"Ich bin so frei" - Von der Gabe zur Aufgabe

"Ich bin so frei" - Von der Gabe zur Aufgabe
Mit einem festlichen Gottesdienst im Ulmer Münster wurde die 2. Tagung der 11. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eröffnet. Der württembergische Landesbischof Frank Otfried July (Stuttgart) legte seiner Predigt einen Abschnitt aus dem 1. Petrusbrief, Kapitel 4, Vers 10 zugrunde: "Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes."
25.10.2009
Von Landesbischof Frank Otfried July

Predigt im Eröffnungsgottesdienst der 2. Tagung der 11. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Ulmer Münster

Landesbischof Frank Otfried July (Stuttgart)
 

Gnade sei mit euch und Friede von unserem Herrn Jesus Christus.


Das Wort, auf das wir hören, steht im 1. Petrusbrief, dort im 4. Kapitel, Vers 10:„Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.“
Auf dem Kirchentag in Bremen in diesem Jahr gab es einen Stand, an dem Besucherinnen und Besucher einen biblischen Text in Kurzform verfassen sollten, um ihn dann als Botschaft per Handy weiterzuschicken.

[reference:nid=5353]

Wie könnte eine Kurznachricht zu unserem Text aussehen?
Zum Beispiel: „Ich bin so frei“ –
„Ich bin so frei“ – Das mag Sie überraschen. Denn das Wort „frei“ kommt in unserem kurzen Bibelwort nicht vor. Da steht etwas von den Gaben, also den Fähigkeiten und Talenten, die wir bekommen haben, um einander zu dienen. Von Haushalterschaft und von der vielfältigen - man könnte auch übersetzen „bunten“ - Gnade Gottes hören wir. Und dennoch lese ich zwischen den Zeilen dieses Textes „Ich bin so frei“:
Denn wenn wir über das Ehrenamt in unserer Kirche nachdenken, so wie wir das auf dieser Synode in Ulm tun wollen, steht zu Beginn die Einsicht: Gott gibt uns etwas, das wir uns selbst nicht geben können. So gesehen öffnen sich jedem und jeder unter uns die Augen für einen Reichtum an Gaben, die wahrlich vom Himmel fallen.

Manchmal sind sie uns selbstverständlich, so dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen. Manchmal sind sie verschüttet, weil keiner danach fragt. Andere weisen uns dann vielleicht darauf hin. Dann können wir einander die Gaben zeigen und Ja sagen zu diesen Geschenken. Damit sagen wir zugleich Ja zu uns selbst und nehmen unser Leben frei und dankbar als Gottesgabe an.
„Ich bin so frei“: Diese Einsicht macht uns frei, unser Leben zu gestalten. Ich bin so frei und nehme mein Leben nicht als selbst produziertes Eigengut in die Hände. Ich klammere mich nicht krampfhaft an mir selbst fest. Ich will mein Leben und meine Gaben nicht für mich allein behalten und lasse sie nicht brach liegen. Ich mache die Gaben zur Aufgabe.
Wir haben vorhin am Beginn des Gottesdienstes eindrucksvolle Beispiele gehört und gesehen. Wir haben Mitchristen aus drei Generationen erlebt, die Freude daran haben, ihre Gaben für andere einzusetzen. Das ist die Haushalterschaft, von der unser Predigttext spricht: Keine Gabe soll vergeudet werden oder an den Menschen vorbeigehen.
Bei dieser Haushalterschaft, in dieser Ökonomie, geht es nicht um Zahlen, Daten, Fakten. Die sind an anderer Stelle in unserer Kirche wichtig. Diese Haushalterschaft, von der jetzt die Rede ist, rechnet so: „Was Gott mir schenkt, soll anderen Menschen zugute kommen.“

[reference:nid=5341]

„Wir wollen etwas tun, wir wollen uns beteiligen, wir wollen unsere Gemeinde und Kirche gestalten“, so haben es ehrenamtlich Tätige in einem Gespräch dieser Tage gesagt.
Und: „Alle Begabungen und Fähigkeiten von Christinnen und Christen werden auf dem Weg in die Zukunft gebraucht“, so hat es unsere evangelische Kirche einmal aufgeschrieben. „Die Kirche wird mit den Gaben der Haupt- und Ehrenamtlichen gebaut.“
Verschiedene Bilder stehen vor mir, wenn ich einen solchen Satz höre. Ich sehe Frauen und Männer, die sich in der Arbeit für und mit Obdachlosen ehrenamtlich Zeit nehmen. Sie sorgen in den so genannten Vesperkirchen dafür, dass Menschen mit wenig oder gar keinem Einkommen im Raum der Kirche eine warme Mahlzeit bekommen. Darum Vesperkirche - im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich denke an „Grüne Damen und Herren“ – sie heißen wirklich so nach der Farbe ihres Kittels – in den diakonischen Krankenhäusern. In ihrer Freizeit begleiten sie Patientinnen und Patienten auf dem Weg zur Operation. Sie besorgen Wäsche. Oder sie hören zu, wenn ein schwere Diagnose verarbeitet werden muss. Mit ihnen können kranke Menschen spüren: Hier ist jemand für mich da.
Das gilt auch für die Kirchengemeinde: Hier ist jemand für mich da. Ich sehe vor mir Jugendliche, die besondere Jugendgottesdienste vorbereiten und darüber unsere Kirche auch für andere Jugendliche wieder interessant machen. Ich sehe Kirchengemeinderätinnen und -räte, Synodalinnen und Synodale, die einen Teil ihrer Lebenszeit für die Kirche Jesu Christi einsetzen und dafür oft ihre beruflichen Kenntnisse und Kontakte fruchtbar machen.
Ich sehe aber auch Frauen und Männer, die sich als engagierte Christinnen und Christen in Kommunalparlamenten, Elternbeiräten oder Vereinen und Initiativen engagieren. Christen bleiben nicht bei sich selbst, sondern übernehmen Verantwortung im öffentlichen Leben unserer Gesellschaft.
Sie alle leben diesen kleinen Satz: „Ich bin so frei!“. Ich bin so frei, meine von Gott geschenkten Gaben zur Verfügung zu stellen.
Johannes Calvin, dessen Gedenkjahr wir begehen, schreibt zu unserem Predigttext: Dass die Menschen ohne gegenseitige Hilfe nicht leben können, ist ein Band welches Gott geschaffen hat, um Gemeinschaft unter ihnen zu halten.

[reference:nid=5326]

In der Gemeinde Jesu Christi sind wir in Freiheit aufeinander angewiesen. Unsere Gaben machen wir zu Aufgaben aneinander, um als Gemeinschaft der Verschiedenen miteinander leben zu können.
Die verschiedenen Gaben dürfen im Lichte Gottes glänzen, gemeinsam glänzen. So wie mancher Sonnenstrahl die Farben der Fenster im Ulmer Münster aufleuchten lässt in deren ganzer Schönheit. Diesen empfangenen Glanz dürfen wir weitergeben. „So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten“ (Mt 5,16a), sagt Jesus. Wir sind so frei.
Ja, es ist richtig, dass wir in unserem Land eine Woche bürgerschaftlichen Engagements begehen, damit unser Bewusstsein für dessen Bedeutung gestärkt wird.
Ja, es ist richtig, wenn wir wertschätzend und dankbar wahrnehmen, was Ehrenamtliche tun.
Ja, es ist richtig, dass wir aufmerksam zuhören, wo dieser Einsatz auch beschwerlich ist. Und uns dann neue Ideen einfallen lassen, wie wir Ehrenamtliche besser in ihren Aufgaben begleiten
Ja, es ist richtig, wenn auch persönliche Nutzen und die Freude gefördert werden, die freiwilliges Engagement und Ehrenamt bereiten.
Vielleicht entdeckt der eine oder die andere aufs Neue Begabungen und Gaben. Bringen Sie die in die Kirche mit. Wir freuen uns darüber.
Zugleich soll aber deutlich werden, dass wir damit nicht einem gesellschaftlichem Trend folgen, sondern vor allem dem Auftrag des Evangeliums.


Wir sind so frei: Kirche Jesu Christi lebt im Miteinander der empfangenen Gaben - auch in der Ökumene. Sie lebt in der Freiheit der Menschen, die darum wissen, dass sie aufeinander angewiesen sind. Sie lebt vom Glanz der vielfältigen Gnade Gottes. Das ist eine Haushalterschaft, die Freude macht auch in einer Zeit, die mit Schwierigkeiten nicht geizt.
Unsere evangelische Kirche in Deutschland wird diese Erfahrung immer wieder neu machen und sie brauchen. Das Zusammenspiel der Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen weist über sich hinaus auf den, der diese Kirche trägt: Jesus Christus.
„Und dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der bunten Gnade Gottes“
Dies wollen wir bei dieser Synode tun und an all den verschiedenen Orten in unserer Kirche und in unserer Gesellschaft. Dort, wo Gott uns hinstellt.


Wir sind so frei. Amen.