Ein Mann verliebt sich in die Tochter seiner Jugendliebe: Sathyan Ramesh hat ganz offensichtlich eine Vorliebe für Geschichten, die sich zwar in einem Satz zusammenfassen lassen, aber nicht zuletzt dank der komplexen Figuren eine enorme Tiefe entwickeln. Das galt auch schon für zwei seiner schönsten Drehbücher, "Eine Nacht im Grandhotel" und "Vier sind einer zuviel". Ein weiteres Merkmal ist sein Spiel mit der Genre-Zugehörigkeit: "Letzter Moment" bietet alles, um unter einem Titel wie "Meine Freundin, ihre Mutter und ich" zur munteren Komödie zu werden. Andererseits birgt die Handlung natürlich auch großes Dramenpotenzial. Ramesh verweigert sich jedoch jeglichem Schubladendenken, weshalb seine zweite Regiearbeit (nach dem Kinofilm "Schöne Frauen", 2004) kurzerhand alles in einem ist: Liebesgeschichte, Komödie, Drama.
Flucht von der Hochzeitsfeier
Seit der Entstehung und der Vorab-Ausstrahlung auf Arte (2010) sind einige Jahre vergangen, was dem Film allerdings nicht geschadet hat: Geschichte und Umsetzung sind zeitlos, die Darsteller ohnehin großartig. Das gilt vor allem für Ulrike C. Tscharre: Man kann wunderbar nachvollziehen, warum Isabel in dem doppelt so alten Übersetzer Peter längst vergessene Gefühle weckt. Sie versieht die junge Frau mit einem Lächeln zum Verlieben und verkörpert sie auf eine Art, die gleichzeitig erfrischend und hintergründig ist. Habich ist nicht zuletzt dank seiner altersweisen Selbstironie, die sich mitunter nur in einem Mundwinkel abspielt, ohnehin grandios; er versteht es wie kaum ein anderer, einen ganzen Abgrund an Emotionen allein durch das fast unmerkliche Zucken eines Augenlids zum Ausdruck zu bringen.
Der romantische Auftakt des Films beginnt mit einer leidenschaftlichen Nacht in der Küche des Restaurants, in dem die Langzeitstudentin arbeitet. Peter und Isabel verlieben sich Hals über Kopf ineinander. Dummerweise wird sie in wenigen Tagen heiraten. In anderen Filmen dieser Art wäre die Frau die ganze Handlung lang hin und hergerissen, um sich schließlich kurz vor der Trauung zu Peter zu bekennen. Ramesh braucht dafür bloß einen Akt, zumal Isabel erst im Verlauf der Hochzeitsfeier flieht; ihr frischgebackener Gatte (Ole Puppe) reagiert nicht nur fassungslos, sondern auch brutal. Einen weiteren Haken schlägt die Geschichte, als Peter Isabels Eltern Katharina und Konstantin (Gila von Weitershausen, Thomas Thieme) kennen lernt: Die Mutter entpuppt sich als jene Frau, die vor über dreißig Jahren die Liebe seines Lebens war. Sie fordert ihn auf, die Beziehung zu Isabel zu beenden, aber die findet auch von allein heraus, das sich ihr Freund und ihre Mutter keineswegs gerade erst kennen gelernt haben.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Zum Glück verzichtet Ramesh darauf, unnötig lange offen zu lassen, ob Isabel womöglich Peters Tochter ist. Trotzdem nimmt die Handlung erneut eine dramatische Wendung, zumal der weitere Verlauf ein unerwartetes Todesopfer fordert. Umso erstaunlicher, dass es plausibel gelingt, die Geschichte zu einem gutem Ende zu bringen. Die Inszenierung ist weitgehend unauffällig, aber nicht zuletzt wegen des Arrangements des perfekt zusammengestellten Ensembles im Raum sichtbar sorgfältig; auf diese Weise genügt Ramesh ein leichtes Verstellen der Schärfe, um Isabels Erkenntnis zu verdeutlichen, dass Katharina und Peter eine gemeinsame Vergangenheit haben.