Vor einer Reihe von Jahren, die EU war noch nicht um ihren schlimmsten Länderschrott erweitert, machten eine Kollegin und ich eine vergleichende Reportage. Sie berichtete aus Sindelfingen, der Stadt mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen Europas, ich aus dem spanischen Cáceres, dem Schlusslicht. Schlusslicht? In den alten, ehrwürdigen Mauern der Stadt in der Extremadura, so stellte sich heraus, steppte jeden Abend der Toro, floss der Vino tinto auf der Plaza in Strömen, roch es verführerisch nach Pata-negra-Schinken und Knoblauchsardellen und Tapas, vergnügte sich die Jugend auf allen Straßen und Plätzen. In der Mercedes-Zentrale Sindelfingen hingegen, meldete meine Kollegin, hatten sie Zebrastreifen aus Carrara-Marmor, gingen früh ins Bett (schaffe, schaffe...), und sorgten sich Tag und Nacht, wie lange sie ihren Lebensstil mit Eigenheim, Jahreswagen und zweimal Urlaub wohl noch würden halten können.
Daran musste ich denken, als heute die Meldung kam, laut Uno lebe es sich von 182 untersuchten Ländern am besten in Norwegen....
Norwegen führt die Liste der am höchsten entwickelten Länder an, während Deutschland nur auf Platz 22 des Rankings kommt, hinter Holland, Frankreich, Österreich, Spanien, Belgien, Italien und Großbritannien. Der Öl- und Gasreichtum und das gut ausgebaute Wohlfahrtssystem des Landes, die hohen Einkommen, Bildungschancen und Lebenserwartungen der Bürger machen das Land aus Uno-Sicht noch attraktiver als Australien und Island. Die Rote Laterne teilen sich, wenig erstaunlich, Sierra Leona, Afghanistan, Niger und dieser Kurzwitz von einem Land, die „Demokratische Republik Kongo“. Die Daten für die Untersuchung stammen von 2007.
Norwegen? Hatte ich da was verpasst? Irgendwelche vor Kreativität und Aktivität vibrierenden Szenen, die Kunst und Kultur und Literatur und Küche und Lebensart in einem Maße hervorbringen, von dem die globale Gemeinde nur träumen kann? Hatte ich das pulsierende Leben in Norwegens Städten übersehen, wo an jedem Tag im Jahr was los ist? Das lebendige Brauchtum auf dem Lande ignoriert, wo die Menschen noch eins mit sich, der Natur und ihrem Quad sind? Warum waren mir nie die vom Lebensglück beseelten Mienen der Menschen aufgefallen, die Norwegen bevölkern? Eher ein etwas tristes Grundgefühl?
Ich, von jeher Norwegen-Fan, hatte an dem Land mit der langweiligsten Hauptstadt der Welt (nach Canberra) ja leider immer auch einiges zu bemäkeln. Eine evangelisch grundierte, puritanische-lustfeindliche Stimmung zum Beispiel, die von zahllosen Gouvernanten-Organisationen geprägt wird. Den Öko-Hype und den Gesundheitswahn (kaum ein Land der Welt verteufelt Alkohol und Tabak so wie Norwegen; für die Einfahrt in große Städte muss man Geld bezahlen usw.). Dann die penetrante politische Korrektheit seiner Offiziellen, das allgegenwärtige Quotensystem (die besten Aufstiegschancen in Norwegen hat mutmaßlich eine weibliche, behinderte Person mit ausgedehntem Migrationshintergrund, die in der Kindheit sexuellem Missbrauch durch Weiße ausgesetzt war). Die Unlust zu jeglichem Service bei gleichzeitig aberwitzigen Preisen (welche von den Steuern rühren, mit denen ein ausufernder Sozialstaat finanziert wird), macht Norwegen zu einem Nischenziel für hartnäckige Liebhaber wie mich. Nicht mal im teuersten Quartier am weltberühmten Geiranger-Fjord, dem Union-Hotel, fragen sie dich, ob sie beim Gepäck helfen können!
Etwas auf den Wecker ging mir auch immer, ich muss es mal sagen, eine gewisse politisch-moralische Selbstgerechtigkeit der Norweger, die schon älteren Datums ist. Wenn ich mich an meine Tramperzeit erinnere: auf ihre Rucksäcke hatten die jungen Norweger ihre Fahne genäht, als wüchsen damit automatisch ihre Chancen, mitgenommen zu werden. Keine andere Nation in Europa tat das. Die Deutschen, schlauerweise, schon gar nicht.
Keine Missverständnisse! Auch wenn Norwegen uns derzeit vielleicht nicht die spannensten Filme und die interessantesten Bücher schenkt, nicht die originellste Musik (na ja, der Jazz ist ganz okay...) und schon gar nicht eine Cuisine, nach der die Welt oder auch nur der Nachbar Schweden sich die Finger leckt - es ist und bleibt ein wunderbares Land mit liebenswerten Einwohnern. Und es bietet den Augen die First Class, wenn man bergumrahmte Fjorde, Seen, Gletscher, Küsten und den unglaublichen Himmel Skandinaviens liebt.
Aber ach, die ganze Herrlichkeit währt in dem sich weit in den hohen Norden erstreckenden Land nur zwischen drei und fünf Monate. Der Mai ist in weiten Landesteilen noch biestig, ab Oktober wird es ruckartig wieder ungemütlich. Kalt, feucht, den größten Teil des Tages dunkel. Ein Bild wie Edvard Munchs "Der Schrei" passt irgendwie zu Norwegen. Und da liegt auch der Grund, warum Norweger - in Relation zur Fünf-Millionen-Bevölkerung – die europäischen Reisemeister geworden sind. Von ihren Airports schwärmen Ferienflieger nach Antalya, Kreta, Malle oder Gran Canaria aus. Sogar im August, weil das Wasser der tiefen Fjorde selbst dann zu kalt zum baden ist. Lebensqualität? Hat mit perfektem Sozialstaat und all dem Klimbim, der dranhängt, nur sehr begrenzt zu tun.
Ich war dieses Jahr in Norwegen und fahre nächstes Jahr wieder hin. Dort leben? Wollte ich nicht mal dann, wenn sie mir Anteilsscheine an einer Ölplattform vor Stavanger schenken würden. Bleibe einstweilen ganz gern auf Platz 22. Spanien wäre natürlich noch besser. Oder Australien?
Der Beitrag ist bei Die Achse des Guten erschienen.