Kirchentag weist Herta Müllers Vorwürfe zurück

Kirchentag weist Herta Müllers Vorwürfe zurück
Die Schriftstellerin Herta Müller hat mit ihrem scharfen Angriff gegen die evangelischen Kirche für Verwirrung und Ratlosigkeit gesorgt. Die Vorwürfe sind bereits 20 Jahre alt. Hintergrund ist eine angebliche Ausladung beim Kirchentag 1989 im damaligen Westberlin. Personen, die mit den damaligen Vorgängen vertraut sind, bezeichnen die Vorwürfe als "ungeheuerlich", Kirchentagssprecher Rüdiger Runge nannte Müllers Darstellung "sehr unwahrscheinlich".
02.11.2009
Von Bernd Buchner

Die deutsch-rumänische Schriftstellerin hatte am Sonntagabend bei der Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises der Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen" in Frankfurt beklagt, sie sei im Jahr 1989 auf Verlangen Rumäniens vom Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) in Westberlin ausgeladen worden. Dies belege der Tonbandmitschnitt eines Telefonats, den ihr Unbekannte vor einigen Tagen in Abschrift zugespielt hatten. Nun wirft Müller den Kirchentagsverantwortlichen vor, dem Druck des Ceausescu-Regimes nachgegeben zu haben. Vorauseilender Gehorsam gegenüber einer kommunistischen Diktatur?

Noch vor kurzem schien zwischen Müller und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) alles in Ordnung: Als die aus dem westrumänischen Banat stammende Katholikin vor einigen Wochen den Literatur-Nobelpreis zugesprochen bekam, gratulierte ihr die Kirche herzlich: Eine "unermüdliche Mahnerin gegen Diktatur und Unterdrückung" erhalte die Auszeichnung, schrieb der damalige EKD-Ratschef Bischof Wolfgang Huber. Doch nun muss sich das Kirchenamt in Hannover um Klärung in einem verworrenen Fall bemühen. Man prüfe die Vorwürfe, hieß es knapp. Allerdings ist die EKD für den Fall gar nicht zuständig - der Kirchentag wird eigenständig organisiert.

Ein politischer Kirchentag

Beim DEKT vom 7. bis 11. Juni 1989 ging es politisch hoch her. In der DDR gärte es, die Zahl der Ausreisewilligen nahm täglich zu. Das Massaker auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens lag nur wenige Tage zurück - viele Besucher des Christentreffens solidarisierten sich mit den chinesischen Studenten und trugen deren weiße Stirnbänder. Zudem sah sich die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Berlin wegen ihrer Unterstützung des Apartheidregimes in Südafrika massiver Kritik ausgesetzt.

Überdies sorgte das Kirchentagsforum "Die rumänische Wohnung im europäischen Haus" für Zündstoff. Ob Herta Müller und der Schriftsteller Richard Wagner, damals ein Ehepaar, zu der Veranstaltung eingeladen waren, ist unklar. Im Programmheft, das bereits Monate vor dem DEKT gedruckt wurde, tauchen sie jedenfalls nicht auf. Eine Ausladung habe es "definitiv" nicht gegeben, heißt es heute aus dem Umfeld der Veranstalter. Die Autorin behauptet, sie und ihr Mann seien mit der "merkwürdigen Begründung" ausgeladen worden, sie seien nicht evangelisch, sondern katholisch.

Klar scheint, dass es vor dem Kirchentag Gespräche über die Besetzung des Podiums gegeben hatte. Die rumänischen Behörden samt dem berüchtigten Geheimdienst Securitate waren offensichtlich wegen der Teilnahme von Dissidenten um den Ruf des Landes besorgt, auch das Auswärtige Amt in Bonn intervenierte - man fürchtete Nachteile für die nicht-orthodoxen Christen in Rumänien. Staatsminister Helmut Schäfer (FDP) erhielt den Rat, nicht an der Veranstaltung teilzunehmen. Er saß dennoch auf dem Podium und nahm die im Saal anwesenden Securitate-Mitarbeiter direkt aufs Korn.

Vorwurf des Opportunismus greift nicht

Das war ein couragierter Akt - die damals Anwesenden haben die aufgeheizte Stimmung bei der Diskussionsrunde noch lebhaft in Erinnerung. Opportunismus lässt sich dem Kirchentag nicht so ohne weiteres vorwerfen. Aus der heutigen Perspektive, zwei Jahrzehnte nach dem Fall des Kommunismus, werden die damaligen staats- und kirchenpolitischen Überlegungen leicht ausgeblendet. Der Umgang mit osteuropäischen Oppositionellen, zu denen die 1987 in die Bundesrepublik übergesiedelte Schriftstellerin gehörte, war eine Gratwanderung, die Fingerspitzengefühl und viel diplomatisches Geschick verlangte.

Der damalige DEKT-Generalsekretär Christian Krause, nachmalig Bischof in Braunschweig und Präsident des Lutherischen Weltbundes, hat nach eigenem Bekunden keine Erinnerung an den Vorfall. Sein damaliger Referent, der heutige Kirchentagssprecher Rüdiger Runge, verweist darauf, dass es sich bereits damals um einen öffentlichen Vorgang gehandelt habe. Der Diskussion von 1989 sei heute nichts hinzuzufügen. Auch der damalige Kirchentagspräsident, der ehemalige Verfassungsrichter Helmut Simon, hält eine Ausladung für "sehr unwahrscheinlich". Der DEKT habe sich stets gegen Einmischungen von außen gewehrt.

Ähnlich äußerte sich Runge am Dienstag gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd). Eine Ausladung von Müller und Wagner sei nach derzeitigem Kenntnisstand "sehr unwahrscheinlich". Es sei allerdings tatsächlich so gewesen, dass etliche Seiten Druck auf diese Veranstaltung ausüben oder Einfluss nehmen wollten. So gebe es Berichte darüber, dass der damalige rumänische Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland auf den damaligen Staatsminister im Auswärtigen Amt vergeblich eingewirkt habe, nicht an der Veranstaltung teilzunehmen. Dies alles sei aber rückblickend aus den Erinnerungen der Beteiligten nicht verlässlich zu rekonstruieren, so der DEKT-Sprecher.

Ein Gespräch unter Bischöfen

Das Tonband, das Herta Müller zugespielt wurde, zeichnet nach Medienangaben ein Gespräch zwischen dem damaligen evangelischen Bischof in Rumänien, Albert Klein (1910-1990), und dem schaumburg-lippischen Bischof Joachim Heubach auf. Darin wurde der Eindruck erweckt, die rumänische Kirche habe Bedenken gegen eine Einladung der katholischen Schriftstellerin zum Kirchentag geäußert. Der im Jahr 2000 verstorbene Ostkirchenexperte Heubach allerdings, so ist zu hören, habe mit dem DEKT so gut wie nichts zu tun gehabt - und konnte schon gar über dessen Einladungspolitik entscheiden.

Pikant an dem Vorgang ist, dass der Mitschnitt mit großer Wahrscheinlichkeit von der Securitate stammt. Herta Müller schöpft für ihre Vorwürfe also aus Quellen, von denen sie über Jahrzehnte selbst abgeschöpft wurde. Die Schriftstellerin hat immer wieder auf den langen Arm des rumänischen Geheimdienstes in Deutschland hingewiesen. Dass sie nun, bei der Entgegennahme eines Preises des Bundes der Vertriebenen, auf die prekäre Rolle der Protestanten im kommunistischen Rumänien hinweist, scheint hingegen folgerichtig. Die Evangelische Kirche A.B. (Augsburgischen Bekenntnisses) - so die Bezeichnung für die Lutheraner im Land - hat ihre Vergangenheitsbewältigung noch vor sich. 


  

Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de, zuständig für die Ressorts Religion und Umwelt