G20: Wird der Mut nachhaltig sein? Ein Gipfel-Fazit

G20: Wird der Mut nachhaltig sein? Ein Gipfel-Fazit
Der Gipfel von Pittsburgh war ein Erfolg, die Ergebnisse machen Hoffnung. Dennoch gilt: Ohne breite gesellschaftliche Diskussionen und Überwachung in den G20-Ländern nutzen die Beschlüsse nichts.
26.09.2009
Von Gert G. Wagner

Die Beschlüsse der zwanzig "führenden Industrie- und Schwellenländer" beim G20-Gipfel in der alten US-Stahlmetropole Pittsburgh sind weitgehender als viele Kommentatoren zuletzt erwartet hatten. Gleichwohl wird an der Tragfähigkeit der Finanzmarkt-Beschlüsse herumkritisiert. Und für den Klima-Schutz habe der G20-Gipfel gar nichts gebracht.

Ein Erfolg - im Rahmen des Denk- und Wünschbaren

Aber obwohl diese Kritik stimmt, war G20 in Pittsburgh ein Erfolg. Denn es besteht zumindest die Chance, dass sich einiges ändert. Und mehr kann man von einem derartigen globalen Ereignis nicht erwarten. Die Welt ist nicht von heute auf morgen zu ändern. Und wenn es gelänge, wäre das höchst gefährlich: Denn es nicht zu erwarten, dass bei hochkomplexen wirtschaftlichen Problemen zentralistische Reformen zum Ziel führen.

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Es ist gut, dass die G20-Runde nicht so etwas ist wie eine Weltregierung. Eine Weltregierung kann zwar - zufällig - Großes bewirken; aber es ist viel wahrscheinlicher, dass sie meistens nicht allen Regionen und den dort lebenden Menschen gerecht werden würde. Auch wenn viele evangelische Gläubige ganz genau zu wissen glauben, wie die Welt zum Besseren verändert werden sollte, sollten gerade sie sich erinnern, dass sie gerne - und zurecht - die zentralistischen Entscheidungen der römischen Papst-Kirche kritisieren.

Banker-Boni: Langfristiger Erfolg zählt

Am unmittelbarsten von den G20-Beschlüssen wirken wahrscheinlich die neuen Regeln für die Bezahlung von Bankmanagern. Daran haben alle Regierungen ein großes Interesse. Flexible Vergütungen für Banker werden - nach dem Willen der G20-Regierungschefs - künftig nur zugelassen, wenn sie erfolgsabhängig sind. Und die Prämien müssen zum Großteil in Aktien der eigenen Bank ausgezahlt werden, die mindestens drei Jahre von den Managern gehalten werden müssen. Damit bestraft sich ein Bankenvorstand, der nur kurzfristige Gewinne macht, automatisch selbst. Und ganz wichtig ist: Nimmt eine notleidende Bank Staatshilfe an, können die Vergütungen nachträglich gekürzt werden. Banken, die die Richtlinien umgehen, müssen mit Strafen rechnen.

Was fehlt, ist eine absolute Begrenzung der Vergütungen von Bank-Managern. Das wird Populisten gegen die Beschlüsse aufbringen. Es ist aber grundsätzlich vernünftig, Vergütungen nicht staatlich zu begrenzen. Denn wo soll die Grenze liegen und wie will man Umgehungen verhindern? Viel wichtiger ist, dass die Vergütungs-Systeme nicht zu verantwortungslosen Kurzfrist-Spekulationen einladen und dass sie vor allen in den Aufsichtsräten offen diskutiert werden.

Steueroasen austrocknen: Umsetzung schwierig

Ohne jeden Zweifel ist es sinnvoll, dass Steueroasen ausgetrocknet werden sollen. Der G20-Gipfel hat sogar beschlossen, dass gegen Länder, die Steuerflüchtlinge anlocken, Strafen erlassen werden sollen. Das ist ein ökonomisch sinnvolles Ziel – aber ein solches Ziel so umzusetzen, dass es funktioniert, erfordert nicht nur viel politische Energie und Durchsetzungsfähigkeit, sondern auch reifliche Überlegung.

Denn schließlich kann es nicht angehen, dass es keinerlei Unterschiede in den Steuersystemen mehr gibt! Was auch immer Neunmalkluge an perfekten Steuersystemen im Kopf haben: jedes Steuersystem bedarf einer politischen - wenn möglich demokratischen - Legitimation. Es kann nicht angehen, dass eine G20-Weltregierung ein zentrales Steuersystem für alle beschließt und durchsetzt.
Finanzmarktregulierung: Details mussten offen bleiben

Finanzmarkt: Details mussten offen bleiben

Dass die meisten G20-Beschlüsse nicht in Details gehen, ist schlicht und einfach vernünftig. Da zum Beispiel "Eigenkapital“ in verschiedenen Ländern unterschiedlich definiert wird, macht es keinen Sinn, ein genaues zahlenmäßiges Minimum für die Eigenkapitaldecke von Banken in die Beschlüsse zu schreiben. Denn die Angleichung von Bilanzierungs-Regeln ist eine der Aufgaben, die nach dem G20-Gipfel erst angegangen werden wird.

Ähnliches gilt für die Gesamtverschuldung von Banken: Würden genaue Grenzen vorgeschrieben, könnten europäische Banken in einen Nachteil geraten, da sie formal höher verschuldet sind als US-Banken. Aber die Europäer gehen nicht so hohe Risiken ein wie die US-Institute. Wenn man alles mit exakten Regeln, Höchstbeträgen und Quoten regeln wollten würde, würde das Jahre dauern. Wenn man angesichts unterschiedlicher Rechtstraditionen und nationaler Interessen überhaupt jemals zum Ziel kommen würde.

Insofern ist ein bisschen Offenheit durchaus sinnvoll. Denn das Wichtigste ist, dass es überhaupt wieder ein Bewusstsein bei Politikern und Gesetzgebern gibt, dass strenge Regulierungen von Finanz- und anderen Märkten, harte Aufsicht und auch Besteuerung sinnvoll und legitim sind.

Pittsburgh: Symbol für die Gestaltungskraft von Politik

Die G20-Beschlüsse werden nur dann wirklich etwas wert sein, wenn sie die politischen Diskussionen in den alten westlichen Volkswirtschaften wieder ändern. Jahrelang galt Politik, die gestalten wollte statt den Menschen den Märkten zu überlassen, als völlig überholt und von den Interessen derer geleitet, die Strukturwandel abbremsen wollten, weil sie zu den Verlierern gehörten.

Ohne eine neue und gesellschaftlich breite Diskussion um die vernünftigen Gestaltungsoptionen von Politik werden die Pittsburgh-Beschlüsse nichts wert sein. Denn die Beschlüsse müssen in den einzelnen Ländern umgesetzt und - mindestens so wichtig - ständig kontrolliert werden.

Der Stadt und Region Pittsburgh geht es nach der großen Stahlkrise in den 70er Jahren wieder ordentlich. Die Umstrukturierung der Industrie hin zu Dienstleistern ging nicht von heute auf morgen. Insofern hat der Pittsburgh-Gipfel hohen Symbolwert: Die Politik kann auch heutzutage noch gestaltend wirken, wenn sie nur will. Aber man darf nicht erwarten, dass die schwierigen Probleme dieser Welt von heute auf morgen gelöst werden. In Pittsburgh wurden wichtige erste Schritte gemacht. Die nächsten Schritte müssen von der Weltöffentlichkeit und NGOs - und dazu zählen die Kirchen - kritisch und mit Sachverstand überwacht werden.


Über den Autor:
Der Berliner Volkswirtschafts-Professor Gert G. Wagner ist Vorsitzender der "Kammer für soziale Ordnung" der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).