Wenn eine Handlung aus praktisch nichts anderem als aus einem Dialog besteht, kann das als Lektüre durchaus spannend sein; als Adaption aber empfiehlt sich allenfalls ein Theaterstück. Kein Wunder, dass einige Jahre ins Land gegangen sind, bis man bei der Zürcher Produktionsfirma Maximage endlich den richtigen Zugriff auf Markus Werners erstaunlich erfolgreichen Roman "Am Hang" gefunden hat. Der Schlüssel zur Verfilmung war die Frau, um die sich das Gespräch zweier Männer die ganze Zeit dreht, wenn auch zunächst ohne ihr Wissen: Im Drehbuch von Klaus Richter und Martin Gypkens ist sie nicht mehr bloß Objekt der Erzählungen, sondern Subjekt. Und mehr noch: Letztlich hält sie alle Fäden in der Hand.
Faszination und Fremdartigkeit
Die Geschichte beginnt mit einem Missverständnis: Ein Mann bewahrt einen anderen davor, sich an einem Bahnübergang das Leben zu nehmen. Der andere zeichnet sich zwar durchaus durch eine gewisse Lebensmüdigkeit aus, aber er wollte sich keineswegs vor den Zug werfen. Kurz drauf treffen sie in einem Restaurant erneut aufeinander. Es entwickelt sich eine Beziehung, die geprägt ist vom ständigen Wechsel zwischen den Extremen Faszination und Fremdartigkeit. Thomas (Max Simonischek), der jüngere, ist Scheidungsanwalt und ein Eroberer, dessen Affären stets nur von kurzer Dauer sind; Felix (Henry Hübchen), der ältere, ist ein Verfechter der wahren Liebe, die ihm allerdings kürzlich abhanden gekommen ist, was den Verlust der Lebensfreude erklärt. Thomas berichtet von seiner jüngsten Affäre, Felix von der verstorbenen Gattin, und bald ahnt man, was schließlich durch die Rückblenden bestätigt wird: Beide sprechen von derselben Frau. Es dauert eine Weile, bis das auch Felix klar wird. Den letzten Beweis liefern ihm Zeilen aus Hermann Hesses "Stufen", dem Lieblingsgedicht seiner Gattin, die sie in Thomas’ Ferienhaus hinterlassen hat: "Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne." Sie hatte einem sternförmigen Gehirntumor und gemutmaßt, dies sei der nach innen gewanderte Stern, dem sie in ihrem Leben hätte folgen sollen. Nach erfolgreicher Operation hat sie das endlich getan, und so ist sie bei Thomas gelandet.
Selbst wenn das Drehbuch die Handlung um einige Schauplätze ergänzt, so bleibt der vom Schweizer Markus Imboden inszenierte Film dennoch zwangsläufig ausgesprochen dialoglastig, was mit weniger talentierten Hauptdarstellern vermutlich recht ermüdend geworden wäre. Der zweifache Grimme-Preisträger ("Mörder auf Amrum") gilt hierzulande vor allem als Regisseur von TV-Krimis, hat aber zuletzt mit "Der Verdingbub" für den erfolgreichsten Schweizer Kinofilm seit vielen Jahren gesorgt. Unter seiner Führung liefern sich Hübchen und Simonischek ein darstellerisches Duell voller Nuancen und Subtilitäten.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Mit Martina Gedeck ist die Dritte im Bunde prominent und treffend besetzt: attraktiv genug, um in einem deutlich jüngeren Mann wie Thomas den Jagdinstinkt zu wecken, und reif genug, um glaubwürdig Felix’ langjährige Gefährtin verkörpern zu können. Außerdem nimmt man ihr ab, dass diese Frau in der Mitte ihres Lebens alle Brücken hinter sich abbricht und einen Neuanfang wagt. Spätestens am Ende – genau genommen hat die Geschichte drei Schlüsse – emanzipiert sich der Film ohnehin vom Buch und rückt jene Figur in den Mittelpunkt, die ohnehin schon die ganze Zeit die Sonne war, um die die beiden Männer kreisen.