IAA: Mehr Fassade als Fortschritt

IAA: Mehr Fassade als Fortschritt
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Internationale Automobilausstellung in Frankfurt eröffnet. Nahezu jeder Hersteller, der was auf sich hält, hat ein Elektroauto im Programm. Doch wann die Studien auf unseren Straßen rollen - ungewiss. Umweltschützer kritisieren, dass die elektrisch angetriebenen Fahrzeuge reine Fassade seien. Den wirklichen Fortschritt hätten gerade deutsche Autobauer verschlafen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat der deutschen Autobranche Unterstützung bei der Entwicklung von Zukunftstechnologien in Aussicht gestellt. Es gehe darum, das Potenzial Deutschlands als Automobilnation des 21. Jahrhunderts so weit wie möglich auszuschöpfen, sagte Merkel am Donnerstag zur Eröffnung der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt. Sie mahnte die Hersteller an, beim Zukunftsthema Elektroauto mit der ausländischen Konkurrenz mitzuhalten.

Merkel sagte zu den Vertretern der Autoindustrie: "Wir sollten nach den Bundestagswahlen doch einmal zusammenkommen und uns überlegen, wohin geht der Pfad." Dabei solle auch besprochen werden, was die Bundesregierung tun könne, um dieses nationale Anliegen voranzutreiben.

Die Bundeskanzlerin bezeichnete die Batterietechnologie als "Jackpot der Welt" für die Elektroauto-Entwicklung. In diesem Bereich gebe es starke Konkurrenz aus Asien. Schlüsselfragen seien zum Beispiel auch Standards für Stecker zum Aufladen von Elektroautos. "Ich kann uns nur raten: Wenn asiatische Märkte die Führungsrolle übernehmen und wir die Hoheit über die Normierung verlieren, dann gehen uns auch die Märkte verloren", sagte Merkel. Bei der diesjährigen IAA stehen Elektroautos als wahrscheinlichste Zukunftstechnologie im Mittelpunkt.

Merkel bekräftigte zugleich ihre Unterstützung für die deutsche Autobranche in deren Klimaschutz-Diskussion mit der EU-Kommission. "Es kann nicht sein, dass wir in einer freiheitlichen Welt die Größe des Autos vorschreiben und normieren", sagte Merkel mit Blick auf europäische Umweltauflagen, die Herstellern von Wagen mit einem hohen Spritverbrauch in einigen Jahren hohe Strafen bringen können. Der Konsument müsse selbst entscheiden können, welche Art von Auto er wählt. "Würde es die Hersteller von Premiumfahrzeugen nicht geben, wäre die Innovation bei den Kleinen überhaupt nicht so schnell durchzusetzen." Deutsche Hersteller wie Daimler oder BMW sind sogenannte Premium-Autobauer, die vor allem große Wagen mit größeren Motoren herstellen.

Industrie warnt vor scharfen Auflagen

Zuvor hatte schon der Präsident des Branchenverbandes und IAA-Veranstalters VDA, Matthias Wissmann, vor einer Benachteiligung der Industrie durch europäische Umwelt-Auflagen gewarnt. Die Autoindustrie hoffe, dass die EU die Balance zwischen Industriepolitik und Klimaschutz finde. Das Problem müsse weltweit angegangen werden, es dürfe keine Sonderlasten nur in einem Erdteil geben. Die EU will, dass europäische Neuwagen zum Jahr 2015 im Schnitt maximal 120 Gramm des Klimakillers CO2 pro Kilometer ausstoßen. Im vergangenen Jahr lag der Durchschnittswert noch bei gut 150 Gramm.

Es sei der Anspruch der deutschen Industrie, in Sachen umweltfreundlicher Mobilität Avantgarde zu sein, sagte Wissmann. Schon heute kämen die ersten Mittelklassewagen mit weniger als vier Litern Kraftstoff auf 100 Kilometer aus. "Modelle deutscher Konzernmarken fahren hier ganz vorne mit." Die Automobilbranche sei keine im Wortsinn "alte" Branche: "Sondern sie erfindet das Automobil ständig neu. Sie ist jünger und kreativer denn je." Das zeige sie auch auf der IAA.

Umweltschützer hatten hingegen kritisiert, dass die aktuellen Modelle immer noch zu viel Kohlendioxid (CO2) ausstießen. Klimafreundliche Modelle wie Elektroautos seien auf der Messe vor allem als Konzeptfahrzeuge zu sehen, aber kaum serientauglich. Vor dem Messegelände demonstrierten Greenpeace-Aktivisten mit einer sechs Meter hohen, plattgefahrenen Weltkugel gegen die deutsche Autoindustrie. Auf einem Transparent forderten sie die Bundeskanzlerin auf: "Frau Merkel, Spritfresser stoppen!" Auf der IAA 2009 sei leider kein Durchbruch in Richtung Klimaschutz zu erkennen, sagte Greenpeace-Verkehrsexperte Wolfgang Lohbeck laut Mitteilung: "Kunden müssen für ein umweltfreundliches Auto immer noch einen satten Aufpreis zahlen und das, obwohl aus technischer Sicht ein Verbrauch von unter drei Litern seit Jahren möglich ist."

Umweltverbände protestieren

Die Kritik der Umweltaktivisten richtete sich gegen die Kanzlerin, weil sie sich in der EU-Debatte um Grenzwerte für den CO2-Ausstoß für weichere Vorgaben eingesetzt hatte. "Damit macht sich Merkel zur Vorreiterin einer klimafeindlichen Modellpolitik", sagte Lohbeck.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) warf der der Branche vor, lediglich "im Inszenieren von Illusionen" Weltmarktführer zu sein: "Eine "Grüne Woche" gibt es auf der größten deutschen Automesse nur in den Reden der Chefs der deutschen Autokonzerne. In Wahrheit zeigen die Hersteller, die sich selbst gern als Weltmeister in Sachen Innovationen feiern, eine Modellpalette vor, die den Erfordernissen von Nachhaltigkeit und Klimaschutz nicht gerecht wird."

Obwohl fast alle Hersteller Elektroautos auf der Messen zeigen, wird deren Straßeneinsatz noch auf sich warten lassen. VW-Vorstandsmitglied Ulrich Hackenberg betonte auf der Internationalen Automobil-Ausstellung IAA in Frankfurt, der Verbrennungsmotor werde in den nächsten 15 bis 20 Jahren noch eine dominante Rolle spielen. Nach einer VW-Prognose erreichen reine Elektroautos im Jahr 2020 einen Marktanteil von nur 1,5 Prozent. Es gebe noch viele Probleme. Dazu zählten die Batterietechnologie, die Reichweite, der Preis und die Infrastruktur zum Aufladen der Batterien. Eine stärkere Zusammenarbeit der Hersteller bei der Technologie soll es vorerst aber nicht geben.

Der Chef der Automobilsparte des Zulieferers Bosch, Bernd Bohr, warnte vor übertriebener Euphorie: "Es wird noch zehn Jahre dauern, bis ein Elektrofahrzeug im Markt ist, das sich wirklich selber finanziert und bezahlbar ist." Die Kosten der Batterie müssten noch auf ein Drittel reduziert werden. Derzeit koste eine Batterie mit rund 200 Kilometer Reichweite 8.000 bis 12.000 Euro.

Umweltministerium plant Prämie

Staatssekretär Matthias Machnig vom Bundesumweltministerium stellte in Berlin eine vom Ministerium in Auftrag gegebene Studie der Unternehmensberatung McKinsey vor, die auf Vorhersagen der Autobauer basiert.Demnach sollen in der ersten Phase 2012 bis 2014 jährlich rund 30.000 Elektroautos auf den Markt kommen, in den vier Jahren darauf je 100.000 sowie 2019 und 2020 je 250.000. Das bedeutet etwa 100.000 E-Autos auf deutschen Straßen im Jahr 2014, 500.000 in 2018 und eine Million zum Jahr 2020. Der Staatssekretär forderte die Industrie auf, ihre Forschungsanstrengungen im Batterie-Bereich angesichts der riesigen asiatischen Konkurrenz zu verstärken.

Gefördert werden sollen nur mit Ökostrom betriebene reine Elektroautos, Fahrzeuge mit kombiniertem Elektro- und Spritantrieb und Auflademöglichkeiten vom Netz (Plug-in-Hybride) sowie Fahrzeuge mit Brennstoffzelle. Reine Elektroautos sollen den vollen Betrag von 5.000 Euro bekommen. Eine Anschluss-Förderung nach 2015 soll gegebenenfalls geprüft werden.

Aus Sicht des DUH-Bundesgeschäftsführers Jürgen Resch sind Elektroautos derzeit ein reines Forschungsthema. "Wir werden noch viele Jahre brauchen, bis die Batterien bezahlbar sind und große Reichweite haben." Bislang könnten die deutschen Hersteller nur Studien und Kleinstserien für Elektroautos vorweisen. Mit einem Aufpreis von 10.000 bis 26 000 Euro gegenüber gängigen Modellen seien die Wagen zu teuer.

Kritik an der Autoindustrie

Laut einer Umfrage wollen die Deutschen mehr sparsame und klimafreundliche Autos kaufen, vermissen aber ein bezahlbares Angebot der Industrie. 70 Prozent von knapp 3.500 Befragten sind der Meinung, die Automobilbranche biete zu wenig derartige Modelle an, teilten der Verkehrsclub Deutschland (VCD) und der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) mit.

"Fast 15 Prozent der Haushaltsausgaben gehen in die Mobilität. Da ist es kein Wunder, dass die Verbraucher genau auf den Spritverbrauch eines Autos achten", sagte vzbv-Vorstand Gerd Billen auf der IAA. Auch die Klimabelastung falle bei der Kaufentscheidung immer häufiger ins Gewicht. Darauf hätten die deutschen Hersteller bisher nicht ausreichend reagiert. "Die Autoindustrie hat lange Zeit versagt", betonte Billen.

Die Branche sei gut beraten, mehr preiswerte und energiesparende Modelle anzubieten, weil die Verbraucher diese Autos kaufen wollten. "Die Verbraucher stimmen derzeit mit den Füßen ab und kaufen Autos aus Japan oder Frankreich", sagte Billen. Künftig würden nur jene Modelle gewinnen, die den Bedürfnissen der Verbraucher nach preiswerten Sparautos entsprächen.

Auch die Abwrackprämie zeigte eindrucksvoll, dass die Käufer kleine Autos wünschen. Sie hat das Denken der Verbraucher grundlegend verändert: Nach einer Umfrage des Beratungsunternehmens PricewaterhouseCoopers betrachten Verbraucher das Auto immer seltener als Statussymbol, sondern vor allem als Fortbewegungsmittel. Viele Hersteller hängen dagegen immer noch am Bild von Edelkarossen und chromblitzenden Flitzern, wie sie auch auf dieser IAA zu finden sind.

dpa