EU-Bericht: Türkei weiter mit Defiziten bei Religionsfreiheit

EU-Bericht: Türkei weiter mit Defiziten bei Religionsfreiheit
Die Türkei muss Presse- und Religionsfreiheit weiter stärken, verlangt die EU. Gerade Christen haben weiter mit großen Problemen zu kämpfen, erklärt der deutsche Auslandspfarrer.

Die Europäische Union hat den Beitritts-Anwärter Türkei aufgefordert, sich entschiedener um den Schutz der Presse- und der Religionsfreiheit zu bemühen. Trotz sichtbarer Fortschritte seien die Grundrechte in der Türkei immer noch nicht ausreichend garantiert, mahnte EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn am Mittwoch in Brüssel. Er stellte dort die diesjährigen Fortschrittsberichte zu allen Bewerberländern vor. 

Mit Blick auf die Religionsfreiheit erkennt die EU-Kommission an, dass sich die türkische Regierung erheblich um den Dialog mit verschiedenen Glaubensgemeinschaften bemüht habe. Sie habe sich bei den Aleviten für Repressalien der Vergangenheit entschuldigt und orthodoxen Geistlichen Arbeitsgenehmigungen erteilt. Auch die Eigentumsrechte nicht-muslimischer Gruppierungen seien gestärkt worden. Allerdings hätten die Religionsgemeinschaften wegen ihrer fehlenden Rechtspersönlichkeit immer noch gravierende Probleme, unterstreicht die Kommission.

"Thema trotz guten Willens politisch sehr heikel"

Diese Einschätzung bestätigt auch der in Istanbul ansässige deutsche Pfarrer Holger Nollmann. Die Probleme seien weiterhin groß, trotz zahlreicher Appelle der EU auch in der Vergangenheit. Die fehlende Rechtspersönlichkeit der Kirchen führe zu größten Schwierigkeiten etwa bei der Ausbildung von Geistlichen, beim Erwerb und der Verwaltung von Grundstücken und Immobilien oder bei der Renovierung von Gotteshäusern, erklärte der Auslandspfarrer in einem Gespräch mit dem epd.

Auch das neue Stiftungsgesetz der Türkei, das die Eigentumsrechte von Religionsgemeinschaften stärken soll, sei noch "kein großer Durchbruch" gewesen. Auch das Dialogtreffen zwischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Religionsführern im Sommer habe faktisch keine Änderungen gebracht. Nollmann räumte jedoch ein, dass eine Stärkung religiöser Rechte in der traditionell laizistischen Türkei grundsätzlich schwer durchzusetzen sei. Die religiösen Beschränkungen dienten auch der Eindämmung des radikalen Islam. "Das Thema ist politisch sehr heikel, auch wenn der gute Wille da ist."

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Positiv erwähnt der Fortschrittsbericht die jüngste Annäherung zwischen der Türkei und Armenien. Auslandspfarrer Nollmann sagte, die Annäherung könnte langfristig zu Vorteilen für die in der Türkei lebenden Christen führen, sagte Nollmann. Auf kurze Sicht seien aber keine Verbesserungen zu erwarten: Zuerst müsse sich zeigen, wie das Abkommen umgesetzt werde. Bei den Differenzen zwischen den beiden Staaten geht es unter anderem um die in der Türkei weitgehend tabuisierte Frage, ob sich das Land Anfang des 20. Jahrhunderts des Völkermordes an den Armeniern schuldig gemacht hat.

Sichtbarer Reformprozess dank EU-Perspektive

Was die Grundrechte insgesamt betreffe, habe die EU-Perspektive in der Türkei einen sichtbaren Reformprozess in Gang gesetzt, hob Nollmann hervor. Dieser habe sich zwar verlangsamt, dauere aber an. So sei in dem Land "mehr Demokratisierung, mehr politische Beteiligung" zu beobachten. Es fänden wesentlich mehr Demonstrationen statt als früher, erst kürzlich etwa habe es einen Protestzug homo- und transsexueller Menschen gegeben. "Das wäre noch vor kurzem unvorstellbar gewesen."

Auch die EU-Kommission erklärte, es habe bei der Presse- und Meinungsfreiheit auch Fortschritte gegeben, erklärte die Kommission. Die Zahl der Personen, die im letzten Jahr wegen "Beleidigung der türkischen Nation" auf Basis des Strafrechtsartikels 301 verfolgt wurden, sei überschaubar. Allerdings gebe es derzeit eine Reihe fragwürdiger Gerichtsprozesse wegen "Obszönität", "Verletzung der Würde" oder "Gefährdung der öffentlichen Ordnung". Eine rechtliche Unsicherheit könne unter anderem zu einer Praxis der Selbstzensur führen.

Besorgt zeigte sich die EU-Kommission außerdem über den Umgang der türkischen Behörden mit dem Medienkonzern Dogan. Der regierungskritischen Mediengruppe droht wegen angeblicher Steuerhinterziehung eine Rekordstrafe von 2,2 Milliarden Euro. Diese Summe sei so hoch, dass das Überleben des Konzerns und damit faktisch auch die Pressefreiheit bedroht sei, erklärt die EU. Zu Dogan gehören unter anderem die Zeitungen "Hürriyet" und "Milliyet", die seit langem kritisch über Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und seine islamisch-konservative AK-Partei berichten. Die türkische Regierung bestreitet, dass die Maßnahmen gegen Dogan politisch motiviert seien.

Acht Verhandlungskapitel liegen auf Eis

Die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei hatten im Oktober 2005 begonnen. Ob und wann die Türkei tatsächlich EU-Mitglied wird, steht noch nicht fest. Bislang wurden elf der 33 Verhandlungskapitel diskutiert, während acht Kapitel wegen eines Handelsstreits zwischen der Türkei und Zypern blockiert sind. Die EU forderte die Türkei am Mittwoch noch einmal nachdrücklich auf, ihre Häfen und Flughäfen für Zypern zu öffnen.

epd