evangelisch.de: Gehört der neutestamentliche Dreiklang aus Glaube, Hoffnung und Liebe, der der Schau im Europapark seinen Namen gegeben hat, auch zu diesen universellen Botschaften?

Meyer: Ja, selbstverständlich. Das sind Worte, die noch in einigen Jahrhunderten bedeutsam sein werden. Aber es sind nur Worte – wichtig ist, ob und wo diese Ethik oder dieses Gefühl vorhanden sind. Man kann sie auch in einer Farbe oder in einem Blumenstrauß finden. Wichtig ist, dass jeder selbst dazu kommt, seine eigene Ausdrucksform zu finden.

evangelisch.de: Welche Farbe in den Bildern Chagalls gefällt Ihnen am besten, und welches ist Ihr liebstes Bild?

Meyer: Ich habe viele verschiedene Lieblingsbilder. Eines davon ist das "Friedhofstor" von 1917. Leider ist es nicht in der Ausstellung zu sehen.

Mehr zur Ausstellung finden Sie hier. Copyright für die Fotos: VG Bild-Kunst Bonn, 2009