Der Ausnahmezustand ist da. Vier Wochen lang dreht sich alles um die Fußball-WM in Brasilien. Alles muss irgendwie Fußball sein, am schlimmsten ist es in der Werbung. Mit dem Getöse eines der größten Sportereignisse der Welt versucht die Fifa, die Korruptionsvorwürfe zu überdecken. Tausende Demonstranten in Brasilien protestieren gegen ihre Regierung, die Geld lieber in Stadien steckt als in Schulen. Wir können das nicht ignorieren. Aber dürfen wir deswegen keinen Fußball gucken?
Doch, dürfen wir. (Wir können sogar beim WM-Tippspiel von Brot für die Welt mitmachen.) Denn die 90 Minuten Fußball auf'm Platz könnten überall gespielt werden, im heimischen Stadion ebenso wie im fernen Sao Paulo. Bei allem Spektakel rund um die WM geht es am Ende doch um das Spiel zwischen zwei Mannschaften, und das ist es, was die Menschen weltweit in ihren Bann zieht. Das Mitfiebern mit der eigenen Mannschaft, das Bewundern von Fußballkönnern wie Philipp Lahm oder Cristiano Ronaldo, das Hoffen, dass Miroslav Klose noch zwei WM-Tore schießt: Das hängt alles nicht am Drumherum.
Auf der anderen Seite ist Profi-Fußball natürlich eine kommerzielle Veranstaltung, bei der es um Milliarden geht. Die Fußball-WM in Südafrika 2010 brachte allein der Fifa 2,4 Milliarden Euro ein. Brasilien richtet die teuerste WM aller Zeiten aus, acht Milliarden Euro lässt sich das Land das Fußballturnier kosten. Die Fifa bezahlt das eigentliche Turnier selbst (und macht trotzdem einen Millionen-Profit), aber der Staat Brasilien baut die Stadien, die Verkehrswege, die Telefonleitungen. Nur werden die Infrastruktur-Projekte nicht fertig, Immobilienpreise steigen. Die Polizei stürmt Favelas, die Armen fühlen sich von der Regierung allein gelassen.
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Ob die neugebauten WM-Stadien vollständig fertig sind, wenn morgen um 22 Uhr unserer Zeit die WM beim Spiel Brasilien gegen Kroatien angepfiffen wird, weiß noch keiner. Nicht weit vom (unfertigen) Stadion in Sao Paulo, in dem die beiden Mannschaften zum Eröffnungsspiel auflaufen, hat sich ein Protestcamp gebildet. Rund 3.000 Familien kampieren dort in Zelten und demonstrieren gegen zu hohe Mieten. Sie hoffen, dass die Regierung auf dem besetzten Land subventionierte Wohnungen baut. "Wir wollen nichts umsonst, aber wir wollen etwas, das wir uns leisten können", zitiert CNN eine der Protestiererinnen.
Sie wollen, dass sich Brasiliens Regierung mehr um ihr Volk kümmert als um ein internationales Sportereignis. Das ist ein berechtigter Wunsch, den wir als evangelische Christen unterstützen können. Auf evangelisch.de werden wir in der Serie "Foul am Zuckerhut" während der WM vier Wochen lang Stimmen aus Brasilien zu Wort kommen lassen: Menschen, die ihre Geschichte rund um die Fußball-Weltmeisterschaft erzählen. Es sind Geschichten von Benachteiligung, von Armut, aber auch Geschichten von Hoffnung, dass es besser geht. Hoffnung, dass die Proteste und Demonstrationen rund um die WM Wirkung zeigen und die Aufmerksamkeit der Welt die Lage der Brasilianer verbessert - dass sich der Staat um Straßen, Schulen und Krankenhäuser kümmert statt um Stadien und Sicherheitssperren.
So schauen wir in den nächsten vier Wochen mit einem sportlichen Auge und einem sozialen Auge nach Brasilien. Auch in den deutschen Medien können wir die Anliegen der Brasilianer zeigen und die WM zum Anstoß für einen Ausgleich der sozialen Schieflage machen. Sportlich hoffen wir auf tolle Spiele, spannende Fußballabende und den ersten Titel seit der Ära Berti Vogts für die deutsche Nationalmannschaft.
Beides geht gleichzeitig. Wenn wir die Schattenseiten der WM nicht übersehen, dürfen wir uns auch ohne schlechtes Gewissen über guten Fußball freuen.