Sein Grab in Warschau ist Polens populärster Wallfahrtsort nach Tschenstochau, dem heiligen Berg der Schwarzen Madonna. Der katholische Priester Jerzy Popieluszko, ermordet vor 25 Jahren am 19. Oktober 1984 vom polnischen Sicherheitsdienst, war eine der Symbolfiguren des Widerstands gegen das kommunistische Regime.
Schon mit der Wahl des Polen Karol Wojtyla zum Papst im Jahr 1978 hatte die katholische Widerstandsbewegung gewaltig an Stärke gewonnen. Dann legte sich auch die Gewerkschaft Solidarnosc immer offensiver mit der kommunistischen Führung an. In Priestern wie dem 1947 geborenen Jerzy Popieluszko erwachte in dieser Zeit das politische Engagement. In der Nähe von Warschau arbeitete er als Pfarrer und Seelsorger, zunächst für Ärzte und Studenten, später für Stahlarbeiter.
Das Gewissen als Heiligtum
Im August 1980 streikten die Danziger Hafenarbeiter und aus Solidarität mit ihnen die Warschauer Stahlwerker. Popieluszko teilte ihre Sorge: Staats- und Parteiapparat und aggressive atheistische Propaganda verletzten die Menschenwürde. "Das Gewissen ist das größte Heiligtum", bekannte er, "und dieses Gewissen zu brechen ist schlimmer als der Totschlag." Und weiter: "Eine Staatsmacht, die über eingeschüchterte Bürger herrscht, erniedrigt die eigene Autorität."
Nach Ausrufung des Kriegsrechts im Dezember 1981 und dem Solidarnosc-Verbot wurde seine Kritik immer deutlicher. Jeden Monat zelebrierte Popieluszko eine "Messe für die Heimat". Hier gab es Gedichte, patriotische Lieder - und Predigten gegen Inhaftierungen aus fadenscheinigen Gründen, gegen Entlassungen politisch missliebiger Arbeiter, gegen Pressezensur und Einschränkungen der Gewissensfreiheit.
Mit Knüppel niedergeschlagen
Am 19. Oktober 1984 verfolgt ein Wagen Popieluzkos Auto. In einem Waldstück wird er gestoppt. Ein uniformierter Polizist und zwei Zivilisten schlagen den Priester mit einem Holzknüppel nieder, werfen ihn in den Kofferraum. Bei einem Halt gelingt es ihm zwar, sich von seinem Knebel und den Fesseln zu befreien und aus dem Kofferraum zu klettern. Er rennt davon, schreit "Hilfe! Lasst mich am Leben!", aber er wird eingefangen, erneut mit dem Holzknüppel bewusstlos geschlagen. An einem Weichsel-Stausee endet die unheimliche Reise. Die Peiniger zurren die Fesseln fest, verbinden sie mit einer um den Hals gelegten Schlinge, befestigen einen Sack mit Steinen an den Beinen ihres Opfers, knebeln ihn. Dann werfen sie den Priester in das tiefe Wasser der Weichsel. Seine Leiche wird am 30. Oktober gefunden.
Als Popieluszkos Leiche in seine Pfarrkirche überführt wird, sind die Strassen von knienden Menschen gesäumt. Das Requiem feiern Kardinal Josef Glemp, sechs Bischöfe und mehr als tausend Priester. Mindestens 600.000 Menschen nehmen daran teil. Der Vorsitzende der verbotenen Gewerkschaft Solidarnosc, Lech Walesa, verspricht "am Sarg unseres Bruders, dass wir angesichts der Gewalt nicht weichen werden". Und weiter: "Solidarnosc lebt, weil du dein Leben dafür gegeben hast!" Bergarbeiter tragen den toten Priester auf ihren Schultern zum Grab, am Kirchenzaun hängen Fahnen, Blumen und Spruchbänder: "Man hat uns das Herz ausgerissen, aber die Seele werden wir nicht geben."
Ministerium beteiligt
Schon bevor man Popieluszkos Leichnam gefunden hatte, stand fest: Das Auto der Entführer war ein Dienstfahrzeug des Innenministeriums und an diesem Tag von drei Sicherheitsbeamten benutzt worden. Sie und ihr Vorgesetzter, ein hoch dekorierter stellvertretender Abteilungsdirektor, wurden verhaftet. Zwei Monate später erklärten sie vor Gericht, sie hätten dem Vaterland einen Dienst tun wollen. Ursprünglich habe man den Priester nur einschüchtern wollen.
Die Staatsanwaltschaft sprang ihnen bei: Popieluszko habe "Hass gesät", die Behörden beleidigt und sich "durch seinen politischen Extremismus sein eigenes Grab geschaufelt". Auch der Gerichtsvorsitzende entrüstete sich über die "moralische Verworfenheit" des Ermordeten. Die vier Angeklagten wurden zu Freiheitsstrafen zwischen 14 und 25 Jahren verurteilt, die schwer belasteten Drahtzieher kamen ungeschoren davon.