Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, beklagt das Versagen der Kirchen beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges.
Nur wenige Protestanten hätten sich dagegen gewehrt, "dass der christliche Glaube als Verstärker von nationalen Interessen benutzt wurde", sagte Schneider in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zugleich äußerte er die Befürchtung, dass sich auch heute ein regionaler bewaffneter Konflikt wie der in der Ukraine ausweiten könne.
Schneider warnt angesichts Ukraine-Konflikt vor neuem Kalten Krieg
Er habe Sorge vor einem neuen Kalten Krieg und dem Hineinrutschen in eine Blockkonfrontation. "Wir hoffen alle sehr, dass die europäischen und weltweiten politischen und diplomatischen Maßnahmen verhindern, dass die Konflikte um die Krim und die Ukraine zu einem heißen Krieg führen", sagte der Theologe. Das Friedensprojekt Europa habe noch lange nicht ausgedient.
Die europäischen Kirchen wollten sich zum 100. Jahrestag gemeinsam ihrem konkreten geschichtlichen Versagen im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg stellen, kündigte Schneider an. Dies sei in Gunsbach im Elsass nahe einem der Schlachtfelder des Krieges geplant. Zudem gebe es in den Landeskirchen eine Vielzahl von Gedenkgottesdiensten. Die EKD werde eine Erklärung abgeben, in der sie an das Versagen erinnert.
Zugleich wolle sie verdeutlichen, dass sie aus theologischen Irrwegen sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg gelernt habe. Es habe Millionen Toter gebraucht, um zu begreifen, dass die Legitimation von Kriegen um Gottes willen so nicht weitergehen dürfe, räumte der höchste Repräsentant der rund 24 Millionen Protestanten in Deutschland ein.
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Der EKD-Ratschef sagte, aus Sicht der biblischen Friedensbotschaft müsse auch ein großer Teil der damaligen Theologen infrage gestellt werden, die sich in den Dienst der Kriegspropaganda gestellt hatten. Er erinnerte daran, dass bei Kriegsausbruch von den Bevölkerungsmassen vor dem Berliner Schloss das Kirchenlied "Nun danket alle Gott" gesungen worden sei. Wenn dies heute so geschehe, würde er das als Gotteslästerung bezeichnen, erklärte Schneider. Dies unterstelle er allerdings den Menschen damals nicht. Auch Gottesbilder und ethisches Verhalten müsse im geschichtlichen Zusammenhang gesehen werden.
"Jesus Christus war weit weg von der Legitimation nationaler Kriegsinteressen in seinem oder in Gottes Namen", sagte Schneider. Er sei aber überzeugt, "dass Jesus Christus auch damals ganz nahe bei den leidenden Menschen auf den Schlachtfeldern war". Es habe lange gedauert, "sich von einer Theologie zu befreien, die Gott und Gottvertrauen in den Dienst der je eigenen Nation stellt".
"Ich plädiere für mehr Europa"
Schneider räumte ein, dass das Friedensprojekt Europa in einer kritischen Situation sei. "Ich plädiere für mehr Europa", sagte er. Es gehe darum, "trotz der erstarkenden Nationalisten und Populisten in vielen Ländern der EU zu einer stärkeren politischen und wirtschaftlichen Gemeinsamkeit zu kommen". Frieden heiße heute auch soziale Sicherheit und Wohlfahrt: "Europa muss sich für viele Menschen als eine alltäglich erfahrbare Wohltat auswirken." Zum Frieden heute gehört nach Schneiders Auffassung auch die Lösung ökonomischer Probleme, damit das demokratische System tragfähig bleibe. "Freihandel und europäische Sozialunion dürfen daher nicht gegeneinander ausgespielt werden", sagte der EKD-Ratsvorsitzende.
Die Gemeinschaft Europäischer Kirchen (GEKE) hat dazu aufgerufen, des 100. Jahrestags des Kriegsausbruchs 1914 am 1. August mittags zum zwölf Uhr mit einer Schweigeminute zu gedenken. Die GEKE plant zudem einen Gottesdienst in Gunsbach im Elsass, an dem die europäischen Kirchen ihr Versagen im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg bekennen wollen. Auch in Deutschland sind an zahlreichen Orten Gedenkgottesdienste geplant. Der EKD-Ratsvorsitzende wird zu diesem Thema auch beim EKD-Jahresempfang an diesem Mittwoch in Berlin sprechen.