Erst in den Morgenstunden zum Montag wird die Schlange der Trauernden kleiner, die in der Belgrader Domkirche dem toten Patriarchen die letzte Ehre erweisen wollen. Aber nur für kurze Zeit. Bereits um acht Uhr überträgt das serbische Fernsehen die Totenmesse. Den ganzen Tag berichten die Fernsehsender live aus der überfüllten Kirche. Ganz Serbien trauert, seit am Sonntagmittag die Fernsehprogramme unterbrochen wurden, um den Tod des 95-jährigen Oberhaupts der Serbischen Orthodoxen Kirche zu vermelden.
Die wartenden Gläubigen in der Belgrader Innenstadt kommen mittlerweile per Bus aus der Provinz. Alle die gefragt werden, sind sich einig: "Unser Pavle war ein Heiliger." Bei den orthodoxen Serben war er vor allem wegen seines bescheidenen Lebensstils beliebt: "Er war einer von uns, er fuhr Bus, hatte keine Bodyguards und dicke Autos." Die serbische Regierung verkündete ab Montag eine dreitägige Staatstrauer, die Fahnen hängen auf Halbmast. "Pavles Tod ist ein großer Verlust für Serbien", erklärte Staatspräsident Boris Tadic.
Abschied am offenen Sarg
Der Sarg, in dem der Verstorbene aufgebahrt ist, ist offen. Sein graues, langes Haar lugt unter der goldenen Krone hervor, die mit ihm begraben wird. Seine Hände sind gefaltet, auf ihnen liegt eine Ikone, die von den Gläubigen - ungeachtet der Schweinegrippe - eifrig geküsst wird. Um dem populären Patriarch die letzte Ehre zu erweisen, warten die Trauernden bis zu zwei Stunden in der langen Schlange, die von der Domkirche bis zum Fluss Save reicht. Zu Grabe getragen wird Pavle nach Angaben der serbisch-orthodoxen Kirche an diesem Donnerstag. Auf eigenen Wunsch wird er im kleinen Rakovica-Kloster beigesetzt, das sich im gleichnamigen Belgrader Stadtteil befindet.
Pavles Stellvertreter, der montenegrinische Metropolit Amfilohije (71) hatte am Sonntag mit tränenerstickter Stimme verkündet: "Der Patriarch ist im Schlaf gestorben." Die Nachricht erreichte ihn und sein Gefolge bei der Einweihung einer kleinen Kirche in der Nähe von Belgrad. Die anwesenden Popen weinten laut, zu Ehre Pavles stimmten sie einen Trauergesang an. In ganz Belgrad läuteten die Kirchenglocken.
In Kroatien geboren
Der Patriarch Pavle (Gojko Stojcevic) war der Älteste unter den Oberhäuptern der weltweiten Orthodoxie. Am 1. Dezember 1990 wurde er 44. Nachfolger des Heiligen Sava auf dem Patriarchenstuhl. Sein vollständiger Titel lautet Erzbischof von Pec, Metropolit von Belgrad-Karlovici und serbischer Patriarch. Geboren wurde er am 11. September 1914 in Kucani, im heutigen Kroatien. Seine theologische Ausbildung erhielt er in Belgrad und Sarajewo.
Seine Amtszeit war geprägt vom Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawien, sein Handeln war nicht unumstritten, vor allem während der Balkankriege. Doch gerade in dieser Zeit gelang es Pavle, die geschwächte Position seiner Kirche zu stärken. Heute bezeichnen sich 90 Prozent der Serben als gläubig. Die letzten zwei Jahre verbrachte der Patriarch infolge seiner Altersschwäche in einem Belgrader Militärkrankenhaus.
Über seinen Gesundheitszustand wurde nicht öffentlich gesprochen, auch Angaben zur genauen Todesursache fehlken bisher. Schon vor einem Jahr bat Pavle die Heilige Synode, die Kirchenleitung, einen neuen Patriarch zu wählen. Doch die zerstrittenen Bischöfe entsprachen seinem Wunsch nicht. Metropolit Amfilohije, der bereits seit Ende 2007 Pavle als Vikar zur Seite gestellt wurde, führte die Geschäfte als Stellvertreter weiter.
Wahl des Nachfolgers wohl erst im Mai 2010
Die Wahl des neuen Patriarchs wird wohl bis Mai 2010 warten müssen, bis zur Vollversammlung der Bischofskonferenz. Nach den Regularien der Kirche sollte die Wahl innerhalb von drei Monaten nach dem Tod des Patriarchen erfolgen. Doch der Termin für die Wahl ist noch nicht bestätigt. Als Favorit gilt Amfilohije - der einstige serbische Hardliner gab sich in jüngster Zeit mit Blick auf den Kosovo überraschend moderat und arbeitete mit der EU-Mission Eulex zusammen, während sein Rivale, der kosovarische Erzbischof Artemije, allen Kirchen und Klöstern die Kooperation mit der Regierung untersagte.
International fand der Tod des Patriarchen großen Widerhall. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sei der serbischen Kirchensynode "in der Trauer um den geistlichen Vorsteher Ihrer Kirche verbunden", schrieb EKD-Ratschefin Margot Käßmann in einem Kondolenzbrief. Der Patriarch sei ein "lebendiger Zeuge der schrecklichen Verwüstungen, der Nöte und Leiden" in seiner Heimat gewesen. Umso dankbarer sei die evangelische Kirche für die Begegnungen und Freundschaften zwischen den Gläubigen beider Kirchen. Pavle hatte im Juni 2000 Deutschland besucht. Er weihte damals die Heilige-Sava-Kirche in Hannover ein und besuchte den Christus-Pavillon auf der Weltausstellung.
Der Präsident des päpstlichen Einheitsrats, Kardinal Walter Kasper, erinnerte in einem Beileidschreiben an die "großzügige und brüderliche Gastfreundschaft" des orthodoxen Kirchenoberhaupts gegenüber den Katholiken. Er würdigte den Dienst Pavles "in sehr schwierigen Jahren" während des Balkankriegs. Der Patriarch sei immer ein Mann des Dialogs gewesen. Er hoffe, dass die unter Pavle gefestigten Beziehungen zur katholischen Kirche noch weiter ausgebaut werden könnten.