Die Faszination für die Kinderzimmerästhetik des japanischen Monsterfilms lässt sich schön am Beispiel der Augsburger Puppenkiste veranschaulichen: Auch bei den Fernsehaufzeichnungen des Marionettentheaters ging es nie darum, Realität abzubilden. Die Fäden an den Puppen sind immer deutlich sichtbar und gehören zum ästhetischen Selbstverständnis der Darbietung.
So sind auch die detailverliebten Kulissen vor handgemalten Bildleinwänden der Godzilla-Filme, die in den 50er und 60er Jahren entstanden, bis heute unerreicht. In den Miniaturlandschaften und Nachbauten japanischer Großstädte fühlte sich die Sauriermutation Godzilla (traditionell dargestellt von einem Schauspieler im Monsterkostüm) wohler als in der Realität. An seine Existenz glauben musste man bei dem liebenswerten Gojira (so der japanische Name) nie. Aber man konnte sich wunderbar mit diesem unverstandenen Kind, das 1954 als Nachgeburt der Atombombe entstand, identifizieren.
Ein Godzilla-Blockbuster aus Hollywood mit modernen digitalen Effekten und ausdrücklichem Realismusanspruch wirkt da erstmal wie ein großes Missverständnis. Besonders wenn er mit geschätzten 160 Millionen US-Dollar Produktionskosten teurer ist als alle 28 japanischen Godzilla-Filme zusammen. Doch anders als sein Vorgänger Roland Emmerich mit seinem ungeliebten Godzilla-Remake von 1998 erweist sich der junge britische Regisseur Gareth Edwards als sensibler Fan, der die japanischen Wurzeln und die atomare Kinderstube der Monsterikone bewahrt.
Der Wissenschaftler Joe Brody (Bryan Cranston aus "Breaking Bad") hat seine Frau Sandra (Juliette Binoche) 1999 bei einer Reaktorkatastrophe in einem japanischen Atomkraftwerk verloren. Brody glaubt nicht daran, dass ein Erdbeben die Ursache war und macht sich Jahre später mit seinem Sohn Ford (Aaron Taylor-Johnson aus "Kick-Ass") auf in die radioaktive Sperrzone, um der von der Regierung verschleierten Wahrheit auf die Spur zu kommen. Und tatsächlich: Die Katastrophe wurde in Wirklichkeit von einem unterirdischen Monster verursacht, Muto (Massive Unidentified Terrestrial Object) genannt, das nun wieder erwacht und seine zerstörerischen Kräfte entfaltet.
Mit Szenen eines Störfalls in einem japanischen Atomkraftwerk und der riesigen Flutwelle, die Godzilla dann beim Auftauchen erzeugt, beschwört Edwards die realen Bilder der Tsunami- und der Reaktorkatastrophe von Fukushima. Er baut darauf, dass sich die Nachrichtenbilder von 2011 ins kollektive Unterbewusstsein eingebrannt haben und nun einen Moment wahrhaftiger Bedrohung auslösen. Katastrophenkino ist am wirkungsvollsten, wenn es aktuelle Ängste aufgreift.
Das Monster als Naturgewalt
Godzilla tritt im weiteren Verlauf des Films gegen Muto an. Der Wissenschaftler Dr. Serizawa (Ken Watanabe) erklärt den amerikanischen Militärs, dass es sich bei Gojira um eine Art Gottheit handelt, eine regulierende Naturgewalt, die man nicht bekämpfen kann und mit der sich der Mensch zu arrangieren hat. Regisseur Edwards hat damit die Wesensart der radioaktiven Monsterikone erfasst und übernimmt die japanische Sicht der Dinge.
Wie schon in seinem Independent-Erfolg "Monsters" (2010) entwickelt Edwards ein nahezu zärtliches Verhältnis zu dem Untier. Wenn der sanfte Riese im Hafen von San Francisco auftaucht, um die Menschheit von der Muto-Plage zu erlösen, gleicht das einem spirituellen Ereignis. Die sorgfältig besetzten Schauspieler werden dabei zwangsläufig zu ungläubigen Nebendarstellern degradiert. Trotz mancher Zugeständnisse ans Mainstreamkino ist Edwards mit dieser brachialen Erlösungsfantasie ein ungewöhnlich schöner und versöhnlicher Monsterfilm gelungen.
USA 2014. Regie: Gareth Edwards. Buch: Max Borenstein, Dave Callaham. Mit: Aaron Taylor-Johnson, Elizabeth Olsen, Bryan Cranston, Ken Watanabe, Juliette Binoche. Länge: 123 Minuten. FSK: ab 12 Jahre.