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Pfingstsonntag, 15 Uhr im Hamburger Stadtteil Borgfelde: Schon am Ausgang der S-Bahnstation Berliner Tor ist ein groovender Sound zu hören. Wer der Musik über die sechsspurige Ausfallstraße und an Hochhäusern vorbei folgt, gelangt zu einem Park, einem kurvigem Weg und steht direkt vor einer Kirche. Im Garten tummeln sich bunt gekleidete Menschen, auf einer Bühne singen Mädchen mit souligen Stimmen ghanaische Gospelsongs, vor dem Eingang zur Kirche stehen Tische, die sich biegen unter der Last von Töpfen und Pfannen: koreanisches Algen-Sushi, afrikanisches Hühnchen mit Reis, indonesischer Klebreis-Kuchen. Eine Getränkekarte ist zweisprachig formuliert in Englisch und Deutsch und der Mann beim Grill ruft: "Die Wurst ist ready, come on."
Es ist ein Experiment, das in der evangelisch-lutherischen Gemeinde St. Georg-Borgfelde an diesem Sonntag stattfindet: Sie feiert ihr erstes interkulturelles Pfingstfest. Rund 350 koreanische, indonesische, afrikanische und deutsche Gäste sind gekommen. "Diese Intensität ist einmalig. Seitdem wir mit den afrikanischen Gemeinden zusammen arbeiten, bekommen wir so viel zurück", sagt Pastor Friedrich Degenhardt von der ökumenischen Arbeitsstelle im Kirchenkreis Hamburg-Ost und lacht über das ganze Gesicht. Dann eilt er ins kleine Büro seines Kollegen Pastor Peter Mansaray von der African Christian Church Borgfelde, mit dem er gleich den zweisprachigen Gospelgottesdienst halten wird. Es ist kaum zu glauben, dass diese Gemeinde noch vor wenigen Jahren vor dem Aus stand.
Sehen und etwas tun statt vorbeigehen und ignorieren
Rückblende: Ende der 80er-Jahre kommen die beiden Pastoren Gunter Marwege und Kay Kraack in die evangelisch-lutherische Gemeinde St. Georg, die noch getrennt von der Gemeinde Borgfelde arbeitete. St. Georg, das Hauptbahnhofsviertel der Stadt, war Sanierungsgebiet, ein Stadtteil voller Widersprüche. Zur Außenalster hin glänzte zwar die Hochkultur des Hamburger Schauspielhauses und die Eleganz des berühmten Hotels Atlantic und der Segelclubs. Doch im östlichen Teil des Viertels rund um den Steindamm dominierten schäbige Kneipen, Prostitution, Obdachlosigkeit und Drogenabhängigkeit das Straßenbild.
Die Kirche war kaum präsent. "Die Gemeindemitgliederzahl war rapide gesunken, die Zuwendungen aus der Kirchensteuer geschrumpft. Wir hatten das Gefühl, bald nimmt in der Gemeinde eine Depression wegen des Bedeutungsverlustes überhand, bald sind wir als Kirche nicht mehr da. Kraack und ich haben uns gesagt: Wir müssen uns öffnen und unsere Ressourcen im Stadtteil einbringen", erinnert sich der 61-jährige Marwege.
Ihr Grundsatz lautete dabei: sehen und etwas tun statt vorbeigehen und ignorieren. Also bauten sie die Kinder- und Jugendarbeit aus, holten Künstler in die Kirche, erarbeiteten ein Konzept für den Stadtteil und gründeten mit Bürgerinitiativen eine Stadtteilkonferenz. Die Kirche hatte Büros und die Kompetenz, Konflikte zu moderieren - beides konnte sie einbringen. "So sind wir mit den Menschen in Kontakt gekommen. Dabei sind gemeinsame Themen entstanden. Wir haben zum Beispiel die Beratungsstelle für Prostituierte mit initiiert und uns bei der Drogenpolitik engagiert", sagt Marwege, der über den Stadtteil hinaus auch in der Cityseelsorge tätig ist. Gleichzeitig trennten sich die Pastoren von Trägerschaften, die nicht nötig oder zu groß waren, etwa von einem Altenheim. Es war ein Aufbruch.
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Dann kam die Krankheit Aids. Bereits Anfang der 90er-Jahre hatte die schwule Community in St. Georg Fuß gefasst und mit ihrer Lebensart, den Cafés und schönen Geschäften den Stadtteil aufgewertet. Doch die unbekannte Krankheit lähmte alles. "Das hat wachgerüttelt. Die Betroffenen brachten ein existenzielles Thema mit", meint Marwege. Die Gemeinde richtete die bundesweit erste Aids-Seelsorge ein, die Pastoren veranstalteten Aids-Gottesdienste gegen manch kirchenpolitischen Widerstand, doch immer unterstützt von ihren Gemeindemitgliedern, deren Zahl stetig wuchs. Mittlerweile ist die homosexuelle Szene gut vernetzt im Stadtteil, ihre evangelischen Mitglieder sind in allen Gremien, vom Kirchenrat bis hin zur wöchentlichen Suppenküche für Obdachlose, aktiv dabei.
Zweisprachig und Kult in Hamburg: die Gospelgottesdienste
Der zweite Impuls, der die Gemeinde veränderte, kam über die muslimischen Nachbarn. "In St. Georg hat knapp die Hälfte der Einwohner einen Migrationshintergund, viele sind muslimischen Glaubens. Doch in der Stadtteilarbeit kamen sie nicht vor. Also haben wir wieder Initiativen gestartet, Stadtteilfeste organisiert und die muslimischen Gemeinden in die Verantwortung für das nachbarschaftliche Leben einbezogen", erklärt Marwege. Ein neuer Prozess begann, der auch die Terroranschläge von 2001 in New York überstand. Der Kontakt ist, trotz mancher Konflikte, belastbar.
Der dritte Aufbruch der agilen Kirchengemeinde ist in vollem Gange und das Pfingstfest bei der Erlöserkirche Borgfelde ist eine Etappe zum Ziel: Hier soll ein Afrikanisches Zentrum Hamburg entstehen, das dazu dienen soll, die gemeinsame Identität der christlichen Gemeinden zu entwickeln. Die Pastoren Marwege, Degenhardt und Mansaray sind nun bei den letzten Vorbereitungen für den Gottesdienst. Koreanische Trommlerinnen führen die Gäste in die Kirche.
Seit im Jahr 2004 die Gemeinden Borgfelde und St. Georg fusionierten, haben die Aufbruch erprobten Pastoren Marwege und Kraak den Kontakt zur African Christian Church Hamburg forciert, die die oft leere Kirche teilweise genutzt hatte. Zum Highlight des neuen Gemeindelebens, den monatlichen Gospel-Gottesdiensten in englischer und deutscher Sprache, kommen regelmäßig mehr als 150 Gäste aus ganz Hamburg.
So wie Hartmut Fanger aus Hohenfelde, der der Kirchengemeinde St. Georg-Borgfelde beigetreten ist. "Die Offenheit für Kulturen und Menschen aller Schichten und der Einsatz bei sozialen Fragen ist hier einmalig. Ich habe das Gefühl, dass ich mehr am Leben teilnehme, seitdem ich in dieser Gemeinde bin", sagt der 58-Jährige. Nun beginnt der Konfi-Chor zu singen. Der interkulturelle Konfirmandenunterricht ist nämlich noch so ein spannendes Projekt aus der Gemeinde St. Georg-Borgfelde.
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