"Mir ist es wichtig, dass die Leute heil nach Hause kommen"

Foto: dpa/Christian Charisius
"Mir ist es wichtig, dass die Leute heil nach Hause kommen"
Die Gorch Fock - das Segelschulschiff der Bundeswehr - machte Schlagzeilen, als innerhalb von zwei Jahren zwei junge Frauen tödlich verunglückten: 2008 ertrank eine Kadettin, 2010 stürzte eine andere vom Mast. Seitdem wurde die Ausbildung verändert, zum neuen Konzept gehört auch die Betreuung durch einen Seelsorger. Der evangelische Marinepfarrer Ernst Raunig soll dazu beitragen, dass es an Bord friedlich zugeht.

Welchen Eindruck hatten sie von der Gorch Fock und der Mannschaft?

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Ernst Raunig: Es war eine doppelte Erfahrung: Ich finde das Schiff traumhaft, aber das Leben an Bord ist eine Herausforderung und man merkt, wie mancher da an seine Grenzen kommt. Die Offiziersanwärter sind ja noch sehr jung, sie haben gerade Abitur gemacht und sind zum ersten Mal für längere Zeit von Zuhause weg.  

Welche Rolle spielt der Tod der jungen Kadettin vor vier Jahren für die aktuelle Besatzung?

Raunig: Die Bundeswehr hat alles getan, damit das nicht noch einmal passiert. Es gibt jetzt in Flensburg einen Übungsmast, an dem sie schon an Land lernen können, sich abzuseilen. Sie wissen also, was auf sie zu kommt und das gibt ihnen Sicherheit. Das sage ich als Pfarrer, der von diesen Dingen nicht allzu viel Ahnung hat. Die Gorch Fock ist im Fokus der Presse. Sie ist ein Schaufenster der Marine.

Und was bedeutet es für die jungen Menschen in der Ausbildung, dass zwei ihrer Vorgänger ums Leben gekommen sind?

Raunig: Dass etwas passieren kann, ist allen immer bewusst, aber ich habe nicht erlebt, dass es das beherrschende Thema ist. Für die Offiziersanwärterinnen und Offiziersanwärter ist die viel wichtigere Frage: Wie schaffe ich meine Ausbildung?

Seelsorge hat viel damit zu tun, was dann in der Gruppe passiert.

Welche Rolle spielen Sie dabei?

Raunig: Man merkt gerade auf der Gorch Fock ein sehr hohes Interesse der Vorgesetzten, der Ausbilder und der gesamten Besatzung, sich um die jungen Leute zu kümmern, und dazu trage ich bei. Es ist gut, dass jemand da ist, der für alle ansprechbar ist und ihnen hilft, Halt zu finden.

Was genau sind Ihre Aufgaben?

Raunig: Es sind zwei Bereiche, Seelsorge und Gottesdienst einerseits und Lebenskunde-Unterricht andererseits. Mehrmals am Tag habe ich eine Unterrichtseinheit angeboten, da würde dann zum Beispiel ihre Arbeit reflektiert. Ich war nicht nur für die Offiziersanwärter da, sondern habe als Marinepfarrer natürlich auch die Stammbesatzung begleitet, die das Schiff eigentlich betreibt. Die jungen Offiziersanwärter und Anwärterinnen kommen ergänzend dazu und beide Gruppen müssen dann miteinander zurechtkommen.

Das heißt, Sie sorgen dafür, dass es an Bord keine Spannungen gibt?

Raunig: Ja, das ist eigentlich bei allen Militärseelsorgern so. Wir haben auch eine Ausbildung in Stressbearbeitung und im Konfliktmangament. Wenn jemand mit sich selbst gut klar kommt, kommt er auch mit den anderen klar. Individuelle Seelsorge hat viel damit zu tun, was in der Gruppe passiert.

Das klingt, als seien sie mehr Mediator oder Psychologe als Seelsorger.

Raunig: Psychologische Kenntnis kann tatsächlich nicht schaden. Man muss nur erkennen, wo die Seelsorge aufhört und wo tatsächlich psychologische Begleitung anfangen muss. Als Seelsorger hat man den Vorteil, dass man ungebunden ist. Wir Militärseelsorger haben keinen Dienstgrad, wir können alle ansprechen und miteinander ins Gespräch bringen.

Ich bin erst lange nach dem Abendessen fertig geworden

Wie stark nachgefragt waren Sie und Ihre Arbeit als Seelsorger?

Raunig: So wie der Pfarrer durch seine Gemeinde geht, so geht man als Seelsorger über das Schiff und auf dem Gang oder auf dem Deck ergibt sich vielleicht ein Gespräch. Ich war morgens ab dem Frühstück ansprechbar und bin abends erst lange nach dem Abendessen fertig geworden. In der Seelsorge hat man auch eine Art "Stand-by-Funktion“. Die Leute sehen, dass man da und ansprechbar ist.

Mit welchen Sorgen und Problemen sind die Soldaten zu Ihnen gekommen?

###mehr-artikel###Raunig: Das Spektrum ist groß: Sie haben Fragen wie: "Wie geht mein Lebensweg weiter?“ oder Beziehungsprobleme oder zuhause ist jemand gestorben. Aber es kommt auch vor, dass jemand mit einem Kameraden nicht klar kommt. Das Spektrum ist groß und ich sehe es als Privileg an, dass ich – sofern die Leute das wollen – auch an ihrer gesamten Lebenswelt teilnehmen darf. Viele Menschen wollen einfach nur etwas loswerden bei jemandem, der es nicht weitererzählen darf.

Brauchen die Menschen auf See eine besondere Art der Seelsorge?

Raunig: Sie stehen zumindest unter besonderen Bedingungen: Sie arbeiten und leben auf engstem Raum, der Schlafrhythmus ist nicht normal – und wenn auf See die Wellen hoch gehen, es schaukelt, jemand seekrank wird, dann kann das zu einer gewissen Dünnhäutigkeit führen. In diesem Umfeld muss man dafür sorgen, dass die Leute das tragen und ertragen können. Kameradschaft spielt eine sehr große Rolle. Der Zusammenhalt an Bord ist einfach notwendig. Wenn man so viel von einander mitbekommt, muss man auch vertrauensvoll und unterstützend miteinander umgehen.

In welchen Zusammenhang steht Ihre Arbeit mit der militärischen Ausbildung?

Raunig: Es geht darum, dass die Leute reflektiert und mit geschärften Gewissen ihren Dienst tun. Gerade in der Bundeswehr und in unserem Land ist es wichtig, nach den bitteren Erfahrungen eines Kadavergehorsams. Es geht eben nicht darum, die Leute „fit to fight“ zu machen. Mir ist es wichtig, dass die Leute persönlich und seelisch ihren Dienst gut überstehen und heil nach Hause kommen.

Welche Rolle die Bibel, der Hinweis auf Gott?

Raunig: Seelsorge richtet sich an alle, sie ist nicht konfessionell oder religiös beschränkt, und Gottesdienste sind das auch nicht. Mancher geht in eine Kirche um Kraft zu schöpfen, obwohl er mit Gott nichts am Hut hat. So kommen auch manche in meine Gottesdienste. Gerade wenn man mit Leuten unterwegs ist, gelingt es aber immer wieder, sie zu erreichen. Ich erlebe viele Soldatinnen und Soldaten, die sich in der Kirche zuhause fühlen, die sich in einer Gemeinde einsetzen und kritisch und politisch denkend ihrem Beruf nachgehen.