Die beiden renommierten Wissenschaftler werfen der EKD in einem Beitrag für die Tageszeitung "Die Welt" (Samstagsausgabe) eine "dogmatische Geschichtsdeutung" bei der Vorbereitung des 500. Reformationsjubiläums vor. "Mit der Geschichte der Reformation hat das nichts zu tun", schreiben sie mit Blick auf den jüngst vorgestellten EKD-Text "Rechtfertigung und Freiheit".
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Das EKD-Papier nehme "die Erkenntnisse der nach 1945 erneuerten, internationalen Reformationsforschung als Teil der allgemeinen Geschichtswissenschaft überhaupt nicht zur Kenntnis", schreiben der Berliner Frühe-Neuzeit-Historiker Schilling und der Göttinger Kirchengeschichtler Kaufmann. "Durch 'Rechtfertigung und Freiheit' verfestigt sich der Eindruck, dass die EKD nicht an einer historischen Tiefenbohrung interessiert ist, welche erst eine sachlich gesicherte Basis der Gegenwartsrelevanz schaffen könnte", heißt es weiter.
Die EKD hatte den Text, der als theologische Grundlage für das Reformationsjubiläum 2017 dienen soll, Mitte Mai in Berlin vorgestellt. Er wurde von einer Kommission unter Leitung des Berliner Kirchenhistorikers Christoph Markschies ausgearbeitet. Ausgangspunkt des Papiers ist die Rechtfertigungslehre Martin Luthers (1483-1546), die wesentlicher Grund für die Kirchenspaltung im 16. Jahrhundert war. In der Rechtfertigungslehre sieht die EKD die Grundlage des reformatorischen Freiheitsverständnisses.
"Historische Expertise ist überschaubar"
Aus den Lehren Luthers leitet die von der EKD eingesetzte Kommission aktuelle Handlungsfelder ab. So schlägt sie in dem Papier unter anderem vor, sich mit Blick auf das Reformationsjubiläum Fragen der Ökumene, der Entchristlichung der Gesellschaft, der Geschlechtergerechtigkeit und des interreligiösen Dialogs zu widmen.
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Schilling und Kaufmann, die dem von Staat und EKD getragenen Wissenschaftlichen Beirat für das Reformationsjubiläum angehören, kritisieren in ihrem Beitrag, in dem EKD-Text werde "eine extrem einseitige Sicht der Reformation" wiederbelebt. Das EKD-Papier verenge die Reformation auf Luthers Rechtfertigungslehre und nehme damit zwangsläufig eine Fixierung auf Luther in Kauf.
"Die Ausschließlichkeit, mit der in dem Text die Reformation als 'religiöses Ereignis' bewertet wird, isoliert das Geschehen vom allgemeingeschichtlichen Zusammenhang und fällt damit methodisch wie inhaltlich zurück hinter die längst selbstverständliche Integration der Kirchen- und Theologiegeschichte in die Allgemeingeschichte", schreiben die Historiker.
Zudem kritisieren Kaufmann und Schilling, dass die EKD nicht den Wissenschaftlichen Beirat mit dem Text beauftragte, sondern eine kirchliche "Ad-hoc-Kommission" unter Leitung des Kirchenhistorikers Markschies, "eines hoch geachteten Spezialisten für die Antike", wie die Autoren bemerken. "Die ansonsten dort versammelte historische Expertise ist überschaubar." Dass die Kirche den Wissenschaftlichen Beirat mit dem Text "offenbar nicht behelligen" wollte, ist nach Ansicht von Kaufmann und Schilling "eine Desavouierung" dieses Gremiums.